Die Partei hat immer recht
Politik im Film #14: In «L’aveu» fordert das kommunistische System bedingungslosen Gehorsam und leben Politiker gefährlich
L’aveu (Das Geständnis)
Italien/Frankreich 1970, von Constantin Costa-Gavras, mit Yves Montand und Simone Signoret
Spoiler-Alert
In der Tschechoslowakei des Jahres 1951 merkt Vize-Aussenminister Gérard, dass er beschattet wird. Kurze Zeit später wird er verhaftet, in ein Verlies gesteckt, gefoltert und verhört. Er wird – zusammen mit rund einem Dutzend weiterer Verhafteter, grossmehrheitlich wie er ehemalige Trotzkisten jüdischer Abstammung – beschuldigt, Teil einer internationalen Spionage- und Hochverratsaffäre im Dienst der USA zu sein.
«Vos amis que vous protégez sont tous ici et ils parlent. (…) La seule chance de sauver sa tête c’est d’avouer», eröffnet ihm ein Untersuchungsbeamter. Gérards Forderung, mit jemandem von der Partei zu sprechen, wird abgelehnt. Auch Gérard unterschreibt nach Schlafentzug und Misshandlungen Selbstbezichtigungen, möchte die Falschaussagen wieder zurückziehen, wird geschlagen und schliesslich ganz gebrochen.
Im Schauprozess verlesen zahlreiche Angeklagte von den Untersuchungsbeamten geskriptete, für den Vortrag einstudierte «Geständnisse», wie man mit amerikanischen und britischen Spionen kollaboriert und dem Klassenfeind geholfen habe. Sogar Gérards französische Ehefrau – die inzwischen alle Privilegien verloren hat und in einer Fabrik arbeitet – bricht in Tränen aus, als sie im Radio sein Geständnis hört und glaubt, dass er schuldig sei.
1956 wird Gérard aus dem Gefängnis entlassen und emigriert nach Frankreich, 1963 wird er rehabilitiert. Er verarbeitet seine Erlebnisse der frühen 50er-Jahre zu einem Buch und wähnt 1968 die Führung der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei auf seiner Seite. Doch kurz bevor sein Buch in Prag in einer Atmosphäre von «Tauwetter» und sich lockernden Restriktionen erscheinen soll, stellen sowjetische Panzer die Repression wieder her.
Sehenswert für
Vor einem halben Jahrhundert, kurz nach dem «Prager Frühling» aufgrund eines autobiographischen Berichts von Artur Ludvik bzw. London, entstanden, ist «L’aveu» eine zeitlose Auseinandersetzung mit der Zerstörung des Individuums durch den Totalitarismus.
Brillant ist die Komposition aus beklemmenden Gefängnis- und Prozessbildern, der späteren Analyse per Voice-Over und im Rahmen einer Diskussion mit anderen ehemaligen Résistance-Kämpfern eineinhalb Jahrzehnte später, historischen Bilder aus der Sowjetunion und Bildern vom Einmarsch in Prag 1968.
Ein klassisches Beispiel für das engagierte Politkino von Costa-Gavras, dessen Oeuvre von der griechischen Militärdiktatur («Z») über Auseinandersetzungen mit den USA in Mittelamerika («Missing») und die katholische Kirche im Zweiten Weltkrieg («Der Stellvertreter» nach Rolf Hochhuth) bis zu einem Schäuble-Varoufakis-Film («Adults in the Room») reicht.
Siegreiche Strategie
«Le parti a toujours raison.» Im vom Film behandelten Zeitfenster, 1951 bis 1968, setzt sich die sowjetische Machtpolitik auf der ganzen Linie durch. Die Verhafteten «gestehen», beschuldigen sich gegenseitig und beichten öffentlich erfundene Sünden. Zwar werden später in einer nächsten Säuberungswelle auch die Untersuchungsbeamten und einige Drahtzieher der ersten Verfolgungen diskreditiert. Aber auch die Täter sehen sich als Opfer: «Qu’est-ce qui nous est arrivé?», wundert sich Gérards Peiniger bei einer späteren Zufallsbegegnung und fügt hinzu, er habe Befehle ausgeführt. Mit rigoroser Brutalität und ohne jede Rücksicht auf menschliche Verluste – «comme les nazis» – setzt sich das System lange durch. Als das «Tauwetter» die Führung der tschechoslowakischen KP erfasst, rollen sowjetische Panzer nach Prag und schlagen die Liberalisierungswelle zugunsten von zwei weiteren Jahrzehnten hinter dem Eisernen Vorhang nieder.
Erfolglose Strategie
Die Verhafteten versuchen zu verstehen, was passiert («posez-moi des questions précises!»), zu helfen («au début on cherche à aider le parti») und aufzuklären, wären bereit, Fehler zuzugestehen («on est tous disposés à faire son auto-critique, à admettre des erreurs»). Sie können sich nicht vorstellen, dass ihre Behandlung nicht auf einem Irrtum beruhe. Mangels Alternativen akzeptieren sie die Handlungsanweisung der Schergen des Regimes, dass ihre einzige Chance darin bestehe, voll und ganz der Partei zu vertrauen. Doch von den erzwungenen Geständnissen profitiert nur die Parteidiktatur. Auf die Betroffenen warten Gefängnisstrafen und/oder Todesurteile .
Wie wird Politik dargestellt?
Staatsanwälte und Richter, Polizei und Geheimdienst sind die Mittel, mit denen ein Generalsekretär in einem riesigen Büro die Herrschaft seines Systems durchsetzt – solange, bis er selber seinen Nutzen für das System überlebt hat bzw. dieses einen Schuldigen für vergangene Fehlentwicklungen sucht. «Die Partei» und anonyme sowjetische «camarades conseillers» sind im Film zwar unsichtbar, bilden aber den Dreh- und Angelpunkt der ganzen Herrschaft. Die inszenierte Macht des aktuellen Personals mit grossen Büros, Residenzen und Dienstwagen ist eine äusserst labile Fassade und Politik eine für Leib und Seele äussert riskante Karriere.
Themen
Totalitarismus, Kommunismus, Partei, Justiz
Zitat
«L’individu, dans son angoisse non pas d’être coupable mais de passer pour l’être, devient coupable.»

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