«Föderalismus hat mit Kantönligeist nichts zu tun»

Roland Mayer, Generalsekretär der Konferenz der Kantonsregierungen, erklärt, vor welche Herausforderungen die Pandemie die Kantone und ihre Angelegenheiten gestellt hat. Und was es in der Ukrainekrise für die Stände alles zu koordinieren gibt.

Für Roland Mayer, Generalsekretär der Konferenz der Kantonsredgierungen (KdK), ist der Föderalismus die einzig richtige Staats- und Organisationsform.  Er will mit der (KdK) den Leuten anhand von Beispielen zeigen, welches die konkreten Vorteile von föderalistischen Lösungen sind. (Foto: zvg)

Roland Mayer, was ist für Sie Macht*?

Roland Mayer: In gewissen Funktionen hat man die Möglichkeit, recht viele Dinge zu beeinflussen. Ich würde das aber nicht als Macht bezeichnen. Für mich ist der Begriff negativ konnotiert.

Wer kann mehr beeinflussen: Ihre Konferenz, welche die Kantonsregierungen vertritt, oder die diversen Konferenzen der kantonalen Fachdirektorinnen und -direktoren, wie die Gesundheits- oder die Sozialdirektorenkonferenz?

Mayer: Alle können in ihren Zuständigkeitsbereichen etwas bewegen. Die Konferenz der Kantonsregierungen KdK wurde gegründet, um sich mit Geschäften von genereller staatspolitischer Bedeutung zu befassen und die Mitwirkung der Kantone in der Aussenpolitik zu koordinieren. Die Fachdirektorenkonferenzen bündeln in ihren jeweiligen Themenbereichen die kantonalen Interessen, bringen diese beim Bund ein und versuchen so, etwas zu bewegen. Wenn ein Thema sektorübergreifend wird, greift man oft auf die KdK zurück. Wir bilden den konsolidierten Gesamtwillen der einzelnen Kantonsregierungen ab, unsere Stellungnahmen erfordern ein Quorum von 18 Kantonsregierungen – das kann der Bund nicht so einfach ignorieren.

Die Pandemie war ein sektorübergreifendes Problem. Dennoch blieb es still um die KdK, während sich die Fachkonferenzen regelmässig in die politische Diskussion einmischten. Warum?

Mayer: Die KdK nimmt Stellung, nachdem in einem ersten Schritt alle Kantonsregierungen konsultiert worden sind und sich diese in einem zweiten Schritt auf eine gemeinsame Position geeinigt haben. In der Pandemiebewältigung musste man zum Teil schneller reagieren. Wir waren aber nicht untätig. Die KdK bezog Position zum Covid-Gesetz und engagierte sich erfolgreich in den parlamentarischen Beratungen sowie in zwei Volksabstimmungen. Im Haus der Kantone sorgten wir dafür, dass die verschiedenen involvierten Konferenzen miteinander ins Gespräch kommen konnten.

Hat das geklappt?

Mayer: Nicht besonders gut, aus zwei Gründen: Dem Bund ist es nicht gelungen, organisatorisch ein ganzheitliches und breit abgestütztes Krisenmanagement einzusetzen. Zudem wurde zu lange zu wenig vorausschauend agiert. Man hat es versäumt, in Szenarien zu denken und hatte letztlich so nie die Zeit, die betroffenen Politikbereiche und die Kommunikation aufeinander abzustimmen.

Was hätte der Bund besser machen können?

Mayer: Der Bund hatte klar den Lead. Wenn er eine Krisenorganisation aufgezogen hätte, in die alle massgeblichen Kräfte einbezogen worden wären, hätte es viele Diskussionen so wohl nicht gegeben. Verbesserungspotenzial gibt es aber auch auf Seiten der Kantone, das zeigt der KdK-Schlussbericht zum Covid-Krisenmanagement auf. Die Pandemie wäre wohl noch besser zu meistern gewesen.

