«Ich habe ein Riesenglück»
FDP-Nationalrätin Maja Riniker ist zurzeit höchste Schweizerin. In ihr Präsidialjahr fallen jede Menge Top-Ereignisse – von der Bundesratswahl über das Eidgenössische bis zur Weltausstellung in Osaka.
FDP-Nationalrätin Maja Riniker ist zurzeit höchste Schweizerin. In ihr Präsidialjahr fallen jede Menge Top-Ereignisse – von der Bundesratswahl über das Eidgenössische bis zur Weltausstellung in Osaka.
Sie sind in einem Jahr Nationalratspräsidentin und müssen Ihr politisches Ich hintanstellen, in dem die weltweite Politik Purzelbäume schlägt, aktuell besonders in den USA. Freut oder reut Sie das?
Maja Riniker: Weder das eine noch das andere. Wer das Amt übernimmt, weiss genau, dass es politische Zurückhaltung erfordert. Gas geben kann ich danach wieder. Als Nationalratspräsidentin versuche ich, das eine oder andere Thema aufzunehmen, indem ich internationale Kontakte pflege und zum Beispiel auch in die USA reise. In die Ukraine ebenfalls – dazu habe ich soeben am WEF in Davos verschiedene Gespräche geführt. So möchte ich versuchen, zu gestalten.
Was halten Sie von Donald Trump, seinen Dekreten und seiner Entourage?
Riniker: Die Entourage kommentiere ich nicht. Aber ich verfolge Donald Trumps Politik und die Auswirkungen, die seine Entscheidungen allenfalls auf unser Land haben. Es liegt im Interesse der Schweiz, den Dialog möglichst aufrechtzuerhalten und zu hoffen, dass die neue Politik der USA für uns keine Nachteile bringt.
Denken Sie an die angekündigten Zölle?
Riniker: Ja, oder wenn die USA Industriepolitik betreiben sollten, was der Schweiz schaden könnte. Aber es ist zu früh, um zu beurteilen, wohin die Entwicklung geht.
Worüber werden Sie als Erstes sprechen wollen, wenn Ihr Präsidialjahr beendet ist und Sie sich wieder uneingeschränkt politisch äussern können: über Sicherheitspolitik?
Riniker: Ganz sicher, denn sicherheitspolitische Themen wie die Wiederausfuhr von Waffen, die Aufrüstung der Armee oder die Neutralität werden unser Land weiter beschäftigen. Das andere ist unsere Rolle in Europa: Da freue ich mich wirklich auf die Zeit, in der man Maja Riniker als Politikerin wieder spüren kann.
Brennt es Ihnen dermassen unter den Nägeln?
Riniker: Schon, aber wir haben ja Zeit. Beide Themen werden uns noch länger beschäftigen, auch wenn das eine oder andere an Brisanz zulegen mag, je nachdem, wie sich die geopolitische Lage verändert.
Ist es ein glücklicher Zufall, dass ausgerechnet in Ihrem Präsidialjahr in Genf die Konferenz stattfindet, an welcher sich die Präsidentinnen und Präsidenten der Parlamente aus 100 Ländern alle fünf Jahre treffen?
Riniker: Bilanz ziehen werde ich am Ende, aber ich muss schon sagen: Ich habe ein Riesenglück. Es ist nicht nur die Parlamentspräsidentenkonferenz – ich darf auch die Schweiz an der Eröffnung der Weltausstellung im japanischen Osaka repräsentieren. Im Inland gibt es ebenfalls den einen oder anderen Top-Anlass, an dem ich teilnehmen darf: den ESC, das Eidgenössische Schwingfest, das Eidgenössische Turnfest, das 150jährige Jubiläum des Bundesgerichts, um nur einige zu nennen. Und dann fällt auch noch die Bundesratswahl in mein Amtsjahr!
Bleiben wir kurz bei der Weltkonferenz der Parlamentspräsidenten: Haben Sie eine Botschaft oder einen Wunsch an Ihren US-Kollegen, den Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson?
Riniker: Den Wunsch, den ich an ihn habe, habe ich auch an all die anderen Vertreter und Vertreterinnen der Parlamente: Sie sollen im Juli nach Genf kommen und den Dialog pflegen. Es ist sehr wichtig, dass wir diesen in der Schweiz als Plattform führen können. Im Oktober werde ich in die USA reisen, mit Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik. Wenn Mike Johnson dann Zeit findet, um mich zu empfangen, würde es mich sehr freuen.
Sie sagten in Ihrer Antrittsrede, Demokratie sei eine fragile Errungenschaft, die man lernen, pflegen und verteidigen müsse. Teilen Sie den Eindruck, dass rund um uns gerade eher das Gegenteil geschieht?
Riniker: Sicher wird das Fundament einer funktionierenden Demokratie momentan in verschiedenen Ländern strapaziert – und teilweise neu ausgerichtet.
In unseren Nachbarländern ist der Liberalismus auf dem Rückzug, dafür der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Riniker: Mir macht Populismus Sorgen, egal von welcher Seite, ebenso wie Extremismus. Dem Miteinander ist die Zunahme des Populismus, die wir zurzeit beobachten, jedenfalls nicht förderlich. Da fragt man sich natürlich: Warum werden diese Leute gewählt, warum haben sie so starken Zulauf, warum sucht der Bürger bei ihnen Halt?
Wie lautet Ihre Erklärung?
