«Handelskriege waren oft die Vorläufer echter Kriege»

Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher erklärt, warum ihm der wachsende Protektionismus Sorge bereitet – und warum die Schweizer Industrie die Bilateralen III braucht.

Stefan Brupacher (56) ist seit 2019 Direktor von Swissmem, dem Branchenverband der Schweizer Tech-Industrie. Davor war er Generalsekretär im Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung und der FDP Schweiz. (Foto: zvg)

Stefan Brupbacher, was ist für Sie Macht?
Stefan Brupbacher: Bei uns zuhause war Macht immer ein negativ besetzter Begriff, weil er absolut und nur einen Schritt von Machtmissbrauch entfernt ist. Macht will ich nicht. Was ich möchte, ist Einfluss. Einfluss ist nie absolut, sondern bedeutet, mit guten Argumenten, mit Engagement und gutem Beispiel andere Menschen dazu zu bringen, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten.  

Sie haben das Generalsekretariat der FDP geleitet, danach jenes im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF und nun sind Sie Generalsekretär des Dachverbandes der Tech-Industrie. Wo hatten oder haben Sie am meisten Einfluss?
Brupbacher: Am meisten Einfluss hat man, wenn andere Leute meinen, es sei ihre Idee gewesen, und diese als Botschafter weitertragen. In allen drei Stellen hatte ich immer wieder Dossiers, in denen ich viel Einfluss ausüben konnte. Allerdings auf unterschiedliche Art und Weise.  

Worin liegt der Unterschied zwischen Partei, Bundesverwaltung und Verband?
Brupbacher: Die Perspektive ist eine andere. Im Departement ist ein Generalsekretär extrem ins Tagesgeschäft involviert. Er bereitet mit seinem Team jede Woche Bundesratssitzungen vor und kann das, was aus den Ämtern kommt, am Schluss noch ein bisschen steuern oder allenfalls blockieren. In einer Partei oder einem Verband nimmt er viel früher am Prozess teil und kann damit langfristig viel mehr bewirken. Bei der Swissmem zum Beispiel in der Berufsbildung, was äusserst wichtig ist.  

Wie würden Sie den Zustand der produzierenden Schweizer Wirtschaft  bezeichnen – ist er so gut, wie er allen Schwierigkeiten zum Trotz im Vergleich zum Ausland erscheint?
Brupbacher: Da muss man zwischen der kurz- und langfristigen Perspektive unterscheiden: Im Moment kämpfen unsere Firmen, sie sind aus verschiedensten Gründen stark unter Druck. Es ist aber faszinierend, wie viele unserer 1400 Mitgliedfirmen, ein Grossteil davon mittlere KMU mit 100 bis 200 Mitarbeitenden, in irgendeiner Nische weltweit führend sind. Sie schaffen es seit Jahrzehnten, mit ihren Produkten vom Standort Schweiz aus die Welt zu erobern. Davor ziehe ich den Hut – sowohl vor den Chefs als auch vor den Mitarbeitenden dieser Firmen.  

Woran liegt es, dass die Schweizer Wirtschaft besser aufgestellt ist als die europäische?
Brupbacher: Wir haben in vielen Bereichen eine andere Kultur. Auf Unternehmensebene ziehen Unternehmer und Mitarbeitende am gleichen Strick, da funktioniert die Sozialpartnerschaft. Eine ähnliche Partnerschaft gibt es zwischen Gesellschaft und Unternehmen: Die Schweiz muss nicht wie im Ausland Subventionsmilliarden für wenige Firmen zahlen, sondern offeriert allen Firmen gute Rahmenbedingungen. Dazu kommt die Lösungsorientierung, die in unserer Schweizer Kultur steckt.  

Was verstehen Sie darunter? 
Brupbacher: Die absolute Orientierung der Unternehmer und ihrer Mitarbeitenden zur Qualität: immer auf die Kundenbedürfnisse zu schauen, immer einen Schritt schneller zu sein für den Kunden und die Kundin. All das macht den Standort und unsere Unternehmen aus. Schauen Sie sich doch in Europa um: Da wird alles überreguliert, was ein Grund für die schlechte Stimmung der deutschen Industrie ist.  

Früher litt unsere Industrie jeweils mit, wenn es der deutschen Autoindustrie schlecht ging. Warum merkt man das heute kaum mehr?
Brupbacher: Man merkt es schon, viele Zulieferfirmen haben damit zu kämpfen. Unsere Firmen haben aber die Verlagerung hin zur Elektromobilität schon vor Jahren gesehen und arbeiten schon lange daran, sich hin zu neuen Märkten und neuen Produkten zu orientieren. Sei es Medizinaltechnik, Elektromobilität oder Luftfahrt: Die einzelnen Firmen sind da höchst innovativ unterwegs und versuchen, sich mit höchstem Einsatz in die nächste Nische zu entwickeln.   