«Die Konferenz dient als Scharnier in wichtigen staatspolitischen und aussenpolitischen Dossiers», steht auf der KdK-Webseite. Was heisst das in Bezug auf die Ukrainekrise?

Mayer: Die aussen- respektive die neutralitätspolitische Diskussion über die Frage, ob und wie die Schweiz Sanktionen mitträgt, wird auf Bundesebene geführt. Die Kantone sind betroffen, wenn es um die Umsetzung der Sanktionen und vor allem um die Unterbringung, Betreuung und Begleitung von Flüchtlingen geht. Das ist eine Aufgabe, die viele Politikbereiche betrifft, deshalb spielen wir auch hier eine koordinierende Rolle.

Wie genau?

Mayer: Wir unterstützen die hier zuständige Sozialdirektorenkonferenz SODK und die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren KKJPD. Einerseits mit unserem Know-how in der Ausländerintegration, einem Thema, das wir selber bearbeiten. Wir führen die Geschäftsstelle der kantonalen und kommunalen Integrationsdelegierten. Andererseits organisieren wir im Haus der Kantone den wöchentlichen Austausch unter den betroffenen Konferenzen und unterstützen die SODK bei Kommunikationsfragen, da diese keine spezifische Kommunikationsstelle hat. Wir wirken da also vor allem im Hintergrund und helfen beispielsweise mit, wenn Umfragen bei den Kantonen zu organisieren sind.

Vor allem zu Beginn wurden die Ukraine-Flüchtlinge je nach Kanton höchst unterschiedlich behandelt. Haben Sie da bereits koordiniert?

Mayer: Grundsätzlich müssen die Kantone entscheiden, ob sie einen Koordinationsbedarf haben, wir handeln nicht ohne Auftrag. Ich bin allerdings überzeugt: Viele Wege führen nach Rom! Die Tatsache, dass es zwischen den Kantonen Unterschiede gibt, ist nicht per se falsch. Ich gehe davon aus, dass die Kantone jeweils Unterbringungs- und Betreuungskonzepte haben, die auf den lokalen Kontext zugeschnitten sind und sich nicht zuletzt auch deshalb unterscheiden – die Rahmenbedingungen sind im Kanton Genf eben anders als im Kanton Uri.

Wie viel mehr als die aktuell 50’000 ukrainischen Flüchtlinge kann das System ertragen?

Mayer: Das ist sehr schwierig abzuschätzen. Ich kann nicht spekulieren, wann unser System an die Belastungsgrenze kommen wird, glaube aber nicht, dass wir schon dort sind.

Beim Europadossier bewegt sich schon länger nichts. Müsste die KdK nicht stärker orchestrieren?

Mayer: Wir sind sehr stark am Orchestrieren. Die Kantone haben meines Wissens keine unterschiedlichen Signale ausgesendet. Sie haben im Gegenteil in den letzten zehn Jahren eine kohärente Position vertreten, die jedoch nun mit dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Abkommen gescheitert ist. Jetzt müssen wir uns deshalb überlegen, wie es aus Sicht der Kantone weitergehen soll.

Tun Sie das?

Mayer: Wir sind daran. Die Kantonsregierungen werden im Rahmen der KdK eine erste politische Grundsatzdiskussion führen. Ich gehe davon aus, dass da keine riesigen Unterschiede in der Beurteilung bestehen. In den wesentlichen Punkten sind sich die Kantone einig.

Zu den Schwerpunkten zählt auch die Förderung des Föderalismus. Was ist darunter zu verstehen?

Mayer: Wir versuchen, das Verständnis für den Föderalismus auf allen Ebenen zu stärken, bei den Politikerinnen und Politikern ebenso wie bei der Verwaltung und der ganzen Bevölkerung. Dabei versuchen wir stets, die Stärken föderaler Lösungen in den Vordergrund zu rücken. Für die Schweiz ist der Föderalismus die einzig richtige Staats- und Organisationsform. Wir versuchen, den Leuten anhand von Beispielen zu zeigen, welches die konkreten Vorteile sind, und setzen uns politisch für föderalistische Lösungen ein.

