In Krisensituationen passieren im Umgang mit Medien rasch Fehler. (Foto: Shutterstock)

Aktuell ist die Welt im Krisenmodus: Klimawandel, Russlands Kriegs mit der Ukraine, eine galoppierende Inflation oder explodierende Energiepreise. Dazu kommen tagesaktuelle Krisen, Probleme und Verfehlungen. Insgesamt lässt das einem wenig Zeit für ausgezirkelte Antworten – und bieten viele Gelegenheiten für mediale Fehltritte, wie die deutschen PR-Experten Ralf Kunkel und Maximilian Widera in einem Aufsatz für «politik & kommunikation» ausführen.

Weil überall Krisen lauern, werden Unternehmen zu Getriebenen. Grosse Konzerne haben auf diese veränderten Rahmenbedingungen längst mit der Professionalisierung ihrer Kommunikations- und Policy-Strukturen reagiert. Anders sieht es häufig noch bei KMU und Start-ups aus. Hier herrsche gemäss Kunkel und Widera bei vielen noch ein erstaunlich sorgloser Umgang mit Krisen vor. Doch schnell könne eine kritische Berichterstattung über ein singulär erscheinendes Thema eine Kaskade von Folgeartikeln einleiten, in denen eine Organisation geradezu pulverisiert werde. Das erläutern die beiden PR-Experten an zwei Beispielen von 2022 in Deutschland.

Die Documenta 15 
Antisemitismus auf der grossen Leistungsschau zeitgenössischer Kunst – kaum ein Vorwurf könnte schwerer wiegen. Doch statt Kritik ernst zu nehmen, versuchte das Documenta-Management, sich um die Vorwürfe herum zu mogeln, sie auszusitzen und kleinzureden, finden Kunkel und Widera. Sie liefern einen «unvollständigen» Auszug aus der schier endlosen Fehlerliste des Managements bei Krisenbewältigung und -kommunikation:

  • zunächst das kategorische Zurückweisen der Kritik
  • die kurzfristige Absage einer Diskussionsveranstaltung zu den antisemitischen Darstellungen
  • das Anheuern und anschliessende Ignorieren eines externen Beraters, was dieser mit der Aufgabe seiner Beratertätigkeit quittierte

Am Ende musste die Documenta-Chefin Sabine Schormann ihren Hut nehmen. Die Kunstschau wurde mit Ach und Krach zu Ende geführt. Das Image der Institution sei nachhaltig beschädigt. Hätte man den Schaden durch kluge Krisenkommunikation minimieren können? Aber sicher, finden die beiden: «Wenn denn einige Grundregeln der Krisenbewältigung und -kommunikation berücksichtigt worden wären: Vorwürfe ernst nehmen, prüfen, externe Expertise einholen, Gesprächsbereitschaft und Selbstkritik signalisieren und Konsequenzen ziehen.» Dass all das nicht passierte, zeige, wie reformbedürftig die Kunstausstellung Documenta sei, wie überfrachtet die Organisationsstruktur mit unterschiedlichen Gremien und unklaren Verantwortlichkeiten geworden sei.

Der Skandal um den Rundfunk Berlin Brandenburg 
Bereicherung, Bestechung und Geldverschwendung beim steuerfinanzierten Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB)? Die Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten, die das Wirtschaftsmagazin «Business Insider» in einer langen Artikelserie zum RBB aufdeckte, hätten in den zurückliegenden Monaten deutlich die Reformbedürftigkeit der Zweiländeranstalt aufgezeigt und ein kritisches Licht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geworfen, schreiben Kunkel und Widera. Und mit misslungener Krisenkommunikation habe die (mittlerweile ehemalige) Intendantin Patricia Schlesinger den Karren erst so richtig in den Dreck gefahren. Auch hier ein unvollständiger Auszug aus einer langen, langen Fehlerliste:

