Fit sein für die Wirtschaft von morgen
Wie sich die Chefs börsenkotierter US-Firmen auf die neue Ära des Welthandels vorbereiten und über die Fragen der Zukunft denken.
Die Aktienmärkte auf Rekordniveau, die Technologiebegeisterung auf einem Höhepunkt und die US-Wirtschaft, die die meisten anderen weltweit übertrifft – Erinnerungen an die Boomzeiten der 1990er-Jahre. Doch die heutigen Geschäftsbedingungen könnten nicht unterschiedlicher sein. Eine Umfrage des Oliver Wyman Forums und der New York Stock Exchange (NYSE) im zweiten Quartal 2024 bei über 100 CEOs gelisteter Unternehmen zeigt ein komplexes Bild.
Viele Kräfte, die das Unternehmenswachstum in den 1990er-Jahren und bis weit ins 21. Jahrhundert hinein angetrieben haben – wie Disinflation, niedrige Kapitalkosten, Deregulierung, Freihandel, Arbeitsmobilität und geopolitische Stabilität –, haben sich gewendet oder sind gefährdet. Selten war das Geschäftsumfeld gleichzeitig so vielversprechend und so unsicher. Heutige CEOs haben nicht den Wind im Rücken – sie segeln direkt gegen ihn an.
Der Protektionismus ist wieder da
Die grösste Sorge der CEOs, die von 54 Prozent der Befragten geteilt wird, ist die Möglichkeit staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft durch Regulierung, Protektionismus und Industriepolitik – ein grundlegender Wandel nach Jahrzehnten der Deregulierung, des Freihandels und der Laissez-faire-Vorherrschaft. An zweiter Stelle der Sorgenliste steht mit 51 Prozent die Kombination aus volatiler Inflation und höheren Zinssätzen. Die drittgrösste Sorge ist die geopolitische Instabilität, die von 37 Prozent der Geschäftsführenden genannt wurde.
Um in den kommenden Jahren «Alpha» oder Management-Überperformance zu erzielen, müssen CEOs Wachstums- und Effizienzziele ausbalancieren, Lieferketten umgestalten, um globale Risiken zu managen, Arbeitsstrategien modernisieren und konkurrierende interne und externe Prioritäten in einer Ära technologischer, demografischer und sozialer Umwälzungen harmonisieren.
Der Freihandel ist weltweit massiv unter Druck
Weltweit legen Regierungen mehr Wert auf wirtschaftliche Sicherheit als in den letzten Jahrzehnten. Sie verhängen Zölle und starten industriepolitische Initiativen. Dies zwingt CEOs dazu, neue Wege zu finden, um in einem ungleichen Wettbewerbsumfeld erfolgreich zu sein. 86 Prozent der Führungskräfte grosser und mittelgrosser Unternehmen planen in den nächsten ein bis zwei Jahren Massnahmen zur Bewältigung geopolitischer Instabilität, Protektionismus und staatlicher Industriepolitik.
Regionale Blöcke gewinnen an Bedeutung, während sich die Globalisierung weiterentwickelt. Rund 60 Prozent der CEOs planen, ihre Exponierung in risikoreicheren Regionen zu reduzieren, um geopolitische Unsicherheiten, Zölle und Industriepolitik anzugehen. Etwas mehr als ein Drittel (38 Prozent) regionalisiert seine Operationen und entwickelt lokale Lieferketten. Nur 16 Prozent planen, ihre Operationen (wieder) ins Inland zu verlagern, was zeigt, dass die Globalisierung nicht zurückgeht, sondern für eine neue Ära ganz neu gedacht werden muss.
Die Überzeugung, dass geopolitische Faktoren und Krisen nun ein permanentes Merkmal des Geschäftsumfelds seien, führt dazu, dass CEOs die Geschäftskontinuität und Krisenmanagementpläne ihrer Unternehmen stärken. Sie befähigen auch lokale und regionale Managementteams, um agiler auf die Bedingungen vor Ort reagieren zu können.