Propagieren Sie den Kantönligeist?

Mayer: Nicht den Kantönligeist, sondern einen gesunden Föderalismus. Dieser beinhaltet, dass gewisse Bereiche von den Kantonen geregelt werden sollten. Andere muss man gemeinsam angehen und wieder andere übernimmt besser der Bund. Das ist ein ganz einfaches Prinzip und hat mit Kantönligeist überhaupt nichts zu tun.

Sie sind seit einem Vierteljahrhundert bei der KdK. Wie hat sich deren Bedeutung in dieser Zeit geändert?

Mayer: Es gab drei Phasen: Am Anfang mussten wir föderalistische Prinzipien gegenüber dem Bund klarstellen. Dieser schwierigen Phase folgte eine, in welcher der Föderalismus sehr gut funktionierte. Das erlaubte, schwierige Diskussionen, wie jene über den Finanzausgleich, zu einem guten Ende zu führen. Die letzte Phase war jene der Pandemie, in der irgendwelche Themen, die zuvor immer akzeptiert worden waren, urplötzlich zu einem riesigen Problem stilisiert wurden, und die Rede von Kantönligeist oder Flickenteppich war.

Das war doch der Fall?

Mayer: Seit Jahrzehnten gelten in diesem Land unterschiedliche Öffnungszeiten sowohl der Restaurants als auch der Läden, je nach Stadt und je nach Kanton. Es hat nie jemanden gestört. Und plötzlich, in einer Pandemie, musste alles einheitlich geregelt sein. Das ist psychologisch verständlich, aber sachlich nicht unbedingt nachvollziehbar.

Mit der schwierigen ersten Phase sprechen Sie das historische Referendum an, welches die Kantone vor 20 Jahren gegen das Steuerpaket des Bundes ergriffen hatten. Wird die Macht der Kantone seitdem anerkannt?

Mayer: Das Referendum war offenbar notwendig, um der eidgenössischen Politik in Erinnerung zu rufen, dass Reformen nur im Konsens erzielt werden können. Diese Erkenntnis hat sich im Nachgang zum Referendum wieder gefestigt, ist nun aber wieder in Frage gestellt, da viele Kreise der Auffassung sind, der Bund könne eigenmächtig besser handeln.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Job am besten?

Mayer: Die unglaubliche Themenvielfalt bei der KdK ist absolut faszinierend. Wir befassen uns mit fast der gesamten Bandbreite aller möglichen und unmöglichen politischen Themen.

Wer darf Ihnen privat widersprechen?

Mayer: Jeder und jede.

Womit lenken Sie sich nach Feierabend am liebsten ab?

Mayer: Mit Gartenarbeit. Ich habe einen grossen Garten rund ums Haus, der gepflegt werden muss.

Roland Mayer (58) ist in Winterthur aufgewachsen, hat in Neuchâtel Rechtswissenschaften studiert und sich anschliessend in europäischem Recht weitergebildet. Nach dem Berufseinstieg in Anwaltsbüros in Brüssel und Zürich wechselte er 1996 zur Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), deren Geschäftsstelle er seit vier Jahren als Generalsekretär leitet. Der Vater von vier erwachsenen Kindern wohnt mit seiner Ehefrau in Fribourg.

*In der Schaltzentrale der Macht
Sie sitzen auf entscheidenden Positionen, aber selten im Rampenlicht: Generalsekretäre von Parteien oder eidgenössischen Departementen, Geschäftsführerinnen von Verbänden oder Direktoren von Nichtregierungsorganisationen. Braucht die Schweiz politische Lösungen, helfen sie diese zu entwickeln. In regelmässigen Abständen wollen wir im Gespräch die Schaltzentralen der Macht ausleuchten.

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