Design Thinking hilft, dass sich Firmen wieder auf das Wesentliche fokussieren: auf die wahren Bedürfnisse ihrer Kunden. (Bild: Fotolia)

Alles spricht von Design Thinking. Ist das ein Hype aus dem Silicon Valley?
Reto Wampfler: In der Regel gibt es vier betriebswirtschaftliche Grössen, die ein Unternehmen beeinflussen: Umsatz, Kosten, Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterzufriedenheit. Früher genügte es, wenn ein Unternehmen ein Produkt entwickelte und dieses auf den Markt brachte. In der Regel stiegen Umsatz und Gewinn. Das funktioniert heute nicht mehr. Die Märkte sind komplexer und dynamischer geworden, die Kunden unberechenbarer. Design Thinking ist eine Methode, um mit dieser neuen Situation umzugehen und gleichwohl die vier betriebswirtschaftlichen Grössen positiv zu beeinflussen.

Woher kommt dieser Ansatz?
Interessanterweise aus dem Militär. Es geht mit Design Thinking darum, schnell auf sehr komplexe Situationen zu reagieren, neue Teams zusammenzustellen und diese auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Dazu braucht es neue Arbeitsmethoden. Die Welt verändert sich, die Probleme werden komplexer. Diese disruptiven Themen, mit denen das Militär nach dem Fall der Mauer in den 1990er-Jahren konfrontiert wurde, finden sich zunehmend in der Wirtschaft. Plötzlich müssen sich Hoteliers und Taxifahrer mit neuen Akteuren wie Uber und Airbnb auseinandersetzen. Vor dieser Komplexität und Dynamik fürchten sich viele Unternehmer und Manager. Sie wissen nicht, woher neue Firmen kommen, die ihre Geschäftsmodelle herausfordern.

Was ist der Kern von Design Thinking?
Es ist der Mensch, immer der Mensch. Sehr häufig werden neue Dienstleistungen und Produkte kreiert, welche Ingenieure ersonnen haben, ohne dass sie an den Endkonsumenten, den Menschen und dessen Bedürfnisse, denken. Man stelle sich nur TV-Fernbedienungen oder all die Features eines Backofens vor. Design Thinking geht den Prozess genau umgekehrt an. Am Anfang und im Mittelpunkt stehen immer die Menschen und ihre Bedürfnisse. Das hört sich sehr simpel an, ist es in der Realität aber nicht. Design Thinking hat stets einen klaren Fokus. Das iPhone darf nach wie vor als klassisches Beispiel herhalten.

Ist das nicht ein Widerspruch zur steigenden Komplexität?
Eben nicht. Denn Komplexität lässt sich allen Unkenrufen zum Trotz nicht reduzieren. Sie ist gegeben. Marktveränderungen, Dynamik und Globalisierung kann man weder stoppen noch reduzieren. Stellt sich also die Frage: Wie gehen Unternehmen damit um? Meine Antwort lautet: Fokus. Design Thinking fokussiert nur auf Antworten und Lösungen, welche die Probleme und die Komplexität der Menschen reduzieren. Das ist gerade in einer technisch orientierten Umgebung zentral.

Wie geht ein Design Thinker vor?
Er hört zunächst zu und macht sich ein Bild nach dem Motto «hear and see». Wer sind die Kunden, wie verhalten sie sich, was machen und was brauchen sie? Ein Design Thinker gewinnt ein gesamtheitliches Bild und beginnt zu strukturieren. Zweitens überlegt er sich in der «create»-Phase, was ist den Kunden und dem Unternehmen wirklich wichtig? Neue Produkte und Dienstleistungen werden sehr bewusst gestaltet. Und drittens geht es um das «deliver», um die Umsetzung. Design Thinking heisst nicht, nur lustige und coole Ideen zu entwickeln, sondern das Produkt bis zum Markteintritt zu begleiten.

Also mehr als ein Kreativ-Workshop?
Design Thinking begleitet einen gesamten Prozess, ist ein Geschäftsmodell, das nicht bei der Kreation aufhört, wobei die Kreation ein wichtiger Bestandteil des Design Thinking ist. Denn in dieser Phase werden sehr viele Haltungen neu definiert, es geht häufig ums Change Management. Tolle Beispiele sind Unternehmen wie Hilti, Ikea, aber auch viele kleinere KMU. Ihnen ist es gelungen, sich weiterzuentwickeln, und zwar indem sie stets an den Kunden denken, an seine Bedürfnisse und Erlebnisse.

Es gibt Branchen wie der Detailhandel oder der Tourismus, die mitten in einem Strukturwandel stehen. Hätte man diesen mit Design Thinking nicht aufhalten können?
Ich finde die Frage mit dem Verb «aufhalten» interessant. Wenn wir etwas «aufhalten» wollen, dann ist Design Thinking die falsche Methode. Geht es hingegen darum, den Prozess frühzeitig und richtig zu begleiten, dann ist Design Thinking genau richtig. Damit sollen gewisse Ideen neu gedacht, weiterentwickelt und weitergebracht werden. Das nennt man auch Transformation.

Lässt sich Design Thinking auf die Politik anwenden? Im Militär und in der Wirtschaft wird die Methode bereits angewendet.
Das wäre eine grandiose Herausforderung, denn das wäre neu. Es gibt ein Beispiel, das mir gefällt. Im Südafrika gab es Probleme mit den Minen. Man flog Design Thinker aus dem Silicon Valley ein. Interessanterweise waren sie es, die im Gegensatz zu den hierarchisch strukturierten südafrikanischen Managern keine Probleme hatten, die dunkelhäutigen Arbeiter zu befragen. Da sieht man, was die Kultur alles ausmacht.

Was heisst das nun auf die Politik übertragen?
Dass man vielleicht gar nicht daran denkt, eine Kommissionssitzung anders anzugehen, weil sie seit jeher so abgehalten wird, und sich dieses Prozedere in die politische Kultur eingraviert hat. Das verhindert eine Veränderung, eine Transformation. Kommt hinzu, dass ein Design Thinker komplett neutral ist, also alle Fragen stellen kann.

Wie würde ein Design Thinker die Schweizer Europapolitik in neue Bahnen lenken?
Zunächst würde ich schauen, wer überhaupt die Kunden, die Stakeholder der Europapolitik, sind. Diese würde ich danach befragen, was sie überhaupt wollen. Sobald man dieses erfahren hat, bringt man sie alle an den Tisch und schaut, was der kleinste gemeinsame Nenner ist. Auf diesem kann man dann aufbauen. Das hört sich zwar nicht alles wahnsinnig neu an, neu ist jedoch, dass man die Stakeholder sehr strukturiert befragt. Ich habe sehr häufig das Gefühl, dass man die politischen Prozesse falsch angeht, indem die Menschen eben nicht von Anfang an im Zentrum stehen und ihre Bedürfnisse nicht abgeholt werden.

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