Megalopolis
USA 2024, von Francis Ford Coppola, mit Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel, Aubrey Plaza, Shia LaBeouf, Jon Voight, Laurence Fishburne, Talia Shire und Dustin Hoffman. 

Spoiler-Alert 
«Our American republic is not all that different from old Rome. Can we preserve our past and all its wondrous heritage? Or will we too fall victim, like old Rome, to the insatiable appetite for power of a few men?», fragt eine Stimme aus dem Off zum Auftakt, bevor die ersten Minuten mit einer dichten Abfolge von Szenen die Kämpfe exponieren, die eine Reihe von Männern mit römischen Namen gut zwei Stunden lang miteinander austragen werden.

Cesar Catilina ist ein visionärer Architekt und Präsident der städtischen Designbehörde. Er hat für seinen neuartigen biologischen Baustoff Megalon den Nobelpreis gewonnen und möchte damit die städtebauliche Zukunftsvision «Megalopolis» verwirklichen. Er kurvt im Citroën aus «Le Samouraï» durch die Stadt und interessiert sich auch für Wissenschaft, Literatur und Kunst. Er ist süchtig nach Alkohol und Medikamenten und gibt sich die Schuld am Suizid seiner Frau.

Franklyn Cicero ist der Bürgermeister von New Rome. Mit Catilina, gegen den er in seiner früheren Funktion als Staatsanwalt im Zusammenhang mit dem Tod von dessen Frau wegen Mordverdachts ermittelt hatte, verbindet ihn eine alte Feindschaft. Cicero ist ein Techniker der Macht, der seiner Verantwortung als Bürgermeister gerecht werden möchte, aber mit äusserst harten Bandagen kämpft. Er möchte anstelle von Catilinas Utopie ein Casino bauen, um der Stadt die nötigen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu beschaffen.

Hamilton Crassus III., der reichste Mann der Welt, ist Catilinas Onkel. Im Rahmen einer grossen Feier im Colosseum, inklusive Pferderennen und Ringkämpfen, heiratet er die ein paar Jahrzehnte jüngere Börsenjournalistin Wow Platinum.

Clodio Pulcher ist ein weiterer Neffe von Crassus und versucht, dessen Bank zu übernehmen. Im Kampf gegen seinen Cousin Cesar nutzt er u. a. ein gefaktes Video einer Bettszene mit der keuschen Sängerin Vesta Sweetwater (aktuelles Album: «Eternal Purity»), das Cicero zu einer Rezitation der berühmten ersten Zeilen der ersten Rede gegen Catilina veranlasst: «Catilina, how long will you try our patience?» Später gibt Pulcher die Ermordung seines Cousins in Auftrag und inszeniert sich als Mann des Volkes. Er organisiert eine populistische Revolte («power to the people!»), die u. a. wegen des Verlusts von bestehendem Wohnraum aufgrund der Neubauten aus Megalon auf fruchtbaren Boden fällt.

Eine weitere zentrale Figur ist Julia, Ciceros Tochter. Sie begibt sich zuerst im Auftrag ihres Vaters in Cesars Nähe, um ihm zu schaden, verliebt sich aber in ihn und wird bald schwanger.

Als ein sowjetischer Satellit Teile New Romes zerstört, beschleunigen sich vor dem Hintergrund des Potenzials für einen Wiederaufbau aus Megalon die Ereignisse. Crassus durchschaut Pulchers Intrigen und verstösst ihn. Cesar überzeugt die Protestierenden in einer flammenden Rede von seiner Vision. Pulcher wird von seinem eigenen Mob, der sich benutzt und belogen fühlt, an den Füssen aufgehängt – wie ein römischer Politiker jüngeren Datums. Crassus vermacht sein Vermögen der Realisierung von Megalopolis, Cesar und Julia heiraten, das Kind kommt zur Welt, und auch Cicero schliesst sich Cesar und seinen Visionen an.

Sehenswert für 
Die Bewertungen von «Megalopolis» reichen von Meisterwerk bis Desaster – das Werk an der Schnittstelle von Science-Fiction-, Polit- und Monumentalfilm lässt einen bei der ersten Betrachtung gleichermassen fasziniert und verwirrt zurück. Wenn aber der Regisseur von «The Conversation», «Apocalypse Now» und der Godfather-Trilogie ein halbes Jahrhundert daran arbeitet, den Sieg des Visionären über Skepsis, Eigeninteressen und Korruption zu inszenieren, und zur Finanzierung seiner Vision sogar einen Weinberg verkauft – wer wäre da die furrerhugi-Politfilmredaktion, an ein paar absurden, nicht nachvollziehbaren und anstrengenden Aspekten seines Spätwerks herumzumäkeln?

