Die Realität ist nur relativ
Politik im Film #7: Wie «Mr. Fix it» mithilfe eines Hollywood-Produzenten einen US-Präsidenten mit einem inszenierten Krieg vor der Abwahl bewahrt.
Wag the Dog (Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt)
USA 1997, von Barry Levinson, mit Robert de Niro, Dustin Hoffman und Anne Heche
Spoiler Alert
Es sind noch elf Tage bis zu den Präsidentschaftswahlen in den USA, als eine minderjährige Pfadfinderin dem Amtsinhaber vorwirft, er habe sich ihr bei einem Besuch im Oval Office ungebührend genähert und sie sexuell belästigt. Noch bevor die Medien erstmals darüber berichten, engagiert das Wahlkampfteam um Präsidentenberaterin Winifried Ames einen Top-Spin-Doctor: Conrad «Mr. Fix it» Brean muss die Wahl retten. Der schrullige Stratege verströmt eine unglaubliche Zuversicht, seine Analysen sind messerscharf, seine Anordnungen präzis – aber immer weit weg von der Realität.
Als einzige Option sieht Brean nämlich, die Aufmerksamkeit der Medien auf einen Krieg zu lenken. Ihm ist natürlich klar, dass man in den USA nur für einen Wahlsieg keinen richtigen Krieg mehr anzetteln kann. Er inszeniert ihn deshalb mithilfe des Filmproduzenten Stanley Motss im Filmstudio («a theme, a song, some visuals»). Den Medien vertraulich zugespielt (vgl. Wie wird Politik dargestellt?), wird in den Nachrichten die Meldung verbreitet, die USA zögen gegen Albanien in den Krieg, weil albanische Terroristen eine Atombombe in einem Koffer versteckt in die USA hätten schmuggeln wollen.
Aufgrund einer Intervention der CIA heisst es kurz darauf in den Medien, der Albanien-Krieg sei beendet. Motss, der sich nicht den Wind aus den Segeln nehmen lassen will und langsam Gefallen an seiner neuen Rolle findet, erschafft als medialen Gegenschlag einen verschollenen Helden namens William Schumann. Mit «Old Shoe» soll nach dem «Teaser» ein zweiter Akt produziert werden. Eine Sympathiewelle für «Old Shoe» wird entfacht und gipfelt in der angeblichen Befreiung Schumanns kurz vor dem Wahltag. Bei einem Unfall wird William Schuhmann aber vom Pächter des Motels erschossen, wo Motss und Brean ihn zum ersten Mal treffen. Nach dem ersten Schreck kommt dies den Spin Doctors durchaus gelegen, können sie doch nun die Bestattung des gefallenen Veteranen auf der Airbase mit allen militärischen Ehren inszenieren.
Der Präsident steht in Umfragen wieder mit grossem Abstand an der Spitze und somit vor einer erfolgreichen Wiederwahl.
Sehenswert für
Lange vor der Debatte um Fake News stellt der Film die Frage, was in der Politik wahr und real sein muss, um eine Wahlkampagne gewinnen zu können. Das Drehbuch, bei dem der hochangesehene Dramaturg David Mamet (The Postman Always Rings Twice, Glengarry Glen Ross, Ronin) mitgearbeitet hat, karikiert den Einfluss von Spin Doctors, von Hollywood-Produzenten und der damaligen Technik für digitale Bildbearbeitung. So hält die Darstellerin eines vom Terror vertriebenen Mädchens einen Chips-Sack in den Armen, den Bildregisseure danach digital in ein weisses Kätzchen verwandeln. Genau in dieser Farbe hatte sich der Präsident das Tier gewünscht.
Siegreiche Strategie
«Just got to distract them»: Ist das Regierungslager mit einem innenpolitischen Problem konfrontiert, lässt sich mit einer aussenpolitischen Krise die öffentliche Meinung wunderbar manipulieren. Diese Strategie, die schon Louis XVI oder Lenin verfolgt haben, wird von «Mr. Fix it» und dem Filmproduzenten zur Perfektion getrimmt: Zettle einen Krieg an, der nur noch fiktiv geführt wird. Allein die Macht der richtigen Bilder – ob real oder fake spielt keine Rolle – garantiert die richtige Wahrnehmung in den Medien und der Öffentlichkeit und kann die öffentliche Meinung entscheidend in die gewünschte Richtung lenken. Was sogar einem Amtsinhaber zur Wiederwahl verhelfen kann, der seine Finger nicht einmal von minderjährigen Schülerinnen lassen kann.
Erfolglose Strategie
Zwei Akteure bleiben mit ihren Ansätzen letztlich auf der Strecke: Der Gegenkandidat im Präsidentschaftswahlkampf hat der Macht der Bilder nichts entgegenzusetzen. Und Hollywood-Produzent Stanley Motss, der sich als Künstler und Allgemein-Genie sieht, entgeht der massgebliche Unterschied zwischen Showbusiness und Politik: Bei Letzterer darf die Inszenierung nie zum Thema werden. Sie muss im Gegenteil vom zentralen Punkt ablenken. Und darum darf der Urheber der Inszenierung auch nie öffentlich in Erscheinung treten, weil sonst die Öffentlichkeit der Inszenierung auf die Schliche käme. Wer es trotzdem wagt («I did this for credit!»), wird zum Staatsfeind. Und endet selbst in Hollywood wie ein russischer Dissident unter Putin.
Wie wird Politik dargestellt?
Der Öffentlichkeit kann man ein X für ein U vormachen, wenn man weiss, was es braucht, und die richtigen Leute kennt. Politik, Unterhaltungsindustrie und Medien sind so eng miteinander verbandelt, dass man den Bürgerinnen und Bürgern auch einen virtuellen Krieg als echten verkaufen kann. Das Kampagnen-Personal ist determiniert und skrupellos. Für eine dringend benötigte Berichterstattung geht eine enge Mitarbeiterin des Präsidenten auch mal mit dem Starreporter ins Bett. Wenn Hollywood und Washington zusammenspannen, bleibt selbst die CIA machtlos.
Die Redewendung «der Schwanz wedelt mit dem Hund» (wag the dog) existierte bereits vor diesem Film. Ihre spezifische Bedeutung im politischen Sprachgebrauch – das Herbeiführen einer nationalen Sicherheitskrise, um von einem innenpolitischen Skandal abzulenken – erhielt sie nur wenige Monate nach der Filmpremiere, als Bill Clinton inmitten des Skandals um Monica Lewinsky Angriffe auf angebliche Al-Qaida-Ziele im Sudan und in Afghanistan befahl.
Clinton blieb nicht allein: Auch George W. Bush, Barack Obama und selbst Donald Trump wurden in der Folge beschuldigt, mit dem Hund zu wedeln.
Themen
Wahlkampf, Krieg, Medien, Hollywood.
Zitat
«Of course there is a war, I’m watching it on television.»