«Lachen hat einen starken Stressabbau-Effekt»

Psychologieprofessorin Andrea Samson erklärt, wie uns Humor helfen kann, auch in schwierigen Situationen zuversichtlich zu bleiben.

Andrea Samson (46) studierte an der Universität Fribourg Psychologie und Neurowissenschaften und doktorierte zum Thema Humor. Seit 2018 ist sie Professorin an der FernUni Schweiz.

Wie gehen Sie als Psychologin mit der geballten Ladung an Unsicherheit und schlechten Nachrichten um, die aktuell auf uns niederprasselt?
Andrea Samson: Ich finde es zwar wichtig, informiert zu bleiben, aber auch zu merken, wann die Informationsflut überhandnimmt. Es gibt ja Phasen, in denen wir nur noch schauen, wo was passiert ist und was der US-Präsident wieder gesagt hat. Da ist es ganz wichtig zu spüren, wenn es einen überwältigt und auch mal zu sagen: So, jetzt schaue ich die News nicht und nehme bewusst Abstand.

Sie verzichten von Zeit zu Zeit bewusst darauf, sich auf dem Laufenden zu halten?
Samson: Ja, um mich nicht ständig dem Kontrollverlust auszusetzen. Wir können das Weltgeschehen meist nicht direkt beeinflussen, sondern nur versuchen, zu spenden oder sonst irgendwie Gutes zu tun. Damit bleiben wir ihm aber weitgehend ausgeliefert.

Ist es normal, dass die Weltlage die meisten von uns beängstigt?
Samson: Unsicherheit ist immer ein möglicher Stressfaktor. Einige können besser damit umgehen, haben von ihrem Naturell her einen optimistischeren Blick in die Zukunft und vertrauen darauf, dass sich schon eine Lösung finden wird. Andere haben mehr Schwierigkeiten mit Unsicherheiten und blicken voller Sorge in die Zukunft. Das zeigt sich auch im Alltag. Wenn etwas anders läuft als geplant, stresst das die einen, während andere flexibler damit umgehen können.

Was können wir gegen unsere Ängste tun?
Samson: Es gibt Strategien, die wir anwenden können, wenn wir Angst haben oder gestresst sind. Da kommt Emotionsregulation ins Spiel, also unser Umgang mit den Emotionen. Die Forschung hat gezeigt, dass wir im Alltag sehr viel tun, nicht nur, um mit negativen Emotionen umzugehen, sondern auch mit positiven. Wir machen im Alltag viel, um uns gut zu fühlen und unsere positiven Emotionen zu stärken. Wir schaffen Situationen, um uns gut zu fühlen. Allerdings gibt es grosse Unterschiede in der Art, wie flexibel die Leute Strategien anwenden, um ihre Emotionen zu regulieren, und welche Strategien sie überhaupt erlernt haben.

Hängt das von der Erziehung ab?
Samson: Interessanterweise lernen wir ein Leben lang, wie wir unsere Fähigkeit erweitern können, um unsere Emotionen zu regulieren. Das ist nichts, was einfach in der Kindheit und Jugend entwickelt wird oder auch nicht – und dann ist fertig, und man ist dem ein Leben lang ausgesetzt. Der Mensch hat grosse Kapazität, seine emotionale Intelligenz im Erwachsenenalter weiterzuentwickeln. Auch im Zusammenhang mit Herausforderungen, die uns im Leben begegnen.

Sie empfehlen Humor als Strategie, um Angst zu überwinden und Hoffnung zu schöpfen.
Samson: Ich sage zwar nicht, es sei ein Rezept, das man immer und überall einsetzen kann. Es ist aber faszinierend zu sehen, wie viel wirksamer es sein kann, eine negative Situation humorvoll umzuinterpretieren, statt einfach nur auf ernsthafte Art. Die Strategie dahinter heisst kognitive Umbewertung, sie wurde vielfach untersucht. Dabei geht es um einen Perspektivenwechsel auf eine Situation, die uns negative Emotionen bereitet. Wenn ich zum Beispiel zum Zahnarzt muss, kann ist auf die Angst vor dem Schmerz fokussieren. Oder ich denke daran, dass die Zähne danach besser aussehen und kein Loch mehr da sein wird, das die Gesundheit beeinträchtigen kann.

