The American President (Hallo, Mr. President) 
USA 1995, von Rob Reiner, mit Michael Douglas und Annette Bening

Spoiler-Alert 
Bis zur State-of-the-Union-Ansprache will Präsident Andrew Shepherd sicherstellen, dass sein Waffengesetz eine parlamentarische Mehrheit findet. Trotz dessen weichgespülten Inhalts und kaum erkennbaren Nutzens ist davon auszugehen, dass er sich mit diesem legislativen Leistungsausweis seine Wiederwahl sichern kann.

Ähnlich dürftig ist sein zweites Gesetzgebungsprojekt, ein Umweltgesetz, das die CO2-Emissionen nur minimal verringert. Sydney Ellen Wade, Lobbyistin bei einer Umweltorganisation, kämpft für die Verschärfung der gesetzlichen Ziele. Sie greift den Präsidenten gegenüber dessen Stabschef anlässlich einer Sitzung im Weissen Haus scharf an – ohne zu realisieren, dass Ersterer hinter ihr den Raum betreten hat. Der Vorfall ist ihr sehr peinlich. Der Präsident hingegen, seit ein paar Jahren verwitwet, ist trotz oder wegen der Vorwürfe, denen er innerlich wohl letztlich rechtgibt, von ihr fasziniert. Er macht mit ihr einen Deal: Er wird die Umweltziele in der Vorlage verschärfen, falls sie 24 Stimmen aus dem Repräsentantenhaus dafür besorgt, und lädt sie gleichzeititg als seine Begleitung an ein Staatsbankett mit seinem französischen Pendant ein («one minute I called him a mockery of an environmental leader, the next minute I had a date»).

Die politischen Gegner instrumentalisieren natürlich die Affäre. Sie hinterfragen Shepherds Werte und unterstellen der Lobbyistin, eine Extremistin zu sein und Sex als Mittel der politischen Einflussnahme einzusetzen. Zum Entsetzen seines Teams will der Präsident sein Privatleben nicht zum medialen Thema machen und lässt die Vorwürfe unbeantwortet. Seine Zustimmungswerte sinken dramatisch, das Waffengesetz gerät in Gefahr. Er entschliesst sich deshalb, sein Versprechen gegenüber seiner neuen Freundin zu brechen und das Umweltgesetz aufzugeben. Dies im Bemühen, sich im Rahmen eines Gegengeschäfts die Stimmen von drei Parlamentariern aus dem Autoindustriestaat Michigan für sein Waffengesetz zu sichern.

Nach einer emotionalen Auseinandersetzung mit Sydney Ellen Wade besinnt sich Shepherd kurz vor seiner grossen Rede eines Besseren und tritt vor das White House Press Corps mit dem Geständnis: «I was so busy keeping my job that I stopped doing it.» Er kündigt an, umgehend ein ambitioniertes Umweltgesetz vorzulegen und das Waffengesetz zugunsten einer verschärften Version zurückzuziehen. Seine Mitarbeitenden sind begeistert, die Medienschaffenden beeindruckt.

Sehenswert für
Wenn sich der Regisseur von «When Harry met Sally» und «Sleepless in Seattle» dem Weissen Haus zuwendet, entsteht etwas Ungewöhnliches: ein Politfilm über programmatische Konsequenz mit prozessualer Detailtreue im Gewand einer romantischen Komödie.

Siegreiche Strategie
Mut und Prinzipientreue schlagen Opportunismus. Zu Beginn ist der Präsident auf seine Zustimmungswerte fixiert: Viermal erwähnt er seinen aktuellen Wert von 63 Prozent in den ersten Minuten des Films. Ohne inhaltliche Orientierung gerät er aber in Schwierigkeiten, sowohl in der Politik als auch in seiner neuen Beziehung. Die spätere Rückkehr zu einer ambitionierten Politik bezüglich Waffen und Umwelt begeistert die Journalistinnen und Journalisten und dürfte, suggeriert der Film implizit, auch die Wahl zugunsten von Andrew Shepherd entscheiden. Sie wird wohl auch den präsidialen Beziehungsstatus nachhaltig verändern.

Erfolglose Strategien
Defensives Taktieren führt in den Abgrund: Der Präsident, der sich nicht zu seinem Privatleben äussern will und opportunistische Deals macht, verliert innerhalb von fünf Wochen 17 Prozentpunkte «Job approval», gerät in Selbstzweifel, demoralisiert sein Team und wird von der Frau, die er liebt, verlassen.
Die Schmutzkampagne seiner Gegner läuft allerdings ins Leere, sobald der Präsident den Mut findet, seine Überzeugungen offensiv zu verteidigen und das zu tun, woran er eigentlich glaubt.

Wie wird Politik dargestellt?
Die Präsidentschaft funktioniert im geschäftigen Minutentakt: Neben den Gesetzesprojekten halten auch Befehle zu einem militärischen Angriff im Nahen Osten und die Mediation in einem Streik von Fluglotsen den Präsidenten konstant auf Trab. Seine Person geht dabei vollkommen in seiner Rolle auf, selbst langjährige Vertraute sind nicht fähig oder gewillt, ihn anders als «Mr. President» anzusprechen. Zwischenmenschliche Beziehungen sind fast unmöglich, jede Sekunde ausserhalb der Rolle wird zum Ereignis. «There was a moment when you were with me and not with the president.»

Zitate
«We have serious problems to solve and we need serious people to solve them.»

Themen
Präsidentschaft, Gesetzgebung, Lobbying

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