Isabelle Moret, Nationalratspräsidentin 2020, im Gespräch mit influence. (Bild: Parlamentsdienste)
Im Dezember haben Sie Ihre erste Session geleitet. Eine ganz besondere Session, war es doch die erste der neuen Legislatur. Haben Sie Unterschiede festgestellt?
Isabelle Moret: Ja, es gibt welche. Schon rein optisch betrachtet. Zu meiner Zeit als Vizepräsidentin hatte ich die Gelegenheit, die Debatten zu leiten, doch dieses femininere, jüngere Parlament hat ein bisschen mehr Spontanität und ist ein wenig farbenfroher. Zudem handelt es sich bei fast einem Viertel um neu gewählte Mitglieder, die frischem Wind und kleine Überraschungen mit sich bringen. Die neu Gewählten müssen eingearbeitet werden und es liegt auch in meiner Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie sich schnell integrieren und umgehend verstehen, wie das Parlament arbeitet. Nur so sind sie in der Lage, sofort mit der Materie und nicht nur an der Form zu arbeiten.
Noch nie wurden so viele Frauen ins Parlament gewählt. Wie erklären Sie sich diese «violette Welle»?
Ich freue mich sehr über diesen historisch einmaligen Frauen-Rekord. Ich glaube aber, dass wir die Dinge nie für selbstverständlich halten und weiterhin mobilisieren sollten. Meine Vorgängerin als Nationalratspräsidentin, die Tessiner Sozialdemokratin Marina Carobbio, war sehr engagiert. Wir nahmen beide an der Bewegung «Helvetia ruft» teil. Mit konkreten Gesten haben wir den Frauen zu zeigen versucht, dass sie im Parlament willkommen sind. Erwähnenswert ist zum Beispiel der Stillraum, um welchen ich mich als Verwaltungsdelegierte gekümmert habe. Doch es genügt nicht, dass Frauen auf den Listen vertreten sind. Sie müssen gewählt werden und sich vor allem im Parlament halten können.
Was sagen Sie einer jungen Frau, die sich für Politik interessiert, wenn sie sich an Sie wendet?
Dass sie sich für ihre eigenen Überzeugungen einsetzen soll! Und dann würde ich ihr raten, hart zu arbeiten. Ich denke, dass Frauen es immer noch ein wenig schwieriger haben. Junge Frauen leiden auch heute noch unter der «A-Priori-Inkompetenz».
Sie sind zweisprachig. Sie sprechen Französisch und Berndeutsch. Wie sind heutzutage die Beziehungen zwischen den Sprachregionen des Landes?
Es ist für die Minderheiten weiterhin wichtig, dass sie an ihren Prinzipien festhalten. Obwohl ich mich oft in Deutsch oder Schweizerdeutsch ausdrücke, scheint mir, dass die Verteidigung der sprachlichen Minderheiten nichts an Wichtigkeit eingebüsst hat. Haben wir einmal die italienischsprachige Minderheit fallengelassen, wird ihr als nächstes die französischsprachige folgen. Für Minderheiten ist es daher wichtig, grundsätzlich auf der Verwendung von Hochdeutsch oder Übersetzungen zu bestehen. Zeitmangel ist keine Entschuldigung.
Und was die Politik betrifft?
Es ist klar, dass zwischen der Deutschschweiz einerseits und der Westschweiz und dem Tessin andererseits eine unterschiedliche Vorstellung vom Verhältnis zum Staat besteht. Dies ergibt sich ganz einfach aus unserer Kulturgeschichte. In der Romandie stehen wir unter dem Einfluss Frankreichs. Nehmen wir zum Beispiel mein Präsidentschaftsthema, die Prävention: Für die Deutschschweizer bleibt dies eine sehr individuelle Frage. In der Westschweiz hingegen ist man der Ansicht, dass auch eine kollektive Anstrengung vonnöten und ein staatliches Eingreifen möglich ist.
Was braucht es langfristig, damit diese Präsidentschaft erfolgreich ist?
Dass Prävention bei allen Überlegungen zur Gewohnheit wird! Denn in die Prävention zu investieren bedeutet, in Zukunft zu sparen. Für Menschen, die Gewalt erfahren oder ein medizinisches Problem haben, ist Prävention besser als Reparieren.