Riniker: Anscheinend findet der Bürger, der Unsicherheit spürt und Sicherheit sucht, diese bei Kräften, die einfache, klare Antworten geben. Die sagen: Wir schauen zuerst für uns selber, für unser Land und für unsere Bevölkerung. Am diesjährigen WEF war es ja krass. Da hiess es nicht nur «America first», sondern auch «Europa first» – und so weiter.
In einem Interview haben Sie eine fehlerfreie Leitung der Ratsdebatten als Ihre Hauptaufgabe als Ratspräsidentin bezeichnet. Stecken Sie die Bundesratswahl vom kommenden März einfach weg, oder haben Sie auch ein wenig Bammel davor?
Riniker: Ein wenig Bammel ist schon dabei – obwohl die Unterstützung durch die Parlamentsdienste erstklassig ist und es ja nicht die erste Ersatzwahl ist, die es im Bundeshaus gibt. Die Mechanismen sind klar, und es sieht nicht nach grossen Umsturzversuchen aus. Aber man überlegt sich natürlich: Der ganze Fokus ist auf mich gerichtet, ich will mich nicht verhaspeln, keine Zahl falsch vorlesen, ich möchte alles korrekt machen. Bei den Richterwahlen in der Wintersession hat es prompt eine Rückmeldung gegeben.
Was war da?
Riniker: Ein Kollege kam zu mir und wies mich darauf hin, dass ich nicht gesagt habe, dass die Journalisten nicht filmen dürfen, und er wolle das nicht. Das zeigt: Die Regieanweisungen müssen klar sein. Ich sitze voll im Schaufenster. Das will ich gut machen.
Fürchten Sie, dass sich Vertreter gewisser Parteien gebärden könnten wie Fanblocks in den Stadien?
Riniker: Nein, denn ich weiss, wie ich da reagieren muss.
Das Glöckchen läuten?
Riniker: Das ist die erste von mehreren Massnahmen, die ich ergreifen kann. Angefangen beim Abmahnen bis hin zum Disziplinarverweis. Das will in dem Moment keiner. Ausserdem glaube ich, dass das Interesse an solchen Störmanövern diesmal nicht vorhanden ist. Ich hoffe es zumindest.
Was bedeutet Ihnen der Wahltag vom 12. März?
Riniker: Eine unglaubliche Ehre und Verantwortung. Dass ich das in der jetzigen Konstellation in meinem Präsidialjahr auch noch erleben darf, ist schon toll. Sicher habe ich es mir erhofft. Aber ob es dann wirklich so kommt, weiss man erst, wenn wirklich jemand zurücktritt.
Was ist Ihnen wichtiger: In schwierigen Zeiten das politische Erfolgsmodell Schweiz dem Rest der Welt zu erklären, oder an Anlässen wie dem Schwingfest teilzunehmen?
Riniker: Für die Demokratie und für unser Land ein gutes Wort einlegen zu dürfen, zu erklären, was unsere Rolle als neutrales Land im ganzen Gefüge ist, allenfalls erste Gespräche sicherstellen zu können, die jetzt im Ukrainekonflikt gefordert werden: Wenn ich mit meinen Kontakten, die ich durch das Amt erhalte, dazu beitragen kann, dass uns das gelingt, wenn wir es nach aussen tragen können und das in der Schweiz auch verstanden wird, ist mit Abstand das Wichtigste.
Worin sehen Sie Ihren Beitrag?
Riniker: Am WEF zum Beispiel durfte ich bei einem Nachtessen, das von einer ukrainischen Stiftung veranstaltet wurde, vor verschiedensten europäischen Aussenministern auftreten. Dabei konnte ich ihnen erklären, dass sie bitte dafür sorgen sollen, dass ihre Speaker im Juli nach Genf kommen. Vielleicht schaffe ich es in ein, zwei Gesprächen, zur Stabilität in unserer Welt beizutragen. Ich hoffe es. Das Amt ist wichtig, dessen darf man sich bewusst sein und es auch benützen, um eine wichtige Nachricht zu platzieren. Man ist Repräsentant – die Person, die das Amt ausfüllt, ist weniger wichtig. Es geht eben nicht um die Maja, die am Schwingfest mal in der dritten Reihe dabei sein darf.
Schaffen Sie es auch mit dem Monsterpensum als höchste Schweizerin, fit zu bleiben und bis zu dreimal pro Woche zu joggen?
Riniker: Manchmal. Sicher zweimal pro Woche gehe ich joggen, einmal am Wochenende und einmal an einem Morgen. Aber ich habe keine Überkräfte. Ich brauche Schlaf, ich brauche meine Kinder um mich, und ich habe einen super Mann. Zuhause habe ich jemanden, der uns drei Tage die Woche im Haushalt hilft. Ich stehe am Wochenende schon in der Waschküche, aber ohne Unterstützung würde ich es nicht schaffen. Es geht nur, weil ich daheim loslassen kann.
Maja Riniker (46) ist in Lenzburg im Kanton Aargau aufgewachsen. Nach der kaufmännischen Lehre bei einer Bank hat sie Betriebsökonomie studiert und war unter anderem im Gesundheitswesen tätig. In die Politik eingestiegen ist sie als Mitglied der Schulpflege in Suhr, wo sie mit ihrem Mann, einem Arzt, und ihren drei Kindern im Alter von 14 bis 17 Jahren wohnt. 2014 wurde Maja Riniker für die FDP in den Aargauer Grossrat gewählt. Fünf Jahre später folgte die Wahl in den Nationalrat, den sie noch bis Dezember präsidiert.