Milk
USA 2008, von Gus Van Sant, mit Sean Penn und Josh Brolin

Spoiler Alert
Aus der Perspektive des Titelhelden – in Form einer Tonbandaufnahme, die er für den Fall seiner Ermordung aufzeichnet – erleben wir Harvey Milks letzte acht Lebensjahre mit. Diese beginnen mit einer ernüchternden Bilanz: «I’m 40 years old and I haven’t done a thing that I’m proud of.» Milk zieht in der Folge mit seinem Lebenspartner von New York nach San Francisco und eröffnet im Castro-Viertel ein Fotofachgeschäft.

Homophobe Anfeindungen und Gewaltvorfälle veranlassen ihn, für politische Ämter zu kandidieren. Die ersten drei Wahlkämpfe verliert er. Die Professionalität der Wahlkampfführung nimmt aber stetig zu, die langen Haare werden geschnitten und die Hippie-Klamotten weichen Anzug und Krawatte. Erfolgreich ist Milk in einem staatsweiten Abstimmungskampf gegen eine Volksinitiative, die Schwule und Lesben aus dem Lehrkörper verbannen will: Entgegen den Umfragen wird sie hochkant verworfen.

In Verbindung mit einer Änderung des Wahlmodus – separate Wahlkreise aus einzelnen Quartieren statt stadtweite Wahlen – klappt es bei der vierten Kandidatur und Harvey Milk wird 1977 als erster offen schwuler Politiker in Kalifornien in ein politisches Amt gewählt: Als City Supervisor ist er eines von 11 Mitgliedern der städtischen Exekutive. In seinem Privatleben begleiten Milks leidenschaftliches Engagement für Politik verheerende Ereignisse, namentlich eine Trennung und ein Suizid. Zugleich erweist er sich als gewiefter Politiker, der eine «Gay Rights Ordinance» fast unbestritten durchbringt und sich für Menschenrechte einsetzt, aber auch generell für die Lösung von Alltagsproblemen. So stärkt er sein Image durch den öffentlichkeitswirksamen Kampf gegen Hundekot.

Zum Verhängnis wird ihm am Ende der Umgang mit einem konservativen Gegenspieler, der politisch unterliegt, immer erratischer agiert und schliesslich erst den Bürgermeister, dann Milk erschiesst. In der letzten Szene geht Milks auf dem Tonband geäusserter Wunsch in Form eines Trauermarschs mit Kerzen in Erfüllung: «If there should be an assassination, I would hope that five, ten, one hundred, a thousand would rise.»

Sehenswert für
Ein farbenfrohes Gemälde des San Francisco der 70er-Jahre und der Anfänge der «Culture wars», welche die USA bis heute spalten.
Sean Penns berührende Darstellung eines charismatischen, energiegeladenen, unaufhaltbaren, aber auch hochreflektierten und selbstironischen Politikers, der selbst die eigene Ermordung als mögliche Folge seines Handelns explizit im Blick hat.

Siegreiche Strategie
Harvey Milk macht das Persönliche politisch und versucht, die Diskriminierung einer Minderheit zu verhindern, indem sich diese ein Gesicht gibt: «wear a sign, let the world know.» Jedes Coming-out baut Vorurteile im eigenen familiären und beruflichen Umfeld ab, dadurch lassen sich politische Mehrheiten und regulatorische Rahmenbedingungen verändern.

Milk aktiviert zu diesem Zweck systematisch die eigene Community: «I cannot prevent anyone from getting angry, or mad, or frustrated. I can only hope that they’ll turn that anger, and frustration, and madness into something positive.» Dies erreicht er über das Stiften von Hoffnung, und diese basiert über die eigene Gruppe hinaus («not only gays, but the blacks, the seniors, the handicapped, the us’es») auf Empowerment-Erfahrungen: «If a gay person makes it, the doors are open to everyone.»

Erfolglose Strategie
Die Berufung auf «God’s law» und die Diffamierung als «gay perverts and pedophiles» finden im Kalifornien der 70er-Jahre keine «moral majority» mehr, sobald sich viele der Ausgegrenzten den Angriffen mutig entgegenstellen.

Wie wird Politik dargestellt?
Der Film zeichnet trotz der kritischen Thematisierung des konservativen Backlashs auf die sozialen Bewegungen der 60er-Jahre und dem tragischen Ende der Titelfigur ein pragmatisches und positives Bild von Politik. Die Politik ist eng mit dem alltäglichen Leben verknüpft. Ihre Aufgabe besteht darin, Probleme des Zusammenlebens der Menschen zu lösen. Dies geschieht durch Kompromisse und Gegengeschäfte, die Entwicklung geht aber aus einer übergeordneten Perspektive in eine positive Richtung. Damit die eigene Sicht auf die Probleme mitberücksichtig wird, ist politische Repräsentation entscheidend. Um diese zu erzielen, muss die eigene Community im Alltag sichtbar sein: «Privacy is the enemy.»

Themen
Wahlkampf, zivilgesellschaftlicher Aktivismus, Stadtregierung

Zitat
«Politics is theater. It doesn’t matter if you win. You make a statement. You say: I’m here, pay attention to me.»

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