Einschneidende Veränderung: Im Homeoffice finden die wichtigen persönlichen Begegnungen, auf die schon die Jäger und Sammler angewiesen waren, nicht mehr statt. (Bild: Shutterstock)

Homeoffice ist für alle ein neues Abenteuer. Beziehungen zu Kolleginnen, Mitarbeitenden, Kunden und Partnern werden digitalisiert und atomisiert. Wir sitzen allein zu Hause vor dem Monitor mit Headset im Ohr, daneben das Smartphone, diskutieren, verhandeln und brainstormen über Videokonferenzen und virtuelle Meetingräume. In der ersten Homeoffice-Woche hatten wir mit technischen und organisatorischen Problemen zu kämpfen, in der zweiten finden wir uns zwar besser zurecht, stellen aber fest, wie ermüdend das alles ist. Es braucht alles viel mehr Zeit, und vor allem, man vermisst die Menschen, konkret: die persönliche, die menschliche Nähe, die über das rein Digitale hinausgeht.

Kultur entstand vor 300’000 Jahren
Wie wichtig diese Nähe für uns ist sowie starke Netzwerke und den persönliche Austausch untereinander zu haben – egal ob reell oder virtuell -, zeigt eine Studie der Universität Zürich. Vor rund 300‘000 Jahren lebten unsere Vorfahren in kleinen Verbänden als Jäger und Sammler. In dieser Lebensweise liegt vermutlich die Wurzel für den Erfolg der Menschheit. Denn damals fingen die Menschen an, ihr individuelles Wissen untereinander auszutauschen, zu kombinieren und so innovative Lösungen zu finden. Diese Fähigkeit unterscheidet uns von unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen.

Einen Einblick in diesen Prozess ermöglichen die wenigen noch heute als Jäger und Sammler lebenden Gesellschaften wie die Agta auf den Philippinen. Andrea Migliano und Lucio Vinicius vom Institut für Anthropologie der Universität Zürich sowie Federico Battiston von der Central European University in Budapest haben nun das soziale Netzwerk der Agta analysiert, um besser zu verstehen, wie Kultur in einem solchen Umfeld entsteht. Dabei wurden erwachsene Agta mit Tracking-Geräten ausgestattet.

Gegenseitige Besuche statt Social Media
Diese Geräte dokumentierten Tausende von Interaktionen und lieferten ein umfassendes Bild der sozialen Struktur: Erwartungsgemäss hatten die Agta am meisten Kontakt mit den Bewohnern ihrer eigenen Camps, doch es fanden auch fast täglich Besuche zwischen den verschiedenen Lagern statt. «Man könnte sagen, diese Besuche sind die sozialen Medien der Jäger und Sammler», sagt Erstautorin Andrea Migliano. «Wenn wir eine Lösung für ein Problem brauchen, gehen wir online und holen uns Informationen aus mehreren Quellen. Die Agta nutzen ihr soziales Netzwerk auf genau die gleiche Weise.»

Die Erfindung eines Heilmittels simulieren
Die Forscherinnen und Forscher simulierten das Agta-Netzwerk am Computer und damit die komplexe Entwicklung eines pflanzlichen Heilmittels. Im fiktiven Szenario tauschen die Menschen bei jeder Begegnung ihr Wissen über Heilpflanzen aus und kombinieren diese zu besseren Medikamenten. So entsteht nach und nach über mehrere Zwischenstufen ein hochwirksames neues Heilmittel.

Menschliche Interaktion beschleunigt Innovation
Im nächsten Schritt simulierten die Forschenden das gleiche Szenario mit einem künstlich geschaffenen Netzwerk, bei dem alle Mitglieder gleichzeitig alle Informationen erhalten und so immer auf dem gleichen Stand sind. Überraschenderweise dauerte es unter diesen Bedingungen länger, bis das neue Heilmittel gefunden war. Die Erklärung dafür: In einem idealen Netzwerk geht es immer nur einen Schritt nach dem anderen voran. Dagegen können sich in einem sozialen Netzwerk neue Erkenntnisse auch parallel in kleinen Grüppchen entwickeln, was letztendlich für einen schnelleren Fortschritt sorgt.

Jetzt erst recht netzwerken
Was können wir daraus lernen. Erstens gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, dass «eine soziale Struktur aus kleinen, miteinander vernetzten Gemeinschaften die kulturelle Entwicklung unserer Vorfahren erleichtert hat». Das heisst für uns, den mehrheitlich zu Homeoffice Gezwungenen: Wir benötigen den sozialen Kontakt in diesen Zeiten erst recht. Wir müssen mit Kolleginnen, Mitarbeitenden, Kunden und Partnern im Kontakt bleiben, welche Einsamkeit und Isolation in der Regel schwer ertragen. Und wir müssen weiterhin kreativ bleiben, unser Wissen, unsere Ideen diskutieren, erörtern, verwerfen, weiterentwickeln, um weiterzukommen. Gerade in dieser ausserordentlichen wirtschaftlichen Situation, die viele Unternehmen und Institutionen vor zum Teil existenzielle Probleme stellt, sind Anpassung, Weiterentwicklung und Innovation unabdingbar. Und zwar in Netzwerken – in Zeiten des Homeoffice eben über virtuelle Konferenzen und Meetings.

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