  • Anstatt journalistische Anfragen zu beantworten, wurde ein Medienanwalt beauftragt, die Vorwürfe klein zu kochen
  • Die kritische Berichterstattung wurde als Kampagne eines privaten Medienhauses geframet
  • Laut einem Bericht des «Tagesspiegel» kündigte die damalige Intendantin auf einer internen Belegschaftsversammlung rechtliche Schritte gegen die berichtenden Medien an
  • Laut Aussagen von Mitarbeitenden habe die Ex-Intendantin auf einer internen Veranstaltung von der Suche nach dem internen Maulwurf berichtet
  • Fragwürdige Abmahnschreiben an Journalisten wurden versendet

Am Ende mussten auch hier die Intendantin und der Aufsichtsratsvorsitzende ihren Hut nehmen. Die Verwaltungsratsvorsitzende trat zurück. Was bleibe, sei ein nachhaltig beschädigtes Medienhaus, verunsicherte Mitarbeitende, die das Missmanagement der vergangenen Jahre ausbaden müssten. Auch hier die Frage: Hätte man den Schaden durch kluge Krisenkommunikation minimieren können? Na ja, finden Kunkel und Widera: «Selbst bei der Beachtung des kleinen Einmaleins der Krisenkommunikation sind die Vorwürfe so massiv, dass sie nun von Gerichten auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft werden müssen.» Dabei liege der Fokus nicht etwa auf dem juristisch unbedeutenden, aber medialen Aufregerthema «Massagesitze im Luxusdienstwagen», sondern auf der Frage, ob es zu strafbaren Absprachen in der RBB-Führungsetage gekommen sei oder nicht.

Wie können Kommunikationsverantwortliche in Institutionen ihre Häuser ganz konkret besser auf die nächste Krise vorbereiten? Dazu liefern Kunkel und Widera eine Antwort in fünf Thesen:

  1. Krisenkommunikation schützt zuerst die Organisation, dann die Einzelperson 
    In beiden beschriebenen Fällen wurde der Schaden für die Organisation durch Fehlverhalten von Einzelpersonen ausgelöst und durch einen Mangel an ehrlicher Krisenkommunikation verschlimmert. In der Folge hat sich die öffentliche Erregung zunehmend von der Einzelperson auf die gesamte Organisation übertragen. Um das zu verhindern, gelte es die Stichhaltigkeit der Vorwürfe früh und ehrlich zu evaluieren und entsprechende Szenarien zu entwickeln, finden Kunkel und Widera. Nur wer den Überblick hat, kann eine Strategie ausarbeiten. Häufig überschlagen sich in Krisensituationen die Ereignisse. Zahlreiche Journalisten greifen ein Thema auf, ein Shitstorm in den sozialen Medien baut sich auf.

    In dieser Situation ist es für Krisenmanager entscheidend, einen umfassenden Überblick zu haben und echte Neuigkeiten von blossen Meinungen und Unmutsäusserungen unterscheiden zu können. Ein datengetriebenes 360°-Medienmonitoring ist in dieser Situation unerlässlich und sichert die Handlungsfähigkeit von Krisenstab und Kommunikationsverantwortlichen.

  2. Worten müssen Taten folgen 
    Wenn das Krisenmanagement von den wesentlichen Stakeholdern in der Öffentlichkeit, auf Gesellschafterseite und in den Medien als unzureichend empfunden wird, haben Kommunikationsverantwortliche keine Chance, Reputationsschäden von ihren Häusern abzuwenden. Der renommierte Krisenmanager Frank Roselieb drückt es so aus: «Krisen-PR ist bestenfalls die kleine Schwester des operativen Krisenmanagements. Wenn die baldige Problemlösung in Pressekonferenzen immer wieder versprochen, aber nicht geliefert wird, büsst die Krisenkommunikation schnell ihre Glaubwürdigkeit ein.» Umgekehrt gilt aber auch: Es gibt kein gutes Krisenmanagement ohne gute Krisenkommunikation. Der Kommunikationsverantwortliche müsse im Krisenprozess gestalten wollen, empfehlen Kunkel und Widera.