Wie sieht für Sie das ideale Verhältnis zu Europa aus?
Brupbacher: 58 Prozent unserer Exporte gehen nach Europa, deshalb sind wir auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen. Wir befürworten die Bilateralen III, denn sie schaffen Stabilität. Wir wollen aber auch in alle anderen Staaten möglichst frei und ohne Zölle exportieren dürfen – von Amerika bis China. Wir brauchen die ganze Welt zum Exportieren und sollten deshalb möglichst viele Freihandelsabkommen abschliessen.  

Der Franken ist stärker denn je. Warum schlägt das nicht deutlicher auf die Exporte durch?
Brupbacher: Bei uns in der Tech-Industrie ist diese Problematik sehr wohl spürbar, wegen der langen Frist zwischen Auftrag und Auslieferung zeigt sie sich aber zeitverzögert. Es ist jedoch nicht nur der Franken; im Moment hat die Industrie mehrere Probleme. So steckt Europa in einer Industrierezession, und vor diesem Hintergrund erschwert uns der starke Franken das Leben zusätzlich. Man muss aber ehrlich sagen, wichtiger als der nominale Wechselkurs ist das der Kaufkraft angepasste Verhältnis vom Franken zum Euro. Dieses liegt momentan etwa bei 98 Rappen pro Euro.  

Was mehr oder weniger dem nominalen Wechselkurs der letzten Monate entspricht?
Brupbacher: Als der Euro an Weihnachten nur noch 92 Rappen wert war, haben wir interveniert. Die Industrie kann nicht verdauen, wenn sich der Franken schockartig aufwertet und weit über 5 Prozent überbewertet ist.   

Global trüben sich die Konjunkturaussichten ein. Was heisst das für die Schweizer Industrie?
Brupbacher: Für einen Sektor, der 80 Prozent seiner Produkte exportiert, sind das keine guten Vorzeichen. Aber dahinter steht etwas, was mir noch viel mehr Sorgen macht.  

Nämlich?
Brupbacher: Nach 1990 hat die globale Öffnung in Schwellenländern Jobs geschaffen, die Armut ist weltweit gefallen und der Wohlstand der Länder wurde ausgeglichener, als er es jemals war. Aber seit etwa zehn Jahren nimmt der Widerstand gegen den globalen Handel zu, die Zeichen stehen auf Protektionismus.  

Bereitet Ihnen das Sorgen? 
Brupbacher: Nicht nur für die Industrie, sondern für unsere ganze, kleine und offene Volkswirtschaft, die vom Export lebt. Protektionismus und Handelskriege waren oftmals die Vorläufer echter Kriege. Als Bürger mache ich mir grosse Sorgen, dass all die Lektionen, die wir aus den ersten 50 Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelernt hatten, in Vergessenheit geraten.  

Stattdessen setzt man auf Konfrontation, es bilden sich wieder Machtblöcke. Wird die Schweiz zwischen USA und China aufgerieben, wie Bloomberg kürzlich schrieb?
Brupbacher: Es besteht eine Herausforderung, aber die haben andere Staaten auch wie Singapur, andere asiatische oder auch arabische Länder. Da muss ein Land genug Stehvermögen haben und sagen: Wir wollen am Konflikt der Grossmächte nicht teilnehmen, das ist nicht unser Konflikt. Selbst wenn wir von den Werten her klar ein westliches Land sind.  

Wie macht sich der Konflikt konkret bemerkbar?
Brupbacher: Indem uns beispielsweise die Amerikaner freundlich darlegen, dass sie eine Investitionsschutzbehörde für die Schweiz gut fänden. Die Industrie will aber keine solche Behörde, denn das würde den Standort Schweiz schwächen. Dann müssen wir halt den Rücken haben und sagen: Nein, da machen wir nicht mit. Wir müssen unsere Flexibilität wahren.  

Und wie sieht es mit China aus?
Brupbacher: Unter westlichen Staaten ist China-Bashing zurzeit Mode. Da sich die Schweiz weiterhin neutral verhält, auf gute Beziehungen und beharrliche diplomatische Arbeit in Menschenrechtsthemen hinter verschlossenen Türen setzt, stehen uns die Türen in China offen.  