Steigerung der Arbeitsleistung in einer unruhigen Welt
Das heutige Umfeld, in dem alles gleichzeitig passiert, stellt auch Herausforderungen für das Personalmanagement dar. Die Pandemie hat die «Great Resignation» und das Phänomen des «Quiet Quitting» ausgelöst, was Führungskräfte dazu zwingt, wesentliche Elemente ihrer Talentstrategien zu überdenken. Jetzt erweist sich generative KI bereits als disruptiv.
CEOs erkennen, dass Unternehmen mit flexiblen Betriebsmodellen am besten gerüstet sind, um sich an schnell ändernde Geschäftsbedingungen anzupassen. Rund 59 Prozent gaben an, dass ihre oberste Priorität im Personalbereich darin bestehe, Geschäftssilos abzubauen, um ein einheitlicheres Unternehmen zu schaffen. Um die Bedenken der Mitarbeitenden hinsichtlich KI-bedingter Arbeitsplatzverluste zu mildern, setzen 31 Prozent der befragten CEOs auf Investitionen zur Schliessung kritischer Qualifikationslücken und zur umfassenden Umschulung der Belegschaft. Ebenso viele setzen auf die Weiterbildung von Managern, um sich an neue Arbeitsweisen und Marktbedingungen anzupassen.
Heutzutage müssen CEOs nicht nur ihre Märkte, Kunden, Aktionäre, Kapitalstruktur und Geschäftsmodelle im Blick behalten, sondern auch die Unternehmenskultur festigen, die Mission und den Unternehmenszweck definieren und die Ziele von Tausenden von Mitarbeitenden in Einklang bringen, deren persönliche Ansichten möglicherweise nicht übereinstimmen.
Bisher scheinen sie auf dem richtigen Weg zu sein. Sieben von acht Befragten gaben an, über Rahmenwerke oder Richtlinien zu verfügen, um Mitarbeitende in Krisenzeiten zu unterstützen und eine einheitliche Kultur zu schützen, die eine Polarisierung unter den Mitarbeitenden vermeidet. Mehr als 70 Prozent haben Rahmenwerke, um den kommerziellen Fussabdruck des Unternehmens an seine Werte anzupassen.
Wetten auf KI zur Förderung von Wachstum und Wert
Künstliche Intelligenz ist das klarste Beispiel für die neue Wachstumsagenda in der Praxis. Der überwältigende Konsens unter den CEOs besteht darin, dass KI der beste Weg sei, um gleichzeitig auf Umsatz und Kosten zu fokussieren. Ganze 98 Prozent der befragten CEOs grosser Unternehmen gaben an, KI als Chance für ihr Geschäft und nicht als Risiko zu betrachten. Sie nannten eine Kombination von Zielen: Mehr als 90 Prozent investieren in KI für Effizienz, Kundeninsights und zur Risikoreduzierung im Betrieb, während 88 Prozent investieren, um die Produktivität der Belegschaft zu steigern.
Der Weg nach vorne
Die erfolgreichsten CEOs der nächsten Jahre werden diejenigen sein, die inmitten von Unsicherheit flexibel bleiben und frühzeitige Warnsignale nutzen, um Mehrwert zu schaffen. Diese erste Umfrage ist nur eine Momentaufnahme und spiegelt die Einstellungen im Jahr 2024 wider. Es bleibt abzuwarten, wie sich demografische Veränderungen und Technologie in den kommenden Jahren auf das Wachstum auswirken werden. Ebenso ist unklar, wie generative KI langfristigen Wert und Umsatzmöglichkeiten schaffen wird, wie die Lieferketten in Zukunft aussehen werden und ob die neuen Arbeitsweisen erfolgreich sein werden. Diese Erkenntnisse sind der Beginn einer längeren Diskussion über Führung in einer Ära der Unvorhersehbarkeit.