Online Werbung scheint aufgrund der vermeintlichen «Zählbarkeit» grosse Vorteile gegenüber klassischen Medien zu haben. Beim genaueren Hinschauen muss man aber feststellen, dass es digital viel einfacher ist Werbung zu simulieren oder Zahlen und Reports zu fälschen.  (Foto: Shutterstock)

Es tönt völlig irre, ist aber tatsächlich eine ernste Angelegenheit. Eine grosse, namhafte Tech-Firma aus dem Silicon Valley investiert hunderte Millionen Franken in Internet-Werbung und wird grausam abgezockt. Wie das Unternehmen dies herausfand? Purer Zufall. Das hat jetzt ein ehemaliger Uber-Manager verraten. Zur Erinnerung: Vor drei Jahren hat Taxi-Gigant Uber Dentsu Aegis Mobile Digital Spezialagentur Fetch auf Verschwendung seines Mediabudgets in Form von Ad-Fraud und Viewability verklagt. Der Vorwurf: «Dutzende Millionen Dollars nicht sichtbare oder betrügerische Onlinebanner wurden gekauft und vor Uber verborgen».

Wie Uber überhaupt auf die Idee gekommen war, dass bei den für teures Geld gekauften Ads etwas faul sein könnte, war bisher nicht bekannt. Bis Kevin Frisch, ehemaliger Head of Performance, Marketing and CRM bei Taxi-Gigant Uber, in einem Marketing-Podcast kurz vor Weihnachten auftrat. Was er dort erzählte, dürfte so manchem Verantwortlichen für Werbung und Performance in den unterschiedlichsten Branchen noch länger Kopfweh bereiten. Uber-Manager kamen den Betrügern nur auf die Spur, weil sie aufgrund des öffentlichen Drucks Werbung bei rechtsextremen Portalen blocken wollten.

Trumps «Travel-Ban» stand am Anfang

Um den Kontext zu verstehen, braucht es einen Blick zurück, nämlich zum Januar 2017. Damals ordnete der kurz zuvor ins Amt gekommene US-Präsident Donald Trump mit einem Exekutiv-Erlass an, dass Reisende aus sieben muslimischen Ländern nicht mehr in die USA einreisen dürften. Danach kam es zu Protesten an zahlreichen Flughäfen. Und in New York rief die Taxi Workers Alliance ihre Mitglieder dazu auf, aus Protest nicht mehr an den International Airport JFK zu fahren. Was machte Uber? Der Taxi-Gigant senkte die Fahrpreise, was von vielen Trump-Gegnern als Affront empfunden wurde. Daraufhin riefen diese dazu auf, man solle die Uber-App auf dem Smartphone löschen. Die Publikums-Kampagne #DeleteUber auf Social Media war die Folge.

Später geriet die Marke politisch noch stärker unter Druck, von dem ein Grossteil auf den Bereich von Kevin Frisch entfiel, weil die Pressure-Group Sleeping Giants Uber vorwarf, dass sie Anzeigen auf der rechtsextremen Website Breitbart schalten würde. Die Vorgesetzten von Frisch waren unglücklich über die öffentliche Aufregung, also wies er seine Werbeeinkaufs-Netzwerke an, keine Anzeigen mehr auf dieser radikalen Seite zu zeigen. Als die Ads trotz Werbestopp weiterhin auftauchten, kappte Frisch am Schluss einfach den Geldfluss: Er stornierte etwa 10 Prozent seines gesamten digitalen Werbe-Budgets. Doch: Nichts passierte. Nada, einfach gar nichts. Immer wieder konfrontierte Sleeping Giants Uber mit neuen Werbungen auf der besagten Extremisten-Seite. Schliesslich kündeten die Verantwortlichen beim Tech-Giganten praktisch alle Werbemassnahmen. Und dann staunten alle, weil beim Traffic nichts passierte.

Leistungen für Downloads nur vorgespielt

Die Betrügereien, die sie danach entdeckten, waren atemberaubend: «Wir schalteten zwei Drittel unserer Werbeausgaben ab – 100 Millionen Dollar von jährlichen Ausgaben in Höhe von 150 Millionen Dollar – und sahen im Grunde keine.»

Was also war los? Beim sogenannten «Attributionsbetrug» geht es darum, dass man dem Kunden vorspielt, dass Downloads aufgrund von Ad-Klicks passieren. Damit unterscheidet er sich vom «Impressionsbetrug», der vorspiegelt, dass eine Werbung von einem Menschen angeschaut wird. Das bedeutet, dass die Mediaagentur Kredit und Bezahlung für Downloads beansprucht, die organisch – also ohne Werbung – passiert wären. Oder anders gesagt: Der Kunde zahlt für etwas, das im Grunde gar keine Leistung ist. Wie konnte das klappen? Offenbar hatten die Betrüger Millionen von Amerikanern dazu gebracht, eine App downzuloaden, die ihnen gratis ein besseres Batteriemanagement versprach. War die App auf dem Smartphone installiert, passierte beim Energiemanagement gar nichts. Vielmehr verwandelte die App das Smartphone in ein Zombie-Gerät, das auf Anweisung der Zentrale im Hintergrund und ohne Wissen des Besitzers eifrig Klicks auf bestimmten Ads sowie Download-Anfragen ausführte.

Der Fall ist immer noch hängig. Dentsu Fetch reagierte auf die Klage 2018 mit einer Gegenklage wegen unbezahlter Rechnungen, worauf Uber 2019 mit einer erneuten Klage antwortete. Inzwischen richtet sich die Klage gegen mehrere hundert Unternehmen, die sich an den Uber-Millionen gesundgestossen haben.

«Ja nicht auf Autopilot stellen!»

Was ist das Fazit von Frisch? Er rät, mit einem starken internen Team oder mit externen Fachleuten die Zahlen, die man von den Ad-Agenturen erhält, genau zu prüfen. «Man kann nie auf Autopilot stellen», findet Frisch heute. Die meisten Performance-Vermarkter hätten keine Ahnung, wie tief sie von Online-Anzeigenbetrug durchdrungen seien: « Sie wissen nicht einmal, wo sie suchen sollen. Sie haben keine Ahnung, wie unzuverlässig oder irrelevant die Zahlen sind, die sie erhalten.» Und: «Führen Sie Ihre eigenen Experimente durch, um zu sehen, was Sie weglassen sollten.»

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