Amerika wird Donald Trump «überleben»
Manuel Sager, ehemaliger Schweizer Botschafter in Washington, erklärt, warum der US-Präsident nicht einfach durchmarschieren kann – und was dessen Wahl für die Schweiz bedeutet.
Manuel Sager, ehemaliger Schweizer Botschafter in Washington, erklärt, warum der US-Präsident nicht einfach durchmarschieren kann – und was dessen Wahl für die Schweiz bedeutet.
Donald Trump hat die Wahlen gewonnen – und bemerkenswerte Ernennungen für sein Kabinett angekündigt. Sind Sie froh, jetzt nicht Schweizer Botschafter in den USA zu sein?
Manuel Sager: Wer im Weissen Haus sitzt, ist für den Berufsalltag des Schweizer Botschafters nicht entscheidend. Ich habe Präsident Obama nur ein einziges Mal persönlich gesehen – nämlich bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens. Das ist nicht unüblich. Wichtiger für die diplomatische Arbeit ist der Zugang zu den Fachministerien, vor allem, wenn es Probleme in den bilateralen Beziehungen gibt. Für den israelischen oder den britischen Botschafter sieht das sicher anders aus.
Wie ist der Zugang zu den Fachministerien unter Trump?
Sager: Für Schweizer Delegationen war er während Trumps erster Präsidentschaft etwas besser als unter Obama. Das sollte man aber nicht überbewerten. Ob es gelingt, über eine persönliche Beziehung Zugang zu einem Amt zu schaffen, hängt oft von der Person ab, die gerade dort sitzt. Wer das in der zweiten Trump-Administration sein wird, ist schwer zu sagen. Bei jedem Präsidentenwechsel müssen allein 1300 höhere Beamte vom Senat bestätigt werden, dazu kommen Tausende von weiteren neuen Beamten.
Die angekündigten Ernennungen klingen nicht sehr vertrauenerweckend: Fox-News-Moderatoren und Leute ohne jegliche Erfahrung wie Tulsi Gabbard sollen Schlüsselpositionen im Kabinett erhalten.
Sager: Trump ist überzeugt, von der Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner ein Mandat erhalten zu haben, in Washington alles anders zu machen als sein Vorgänger. Seine unkonventionellen Ernennungen sind Ausdruck dieser Überzeugung. Ob allerdings die Republikaner im Senat bereit sind, da einfach blindlings mitzumachen, ist fraglich. Die Ernennung von Matt Gaetz ist ja bereits am mehr oder weniger offenen Widerstand einiger Republikaner gescheitert.
Anders als Barack Obama zu Ihrer Zeit als Botschafter in Washington hat Trump sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus die Mehrheit. Kann er nicht sicher sein, dass die Republikaner geschlossen hinter ihm stehen werden?
Sager: Grundsätzlich ja. Die republikanischen Senatorinnen und Senatoren müssen aber auch ihre eigene Wiederwahl im Auge behalten. Ihre Wahlkreise sind ganze Staaten. Um gewählt zu werden, braucht es meistens auch Stimmen von gemässigten Wählerinnen und Wählern der Gegenpartei. Also müssen sie sich gerade bei kontroversen Ernennungen gut überlegen, was besser ist: Loyalität zu Donald Trump zu zeigen oder auf die politische Mitte zu schielen? Blinder Gehorsam kann Stimmen kosten. Erst recht, wenn es schiefgeht und sich eine Ernennung als Katastrophe herausstellt.
Also kann Trump trotz Mehrheit in beiden Kammern nicht einfach durchmarschieren?
Sager: Nein. In der Innenpolitik noch weniger als in der Aussenpolitik. Trump hat jetzt zwei Jahre Zeit, seine Wahlversprechen einzulösen. In vielen Fällen braucht er dafür die Zustimmung des Kongresses. Aber dort sind die Prozesse langsam und können von der Gegenseite noch verzögert werden. Auch in der Sache selbst ist mir schleierhaft, wie er in so kurzer Zeit die Lebenshaltungskosten senken, Kriege beenden und Millionen von illegalen Einwanderern abschieben will.
Was, wenn er die Wahlversprechen nicht einlöst?
Sager: Dann ist es gut möglich, dass er die Mehrheit in der einen oder anderen Kammer im Kongress wieder verlieren wird. Das entspricht auch dem üblichen Muster. Meistens wird die Partei, die den Präsidenten stellt, in den sogenannten Zwischenwahlen von der ungeduldigen Wählerschaft abgestraft.
Weit oben auf Trumps Abschussliste steht die Gesundheitsreform Obamacare, die während Ihrer Zeit in Washington eingeführt wurde. Sind die Tage der Krankenversicherung für fast alle US-Bürgerinnen und -Bürger gezählt?