Oder in den Worten von Peter Bradshaws Verriss im «Guardian»: «A Coppola failure is a whole lot more interesting than the functional successes of lesser directors.»

Siegreiche Strategie 
Catalina ist überzeugt, ein Material erfunden zu haben, mit dem sich das menschliche Schicksal verbessern lässt. Trotz einer schuldbehafteten Vorgeschichte, Drogenproblemen und aggressiver Gegenwehr vertritt er sein Programm, New Rome aus diesem Stoff partiell neu zu bauen, offensiv und beherzt. Als ein Meteorit einschlägt, nutzt er die Gunst der Stunde.

Die Kraft der Vision hat in diesem Fall eine starke ästhetische Dimension und verspricht neben besseren Lebensbedingungen auch pure Schönheit. Zudem verficht Catilina die Verwirklichung von Visionen auf der Metaebene als Beitrag zur Befreiung der Menschen: «When you leap into the unknown, you prove that you are free», lallt er sturzbetrunken vor sich hin.

Mit seinem Baustoff und diesem ideologischen Überbau setzt sich Catilina gegen seine Gegner mit ihren Eigeninteressen, ihrem Hang zur Polarisierung, ihrem Konservativismus und ihrem Fokus auf kurzfristige Perspektiven durch («don’t let the now destroy the forever») und zieht auch den Politiker Cicero und den Financier Crassus in seinen Bann.

Erfolglose Strategie 
Cicero setzt auf kurzfristige Realisierbarkeit statt wolkige Versprechungen («People don’t need dreams. They need teachers, sanitation, jobs» und «utopias turn into dystopias»). Weder sein Versuch, über pragmatische Wirtschaftsförderung mit einem Casino die Staatsaufgaben zu finanzieren, noch Pulchers populistische Revolte können aber Catilina daran hindern, den Zuspruch der Bevölkerung und letztlich auch früherer Gegner für die Realisierung der Stadt seiner Träume zu gewinnen.

Wie wird Politik dargestellt? 
Coppola artikulierte Mitte der 70er-Jahre erstmals die Idee, Parallelen zwischen den USA bzw. einem futuristischen New York einerseits und der Catilinarischen Verschwörung des Jahres 63 v. Chr. und dem späteren Untergang der Römischen Republik andererseits zu verarbeiten. Seine Verwendung des Stoffes stellt dabei die Historie auf den Kopf: Catilina setzt sich durch und sein revolutionärer Ansatz, ein neuartiges Material zu verwenden, ist ein Beitrag, das Schicksal der Menschen zu verbessern und New Rome eine Zukunft zu geben – nicht die Verschwörung, als die der historische Cicero sie in seinen aus dem Alten Rom überlieferten Reden darstellt.

New Rome wird von patrizischen Familien beherrscht, die moralisierende Reden halten, aber selber in einer Weise in Saus und Braus leben, die an Fellini erinnert. Sie fechten ihre Fehden aus und instrumentalisieren die Bevölkerung zugunsten ihrer Eigeninteressen. Sie können auf Knopfdruck ein Lächeln einschalten und schrecken teilweise vor keiner Täuschung zurück.

Die Politik funktioniert dabei hochgradig mediatisiert: Titelblätter von Zeitungen (des Boulevardblatts «Mail» und des grossformatigen «Herald»), eine Börsensendung, Live-TV von einem Baugerüst, das Blitzlichtgewitter der Enthüllung einer Statue, ein Interview in einer Schülerzeitung und der Teaser für die Talkshow «Crosstalk» sind nur ein paar der Mediengattungen, die der Film als erzählerische Mittel benutzt.

Im Fokus der Politik steht in Megalopolis bei allem imperialen Glanz aber ein Kernthema der Kommunalpolitik, nämlich die Frage, was wo gebaut werden soll – Coppolas vielleicht letztes Werk ist monumentale Science Fiction über Fragen der Zonenplanung.

Zitat
«When does an empire die? Does it collapse in one terrible moment? No. No, but there comes a time when its people no longer believe in it. Then does an empire begin to die.»

Themen 
Kommunalpolitik, Städtebau, Innovation, Visionen, Protest, Populismus

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