Mit Humor hat das aber nicht viel zu tun?
Samson: Noch nicht. Wenn man den Perspektivenwechsel aber auf eine witzige Art schafft, kann das sehr viel bringen. Es ist zwar nicht einfach, in einer Situation, die einen stresst, einen Witz darüber machen zu können und vielleicht auch die Absurdität der Situation zu sehen. Wenn man es aber schafft, ist es effizienter als eine ernsthafte Uminterpretation.

Also bringt es mehr, beim Zahnarztbesuch nicht einfach an das strahlende Lächeln danach zu denken, sondern an Vampirzähne, die einem der Zahnarzt verpassen könnte – und dann darüber zu lachen?
Samson: Ja, genau. Das Lachen und die positiven Gefühle können bis zu einem gewissen Grad negative Emotionen abschwächen. Lachen hat einen starken Stressabbau-Effekt. Auch im sozialen Kontext – es ist sehr wichtig, zusammen zu lachen.

Humor als Strategie heisst aber nicht, nur noch Komödien zu schauen und Witze zu reissen?
Samson: Natürlich kann man Humor auch als Ablenkung einsetzen. Was mich aber als Forscherin interessiert, sind die humorvollen Perspektivenwechsel, bei denen es Leute selbst in ausweglosen, schlimmen Situationen irgendwie schaffen, eine Absurdität zu erkennen und sich darüber zu erheitern. Man weiss, man kann die Krankheit nicht ändern, man kann den Tod nicht abwenden – aber man schafft es, sich kurzfristig auf etwas zu konzentrieren, das einen erheitert. Spannend sind dabei Fragen wie: In welchem Kontext wirkt Humor, in welchem nicht? Kann das jeder und jede, oder spielt es eine Rolle, wer den Witz in einer bestimmten Situation macht? Ich versuche, besser zu verstehen, wann Humor angebracht ist und wann nicht.

Zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen?
Samson: Wir haben zwar einige Studien zu Humor und Emotionsregulationsstrategien gemacht, können aber noch nicht ausreichend aufschlüsseln, welche Kontexte oder individuellen Faktoren wichtig sind. Auch die Beziehung zur Person, die den Witz macht, ist wichtig. Welche Rolle sie genau spielt, möchte ich bald in einem Forschungsprojekt untersuchen.

Also können Sie aus Ihrer Forschung keine konkreten Empfehlungen ableiten, um das Leben der Menschen zu vereinfachen?
Samson: Doch. Zu solchen Empfehlungen könnte man kommen, wenn man zum Beispiel in einer Studie kontrolliert untersuchen würde, welche individuellen Eigenschaften mit welcher Art von Witz gut korrelieren. Solch pauschale Aussagen sind aber immer schwierig. Es ist auch nicht so, dass man sich völlig ändern kann. Einige Menschen sind nun mal leichter zu erheitern, andere sind eher ernst. Das liegt in ihrem Naturell. Selbst wenn jemand lernt, im Alltag mehr humorvolle Dinge zu erkennen, kann man nicht erwarten, dass er oder sie zum Spassvogel in der Runde wird. Das wäre zu viel verlangt. Was man aber machen kann, ist, an der eigenen Wahrnehmung des Umfelds zu arbeiten.

Wie?
Samson: Indem man zum Beispiel versucht, sich im Alltag darauf zu konzentrieren, was eigentlich potenziell lustig ist. Gibt es Elemente, die mich zum Lachen animieren? Muss ich alles ernst nehmen, muss ich alles auf mich beziehen – oder kann ich manchmal auch Humor einsetzen, um gewisse Situationen zu relativieren? Es sind kleine Hilfsmittel, um Strategien zu lernen, damit uns der Alltag leichter fällt.