Sager: Kaum. Trump hat seine Haltung dazu in den letzten acht Jahren wiederholt geändert. Nach anfänglicher Fundamentalopposition hat er zuletzt im Wahlkampf gesagt, er würde Obamacare verbessern und günstiger machen, wenigstens bis eine Alternative vorhanden sei. Immerhin haben heute fast zwei Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner eine positive Einstellung zu Obamacare.
Ist Trump für die Schweiz gut oder schlecht?
Sager: Das hängt davon ab, wen Sie fragen. Allgemein sind die Republikaner für weniger Regulierung und deshalb für Schweizer Unternehmen besser. Kamala Harris hatte versprochen, die Medikamentenpreise zu senken. Davon ist bei Trump kaum auszugehen.
Braucht sich der Finanzplatz auch keine Sorgen zu machen?
Sager: Um ihn drehten sich die grössten bilateralen Krisen zwischen den USA und der Schweiz, wie ich aus eigener Erfahrung weiss. Zuerst waren es in den 90er-Jahren die herrenlosen Konten aus dem Zweiten Weltkrieg, dann folgte 2008 der Bankenstreit. Beide Male unter demokratischen Präsidenten, nämlich Bill Clinton und Barack Obama. Anderseits ist Trump kein typischer Republikaner. So will er etwa hohe Zölle auf Importe einführen. Das könnte den Schweizer Werkplatz treffen. Die grösseren Unternehmen, die in den USA produzieren, könnten das abfedern, nicht aber die Schweizer KMU, die dorthin exportieren.
Wie schlimm wäre das für die Exportnation Schweiz?
Sager: Die USA sind unser wichtigster Handelspartner, wir erzielen dort einen Handelsüberschuss im Verhältnis von zwei zu eins. Trump bezeichnet solche Handelsdefizite aus US-Sicht als «Diebstahl an Amerika». Dass er deswegen die Schweiz speziell ins Visier nimmt und zum Beispiel gezielte Zölle einführt oder erleichterte Agrarimporte verlangt, bezweifle ich. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Trump-Administration Massnahmen gegen die EU ergreift, deren Handelsüberschuss gegenüber den USA 15 Milliarden Euro beträgt. Dann könnte es zu einem Handelskrieg zwischen der EU und den USA kommen.
Was dann?
Sager: Davon könnte auch die Schweiz betroffen werden, wie es bereits 2018 beim Stahl der Fall war. Anderseits will Trump aber auch die Steuern senken. Das würde den Konsum ankurbeln und wäre für Schweizer Exporteure vorteilhaft. Allerdings heizen sowohl höhere Zölle als auch stärkerer Konsum die Inflation an. Ob Trump das in Kauf nehmen will, ist fraglich. Es war ja unter anderem die Inflation, die die Demokraten die Wahl gekostet hat. Sie sehen: Hier ist noch viel Kaffeesatzlesen.
Ist die Schweiz nicht einfach uninteressant für die USA?
Sager: «Weitgehend unproblematisch» tönt für mich besser. Interessant ist die Schweiz gerade in wirtschaftlicher Hinsicht schon. Abgesehen davon glaube ich, dass Trump die Schweiz recht gut mag. Letzthin soll er gesagt haben, es sei schade, dass nicht mehr Leute aus der Schweiz und aus Dänemark in die USA einwanderten. Er scheint eine Schwäche für die Schweiz zu haben – was auch immer das konkret heisst.
Leidet die Schweiz als kleiner, neutraler Staat unter der Abkehr von einer regelbasierten Weltordnung?
Sager: Die Regeln sind schon immer von den Mächtigen geschrieben worden, auch wenn sie oft Konzessionen an die Schwächeren enthielten. Heute gibt es neue Mächtige, welche die alten Regeln nicht mehr akzeptieren. Damit verlieren die Regeln ihre Bedeutung. Unilateralismus ist die Folge. Das ist nicht gut für die Schweiz. Wir gehören nicht zu den Stärksten dieser Welt und sind auf verlässliche Regeln angewiesen. Das regelbasierte Handelssystem ist jedoch nicht erst seit Trump unter Druck. Die WTO schwächelt seit Jahrzehnten, nicht zuletzt wegen des angespannten Verhältnisses zwischen China und den USA.
Wie beurteilen Sie die geopolitische Lage: Ist die Welt mit der Wahl Trumps unsicherer geworden?
