Seit dem 19. Jahrhundert sind die Geburtenraten in den meisten Industrieländern kontinuierlich gesunken. In den 1970er- und 1980er-Jahren hat sich dieser Trend weltweit beschleunigt, wobei Länder wie Japan, Italien und Südkorea dramatische Rückgänge erlebten. (Foto: Dall-E)

Die Geburtenraten sinken – ein globaler Trend mit tiefgreifenden Folgen. Doch warum ist der Rückgang in einigen Ländern drastischer als in anderen? Claudia Goldin, renommierte Volkswirtschaftlerin und Professorin an der Harvard University, untersucht, wie wirtschaftliche Entwicklungen und gesellschaftliche Normen diesen Wandel prägen. Ihre Analysen zeigen, warum einige Nationen extreme Tiefstände von weniger als 1,3 Kindern pro Frau erreichen, während andere stabiler bleiben. Ein Blick auf die Verflechtung von Makroökonomie und Fertilität eröffnet überraschende Erkenntnisse. Etwas, was auch für die kommenden Debatten spannend sein dürfte, wo doch der neue US-Vizepräsident JD Vance kürzlich vor Abtreibungsgegnern bekannte, dass er bereit sei, alles zu tun, damit die Frauen in den USA wieder mehr Babys bekämen.

Langfristige Trends und globale Unterschiede
Seit dem 19. Jahrhundert sind die Geburtenraten in den meisten Industrieländern kontinuierlich gesunken. Ein Hauptgrund dafür ist der Rückgang der Kindersterblichkeit, wodurch Familien weniger Kinder als «Versicherung» bekamen. Gleichzeitig haben sich die ökonomischen Anreize verändert: Kinder wurden weniger als Arbeitskräfte und mehr als kostenintensive Investitionen in Bildung und Lebensqualität wahrgenommen. In den 1970er- und 1980er-Jahren hat sich dieser Trend weltweit beschleunigt, wobei Länder wie Japan, Italien und Südkorea dramatische Rückgänge erlebten.

Zwei Gruppen von Ländern
Goldin unterteilt die analysierten Länder in zwei Gruppen:

  • Nationen mit kontinuierlichem ökonomischem Wachstum wie die USA, Deutschland und Schweden). Diese Länder erreichten bereits in den 1970er-Jahren moderate Geburtenraten (um 2 Kinder pro Frau) und konnten diese bis heute relativ stabil halten.
  • Länder mit spätem, aber rasantem Wirtschaftswachstum wie Italien, Südkorea und Spanien. Hier blieben die Fertilitätsraten bis in die 1980er-Jahre hoch, sanken dann jedoch rapide auf extrem niedrige Werte.

Ökonomische Dynamik und soziale Konflikte
Goldin argumentiert, dass die Geschwindigkeit des ökonomischen Wandels eine entscheidende Rolle spiele. In Ländern der zweiten Gruppe führte schnelles Wachstum zu erheblichen sozialen Spannungen:

  • Generationenkonflikte: Während die ältere Generation an traditionellen Werten festhält, wünschen sich jüngere Frauen mehr Autonomie und Karrierechancen.
  • Geschlechterkonflikte: In Gesellschaften, in denen Frauen weiterhin die Hauptlast der Haus- und Betreuungsarbeit tragen, entscheiden sich viele gegen grosse Familien. Männer hingegen orientieren sich häufig stärker an traditionellen Rollenbildern.

Der Einfluss der Arbeitsmarktdynamik
Goldin zeigt, dass in Ländern mit einer hohen Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt die Geburtenraten höher sind. Entscheidend ist hier die Unterstützung durch soziale Systeme wie Elternzeitregelungen und staatlich subventionierte Kinderbetreuung. In Nordeuropa (z. B. Schweden) haben solche Massnahmen dazu beigetragen, dass Frauen berufstätig bleiben und Kinder bekommen.

Politik und kulturelle Faktoren
Goldin hebt hervor, dass familienfreundliche Politik allein nicht genüge, um die Fertilitätsrate zu steigern. In Ländern wie Japan, die grosszügige finanzielle Anreize bieten, bleiben die Geburtenraten dennoch niedrig. Sie betont, dass tief verwurzelte soziale Normen und die Verteilung von Care-Arbeit entscheidende Faktoren seien.

Geburtenrückgang ist auch Folge sozialer Konflikte
Der Fertilitätsrückgang der letzten Jahrzehnte ist eng mit ökonomischen und sozialen Entwicklungen verknüpft. Goldins Analyse legt nahe, dass langsamere, kontinuierliche ökonomische Transformationen weniger soziale Konflikte verursachen und somit zu stabileren Geburtenraten beitragen können. Letztlich erfordert die Erhöhung der Geburtenrate nicht nur finanzielle Anreize, sondern auch eine Umgestaltung gesellschaftlicher Normen und Geschlechterrollen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Ganz zu schweigen von zahlbaren und verfügbaren Kinderbetreuungsangeboten.

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