Was die Schweiz dazu nutzt, ihr Freihandelsabkommen mit China zu modernisieren? 
Brupbacher: Für uns wäre das wichtig, weil viele Hochtechnologiemaschinen vom geltenden Abkommen ausgenommen sind. Die müsste man reinnehmen, damit unsere Exportindustrie im Wettbewerb mit Konkurrenten etwa aus Deutschland oder Japan bestehen kann. Wenn wir 10 bis 20 Prozent weniger Zoll zahlen, ist der starke Franken plötzlich nicht mehr wichtig.   

Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?
Brupbacher: Höchst unterschiedlich. Einmal pro Woche besuche ich eine unserer super Firmen, das ist für mich jedes Mal ein Höhepunkt. Ansonsten halte ich viele Vorträge, um darzulegen, wie wichtig die Industrie generell ist und was ihr Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel ist. Und mit meinen etwa 100 Kolleginnen und Kollegen von Swissmem bringen wir die Berufsbildung weiter, vertreten die Interessen unserer Firmen in der Politik und beraten sie in verschiedensten Bereichen.  

 Wo hatten Sie die längsten Arbeitstage: im Wirtschaftsdepartement, bei der Partei oder jetzt beim Verband?
Brupbacher: Das war beim Departement. Der Arbeitstag begann um 6 Uhr morgens im Zug und endete oftmals erst um Mitternacht und auch am Wochenende arbeitete ich mehr als heute. Jetzt kann ich sogar meist zwischen halb sieben und halb acht Uhr morgens Sport treiben.  

Und am Abend kommen Sie noch bei Helligkeit nach Hause?
Brupbacher: Nein, am Abend habe ich viele Anlässe, aber Anlässe habe ich gern.  

Wer darf Ihnen privat widersprechen?
Brupbacher: Meine Frau widerspricht mir seit bald 25 Jahren immer wieder. Das ist mit ein Grund, warum wir eine so gute Beziehung haben.  

Den Ausgleich zum Job finden Sie beim Sport?
Brupbacher: Ich betreibe praktisch jeden Morgen Fitnessboxen. Dabei kann man den Kopf abstellen. Das stärkt Ausdauer, Kraft und Koordination. Am Wochenende gehe ich Wandern oder Skifahren. Und wenn immer möglich versuche ich weite, schöne Abenteuerreisen in der Natur mit meiner Frau zu unternehmen.  

Ein besonderes Abenteuer war Ihre Reise nach Taiwan, wo Sie während des Erdbebens nicht wandern konnten, wie auf LinkedIn nachzulesen war. War das schlimm?
Brupbacher: Eigentlich hatten wir riesiges Glück. Wäre das Erdbeben drei Stunden später gekommen, wären wir dort gewesen, wo Menschen umgekommen sind. Ein Erdbeben der Stärke 6,4 ist eine Erfahrung, die man einmal macht, wenn sie gut ausgeht – da bewegt sich alles. Meine Frau machte sich dann auf Linkedin lustig, ich hätte nach dem Erdbeben trotzdem wandern wollen.  

Kochen hingegen gehört anscheinend nicht zu Ihren Freizeitbeschäftigungen. In einem anderen Post meinten Sie, Sie könnten das nicht, würden es aber mit einem Kuhn-Rikon-Dampfkochtopf dennoch wagen. 
Brupbacher: Richtig. Das ist natürlich mein totales Vertrauen in unser Mitglied Kuhn Rikon. Meine Frau fand aber, sie traue meinen Fähigkeiten, den Dampfkochtopf richtig zu bedienen, nicht so sehr. Sie würde doch lieber selber weiterkochen und ich solle ihr dabei weiter zur Seite stehen mit Auftischen und Abdecken.   

Ihr Angebot wurde nicht angenommen, Sie bleiben also weiterhin beim Sport?
Brupbacher: Nein, ich bleibe weiterhin Küchengehilfe. Nach dem Motto: Jeder tut, was er am besten kann.   

Stefan Brupbacher (56) ist in Zürich aufgewachsen. Sein Rechtsstudium schloss er mit dem Doktorat ab. An der John Hopkins University in Bologna und Washington erwarb er den Master für internationale Beziehungen, an der HSG in St. Gallen den Master in internationalem Wirtschaftsrecht. Ins Berufsleben stieg Brupbacher im Staatssekretariat für Wirtschaft Seco ein. Weitere Stationen waren unter anderem Generalsekretär der FDP und Generalsekretär des WBF unter Johann Schneider-Ammann. Seit 2019 ist er Direktor von Swissmem, dem Verband der Schweizer Tech-Industrie. Brupbacher lebt mit seiner Frau, der Chefin des Reha-Unternehmens Vamed, in Zürich.

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