Grosse Diktatoren sind gar nicht so gross
Politik im Film #11: Wie Charlie Chaplin Tyrannen der Lächerlichkeit preisgibt
The Great Dictator (Der grosse Diktator)
USA 1940, von und mit Charlie Chaplin
Spoiler-Alert
Die letzten Tage des Ersten Weltkriegs: Ein verwundeter Kampfpilot bittet den Soldaten, der ihm das Leben rettet, ihm bei seiner Mission zu helfen und bei der Überbringung kriegsentscheidender Dokumente zu begleiten. Ihr Flugzeug stürzt aber mit leerem Tank ab, und Tomanien verliert den Krieg.
Zwanzig Jahre später kehrt der Soldat nach langem Koma und mit totalem Gedächtnisverlust an seinen Arbeitsort zurück, in seinen Coiffeursalon im jüdischen Ghetto. Sein Doppelgänger, Adenoid Hynkel, ist inzwischen mit dem Emblem des Doppelkreuzes Diktator von Tomanien geworden. Der Kampfpilot, Schultz, ist zum Kommandanten des jüdischen Ghettos aufgestiegen. Dessen Bewohnerinnen und Bewohner werden von «Storm Troopers» terrorisiert. Der Coiffeur verliebt sich in die Nachbarin Hannah, gemeinsam leisten beide Widerstand.
Als ein jüdischer Bankier Hynkel keine weiteren Kredite gewähren will, ordnet dieser Vergeltungsmassnahmen gegen die jüdische Bevölkerung an. Schultz lehnt dies ab und flieht ins Ghetto. Dort wird er zusammen mit dem Coiffeur verhaftet. Hannah und ihre Familie schaffen es, ins benachbarte Osterlich zu flüchten. Osterlich bleibt aber nicht sicher. Hynkel lädt den «Brother Dictator» Benzino Napoloni aus Bacteria zu einem Staatsbesuch ein, um zu klären, wer das Nachbarland erobern darf. Anschliessend lässt Hynkel seine Armee in Osterlich einmarschieren.
Gleichzeitig können Schultz und der Coiffeur in gestohlenen Uniformen nach Osterlich flüchten. Der Coiffeur wird von den tomanischen Invasoren mit seinem Doppelgänger Hynkel verwechselt und an einer grossen Militärparade vor das Mikrofon gestellt. Nach der Einleitung mit «I’m sorry but I don’t want to be an emperor» hält er ein flammendes Plädoyer für Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie und wendet sich darin auch direkt an Hannah. Hynkel wird auf der Entenjagd mit dem geflohenen Coiffeur verwechselt und verhaftet.
Sehenswert für
Angesichts der Gräueltaten der Nazis ist eine Hitler-Komödie eine Gratwanderung mit grosser Absturzgefahr. Chaplin selber schrieb in seiner Autobiographie zwei Jahrzehnte später, er hätte den Film nicht machen können, wenn er um das Ausmass des Schreckens der Konzentrationslager gewusst hätte.
Unabhängig vom historischen Ursprung und Fragezeichen zur Adäquatheit im Entstehungskontext ist Chaplins erster Tonfilm eine einmalige Verbindung von Slapstick, humanitärem Pathos und Politik. Und wenn eine grosse Demokratie eine Figur mit einem Putschversuch im Lebenslauf wieder als Staats- und Regierungschef installiert und aus der Inaugurationsfeier Bilder von römischen Grüssen um die Welt gehen, ist Humor als Waffe gegen Tyrannen wohl aktueller denn je.
Siegreiche Strategie
Innerhalb des Films setzt sich die Menschlichkeit eher dank Glück und Zufall als mit einer Strategie durch. Im historischen Kontext ist Chaplins erster Tonfilm ein Beitrag zum Kampf gegen den Faschismus durch die Demontage seines Führungspersonals mit den Mitteln der Komödie: «Hitler must be laughed at».
Erfolglose Strategie
Im Film scheitert Adenoid Hynkel daran, dass er einen Doppelgänger hat, der im entscheidenden Moment in einer gestohlenen Uniform eher wie ein Diktator aussieht als er selbst in seinem Jagdkostüm. Wo Macht eine leere Inszenierung ohne inhaltliche Legitimation ist, geht sie verloren, sobald die Insignien vertauscht werden. Auf der Metaebene nimmt Chaplin der faschistischen Grossspurigkeit ihre Durchschlagskraft, indem er sie als Kaschierung enormer Unsicherheit entlarvt.
Wie wird Politik dargestellt?
Dem politischen Personal geht es nur um die eigene Grösse. Hynkels Reden sind unverständliches Kauderwelsch, bezüglich Tonalität und Körpersprache perfekt parodiert, auf der Basis von Leni Riefenstahls «Triumph des Willens» einstudiert (bei dessen erster Sichtung Chaplin lauthals aufgelacht haben soll). Hofiert wird er von Kriegsminister Herring und Innenminister Garbitsch, devoten Schmeichlern, die in Tränen der Rührung ausbrechen, wenn Hynkel sie lobt, die sich aber auch gnadenlos demütigen lassen. In freien Minuten posiert der Diktator synchron für ein Gemälde und eine Büste und spielt mit einem riesigen Globus Weltherrscher.
Neurotisch ist auch Hynkels Verhalten gegenüber seinem Diktatorenfreund Napoloni: Hynkel getraut sich nicht, Napolonis Anruf entgegenzunehmen, und reagiert zugleich eingeschüchtert und aggressiv, als Napoloni ihm bei gemeinsamen öffentlichen Auftritten die Show stiehlt. Die beiden verwickeln einander laufend in absurde Auseinandersetzungen, die über die Grösse von Tischen und die Höhe von Stühlen ausgetragen werden. Ihr Machtkampf beinhaltet auch eine physische Schlacht am Buffet, in der sich die beiden Männer mit Würsten und Spaghettischüsseln bewerfen.
Zitat
«You the people have the power, the power to create machines, the power to create happiness. You the people have the power to make life free and beautiful, to make this life a wonderful adventure. Then in the name of democracy let’s use that power. Let us all unite. Let us fight for a new world, a decent world that will give men a chance to work, that will give you the future and old age and security. Let us fight to free the world, to do away with national barriers, do away with greed, with hate and intolerance. Let us fight for a world of reason, a world where science and progress will lead to all men’s happiness. Let us all unite!»
Themen
Diktatoren, Totalitarismus, Krieg, Terror, Verfolgung