Sager: Das ist zumindest nicht offensichtlich. Man kann auch argumentieren, dass seine Unberechenbarkeit – so widersprüchlich das klingen mag – eine gewisse stabilisierende Wirkung entfaltet. Wer nicht weiss, wie Trump reagiert, ist weniger bereit, eine Konfrontation zu wagen. Man kann es aber auch anders sehen.
Nämlich?
Sager: Trump definiert die amerikanischen Interessen enger als sein Vorgänger. Das könnte den Gegnern der USA einen gewissen Spielraum für geopolitische Abenteuer eröffnen. Zu denken ist hier an Taiwan. Was Trump allerdings im Fall eines chinesischen Angriffs tun würde, weiss im Moment nur er. Das gehört aber auch zur Politik der «strategischen Zweideutigkeit», wie sie geherrscht hatte, bevor Joe Biden vor zwei Jahren überraschend offen erklärte, die USA würde Taiwan mit eigenen Truppen verteidigen.
Was sagen Sie zu Trumps Forderung, Europa solle sich mehr für die Nato engagieren?
Sager: Er verlangte schon in seiner ersten Präsidentschaft höhere Verteidigungsausgaben von den europäischen Nato-Partnern. Das hatte auch Obama getan. Er drückte es einfach diplomatischer aus.
Die Drohung, aus der Nato auszutreten, stammt allerdings von Trump.
Sager: Dafür bräuchte er seit Einführung eines entsprechenden Gesetzes vor einem Jahr eine Zweidrittelmehrheit im Senat. Das Gesetz war sinnigerweise von Trumps designiertem Aussenminister, Senator Marco Rubio, eingeführt worden. Juristisch ist zwar unklar, ob Trump es gestützt auf seine aussenpolitischen Kompetenzen nicht einfach ignorieren könnte. Insgesamt halte ich aber einen blanken Austritt doch eher für unwahrscheinlich. Ich sehe darin eine Drohkulisse im Zusammenhang mit der Forderung nach höheren Militärausgaben. Das zeigte ja auch schon eine gewisse Wirkung.
Sie sehen es alles in allem nicht so dramatisch?
Sager: Mein Fazit ist, dass Amerika Donald Trump «überleben» wird. Die offene Frage ist, was seine Präsidentschaft für den Rest der Welt bedeutet.
Was glauben Sie?
Sager: Ich sehe das in grösseren Zusammenhängen. In Amerika haben sich Zeiten des Isolationismus und des Interventionismus immer wieder abgelöst. Die Abkehr vom Weltpolizisten hatte in der jüngeren Vergangenheit schon unter Obama angefangen und hat jetzt unter Trump einen vorläufigen rhetorischen Höhepunkt erreicht. In der Geschichte wurden die Amerikanerinnen und Amerikaner aber immer wieder durch die globalen Realitäten aus ihrer Isolation gezwungen.
Sie waren bereits vor Ihrer Zeit in Washington mit den USA verbunden und unterrichten heute noch dort. Woher stammt Ihre Faszination für dieses Land?
Sager: Ich trampte 1975 vor der Rekrutenschule per Autostopp durch Amerika. Schon beim ersten Anflug auf den Flughafen JFK hatte ich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Neben der Weite der Landschaft fühlte ich mich auch zu den Leuten hingezogen: Sie waren offen und aufgestellt. Ich hatte immer den Eindruck, in Amerika eine bessere Version meiner selbst zu erleben. Insgesamt habe ich 16 Jahre in den USA gelebt, meine Frau stammt von dort. Es ist meine zweite Heimat.
Gibt es bei Ihnen zuhause an Thanksgiving einen Truthahn?
Sager: Meistens schon. Den ersten Truthahn in der Schweiz haben wir 1983 gegessen. Damals gab es hierzulande noch fast keine Truthähne, wir mussten ihn aus der Ostschweiz kommen lassen. Er kostete 120 Franken und war so zäh, dass er kaum geniessbar war. Seitdem ist die Qualität der Truthähne in der Schweiz markant gestiegen – und die Preise sind spürbar gesunken.
Manuel Sager (69) ist in Baden AG aufgewachsen. In Zürich und an der Duke University in North Carolina hat er Rechtswissenschaften studiert und in Arizona das Anwaltspatent erworben. 1988 trat er in den diplomatischen Dienst ein, 1995 promovierte er an der Universität Zürich. Unter anderem war Sager stellvertretender Generalkonsul in New York und Exekutivdirektor bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London. Von 2010 bis 2014 vertrat er die Schweiz als Botschafter in Washington, danach leitete er bis zu seiner Pensionierung 2020 die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) im EDA. Manuel Sager lebt mit seiner Frau in Gümligen bei Bern und unterrichtet an der Duke University Entwicklungsfinanzierung.