  3. Tempo ist Trumpf 
    Häufig finden sich in der Medienberichterstattung über Krisenfälle Hinweise, Auskünfte seien zu spät oder gar nicht erteilt worden. Manchmal lassen sich die Betroffenen auch zu Bedrohungen oder einer grundsätzlichen Medienschelte hinreissen. Dabei sind in der Krise Geschwindigkeit, Besonnenheit und Erreichbarkeit Werte an sich. Es kommt darauf an, nach aussen den Prozess zu erklären, nämlich dass die Aufklärung laufe und bis zu einem gewissen Zeitpunkt mit einem Zwischenbericht des Krisenstabs zu rechnen sei.

    Dabei bleibt Kommunikationsverantwortlichen in Krisensituationen auch gar nichts anderes übrig, als zu sagen, dass das Thema gerade erst geklärt werde. Aber das müssen sie dann auch tun, um nicht den Eindruck zu erwecken, eine Verschleierungstaktik anzuwenden. Ein klassisches Statement für den Fall, dass der Sachverhalt bis Redaktionsschluss nicht aufgeklärt werden kann, lautet etwa: «Es hat nach aktuellem Erkenntnisstand einen Vorfall zum Thema XY gegeben. Wir recherchieren die Umstände und halten Sie weiter auf dem Laufenden.» Eine solch offene Kommunikation sei im Krisenfall allemal besser, als die Anfrage zu ignorieren, finden Kunkel und Widera. Entscheidend bei der Beantwortung solcher Fragen ist zudem, darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Prozess handle. Das sagt implizit auch: Bitte geben Sie uns etwas Zeit.

  4. Krisen müssen vorbereitet sein 
    Der Umgang mit Krisen muss in jeder Institution zur DNS gehören, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag, dass sie wirklich auftreten. Dennoch gilt: Nur wer sich dauernd mit kritischen Situationen beschäftigt, behält im entscheidenden Moment einen kühlen Kopf. Gute Vorbereitung ist in einem zweiten Sinne für die Arbeit in der Krise von entscheidender Bedeutung: In der Krise profitieren Unternehmen von der Stabilität der Beziehungen, die sie in guten Zeiten mit Medien, Behörden, der Belegschaft, Gesellschaftern – kurz: mit all ihren Stakeholdern aufgebaut haben. Haben Unternehmen einen Vertrauensvorschuss erworben, wird man ihren Argumenten Gehör schenken – vorausgesetzt, sie treten in der Krise genauso offen auf wie in guten Zeiten. Davon sind Kunkel und Widera überzeugt.

  5. Übung macht den Meister, die Meisterin 
    Und schliesslich gehört zur Vorbereitung auf eine Krise auch das Handwerk: die regelmässige Übung im Krisenstab, die Aktualisierung möglicher Krisenszenarien gemäss Krisenhandbuch. Alle wichtigen Abteilungen einer Institution müssen darauf trainiert sein, im Krisenmodus Hand in Hand miteinander zu arbeiten, um Fehltritte Einzelner zu vermeiden. Alles, was für eine Krise vorbereitet werden kann, sollte vorbereitet sein. Für Kunkel und Widera steht fest: In der Krise fehlen schlicht Zeit und Informationen, um erst einmal Basisarbeit erledigen, zum Beispiel Alarmierungsketten zusammenzustellen.

    Die Megatrends unserer Tage: Digitalisierung, Medialisierung, Compliance und Environmental Social Governance (ESG), die geopolitischen Unsicherheiten, Klimawandel, die gesellschaftliche Grosswetterlage – das alles fordert gesellschaftliche Akteure neu heraus. Unternehmen und Institutionen aller Art müssen ihre Resilienz verstärken, wenn sie in der neuen Normalität bestehen wollen. Wer sein Geschäftsmodell nicht absichert, verliert sein Standing als gesellschaftlich relevanter Player. Gute Kommunikation, so Kunkel und Widera, wird für Akteure in der öffentlich-medialen Arena zum festen Bestandteil ihrer «License to operate».

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