Wie genau erforschen Sie das?
Samson: In der psychologischen Forschung gibt es dazu viele Ansätze. Zum Beispiel haben wir Versuchsteilnehmenden Bilder gezeigt, die zwar nicht extrem negativ waren, aber doch negative Gefühle ausgelöst haben. Dann haben wir die Leute angewiesen, die Perspektive zu wechseln, um sich besser zu fühlen. Bei anderen Bildern haben wir die gleichen Leute gebeten, zu versuchen, die Perspektive humorvoll zu wechseln und einen Witz darüber zu machen, um sich besser zu fühlen. Dabei haben wir gesehen, dass es für unsere Teilnehmenden signifikant schwieriger war, einen Witz zu erfinden, als ernsthaft die Perspektive zu wechseln.

Ist es grundsätzlich schwieriger, einen humorvollen Zugang zu finden?
Samson: Für einige Menschen schon. Wenn sie es aber schaffen, können sie ihre Emotionen effizienter regulieren. Sie fühlen sich besser und vor allem weniger negativ. Das ist nicht nur ein unmittelbarer Effekt, sondern er hält an. Eine Woche später haben wir die Bilder nochmals gezeigt. Da wurden jene Bilder, die humorvoll interpretiert worden waren, immer noch weniger negativ wahrgenommen. Das zeigt: Humor macht etwas mit unserer Wahrnehmung von Situationen. Er kann uns kurzfristig helfen, uns besser zu fühlen. Die Situation ändert damit zwar nicht, aber unsere Wahrnehmung der Situation.

Wie sind Sie auf den Humor als Forschungsthema gekommen?
Samson: Das ist meinem Doktorvater Oswald Huber zu verdanken. Er betrieb Entscheidungsforschung, war selber aber Cartoonist. Er fragte mich, ob ich lieber Humor- oder Entscheidungsforschung betreiben würde. Da dachte ich, Humor sei eine Nische, die noch nicht so gut untersucht sei. Es ist kreativ und interdisziplinär: In der Humorforschung hat es Soziologen, Medienwissenschaftler, Neurowissenschaftler, Linguisten, Psychologen und Philosophen. Ich finde Humor spannend, weil er unser Leben durchdringt.

Sie forschten an der Stanford Universität – wie war das damals?
Samson: In den USA wissenschaftlich tätig zu sein, war sehr inspirierend und hat enorm Spass gemacht. Die Leute sind offen und interessiert, es geht ihnen immer um die Sache. Für mich war es eine wunderbare, sehr fruchtbare Zeit. Das hängt aber auch mit Stanford zusammen, einer aussergewöhnlichen Universität. Und ich hatte grosses Glück mit meinem Mentor. Man kann das nicht verallgemeinern, es ist nicht überall so.

Sind Sie privat ein humorvoller Mensch mit witzigen Hobbys?
Samson: Ob ich witzig bin, müssen Sie mein Umfeld fragen. Und ob man nebst Vollzeitarbeit und Kinderbetreuung viele Hobbys haben kann, ist eine andere Frage (lacht). Jedenfalls koche ich gerne, bin gerne kreativ und gehe gerne mit meinen Kindern in die Natur. Natürlich halte ich mich auch up-to-date, was Comedy anbelangt, das liegt in der Natur der Sache.

Andrea Samson (46) ist in Fribourg geboren und in Konstanz und Schwyz aufgewachsen. An der Universität Fribourg studierte sie Psychologie und Neurowissenschaften und doktorierte zum Thema Humor. Ihr Postdoktorat absolvierte sie von 2010 bis 2015 an der Stanford University und forschte danach unter anderem an der Universität Genf und Fribourg weiter. Seit 2018 ist sie Professorin an der FernUni Schweiz. Andrea Samson lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen im Alter von sechs und zwölf Jahren in Fribourg.

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