Thomas Keil ist ordentlicher Professor und Leiter des Lehrstuhls für Internationales Management an der Universität Zürich. Er forscht unter anderem zu Unternehmertum und Innovation. (Foto: zvg)

Herr Keil, warum geht beim Wechsel des Top-Managements so oft so vieles schief?

Thomas Keil: Weil bei der Nachfolgebestimmung häufig nicht sauber und nicht rational genug gearbeitet wird. Viele Verwaltungsräte haben unklare Vorstellungen und Auswahlkriterien. Die neuen CEOs sind oft überrascht und überfordert von der Situation, die sie vorfinden. Fehlentscheidungen bei der Besetzung von Top-Positionen kommen die Unternehmen oft teuer zu stehen.

Viele CEOs erfüllen die hohen Erwartungen nicht, die in sie gesetzt werden – insbesondere, wenn es um eine geplante Neuausrichtung einer Firma geht. Könnte das heissen, dass die Bedeutung von Spitzenmanagern überschätzt wird? 

Die Vorstellung vom CEO als einem einsamen Helden, der im Alleingang ein Unternehmen umkrempelt, ist zweifellos völlig realitätsfremd. Kein CEO kann etwas erreichen ohne ein gutes Team und ohne eine motivierte Belegschaft. Aber ein schlechter CEO kann leider fast im Alleingang dramatische Schäden anrichten. Deshalb ist es für das Wohl einer Firma schon sehr wichtig, den passenden CEO zu finden.

Wie sollten Unternehmen bei der Besetzung von Spitzenpositionen denn vorgehen?

Wir empfehlen ein Denken in strategischen Zeitabschnitten von drei bis fünf Jahren. Je nachdem, in welcher strategischen Situation sich ein Unternehmen befindet, sind sehr unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Wir unterscheiden dabei zwischen Kontinuitäts-, Evolutions-, Transformations- und Turnaround-Phasen. Ein CEO muss passend zur Phase ausgewählt werden, in der sich das Unternehmen gerade befindet.

Und wenn das Unternehmen in eine neue Phase eintritt?

Dann muss über die Neubesetzung der Führungsposition nachgedacht werden.

Ist es fair, einen CEO, der den Turnaround einer Firma erfolgreich geschafft hat, zu entlassen, weil im nächsten Stadium der Unternehmensentwicklung ein anderer Manager-Typus gefragt ist?

Für die Betroffenen kann das schon brutal sein. Aber wäre es denn fair gegenüber den Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern, wenn der Verwaltungsrat nicht für den richtigen CEO zur richtigen Zeit sorgen würde?

Wie kann man die Härte eines CEO-Wechsels mildern?

Indem man bei der Anstellung eines CEOs klar definiert, worin sein Mandat besteht, welches die Ziele sind und welcher Zeitrahmen dafür vorgesehen ist. Wenn das Mandat dann zu Ende geht, kann man Gespräche über eine Fortsetzung der Anstellung führen. Die Fortsetzung sollte aber keine Selbstverständlichkeit sein.

Ist es denkbar, dass ein und dieselbe Person Eigenschaften in sich vereint, die sie befähigen, eine Firma über verschiedene Phasen hinweg erfolgreich zu führen?

Es kommt vor, ist aber nicht die Regel. Ein CEO, der in seiner ganzen Karriere Turnarounds gemeistert hat und es gewohnt ist, mit dem Rücken zur Wand Firmen durch Liquiditätsengpässe zu lotsen, müsste sich komplett neu erfinden, um ein Unternehmen kompetent durch eine Kontinuitäts- und Wachstumsphase führen zu können.

Welcher Zeitpunkt wäre in Ihren Augen zum Beispiel für Elon Musk der richtige, um als CEO von Tesla zurückzutreten?

Elon Musk schiebt gern Dinge an, er ist ein Mover und Shaker, kein Verwalter des Bestehenden. Ich nehme an, dass er das selbst weiss und sich aus eigenem Antrieb aus der Unternehmensführung zurückziehen wird, bevor sich Tesla zum reifen Automobilhersteller entwickelt hat. Ihn zum Rücktritt zu zwingen, wäre schwierig, da ihm ja ein Grossteil des Unternehmens gehört. Das ist ein Problem vieler Unternehmer: Sie verpassen den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt, weil sie glauben, unentbehrlich zu sein, und niemanden in ihrem Umfeld haben, der es wagt, diese Selbsteinschätzung zu korrigieren. Zu den Ausnahmen gehört zum Beispiel Bill Gates, der sich zum richtigen Zeitpunkt aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat.

Welchen Typ CEO braucht eine Firma in der Kontinuitätsphase? 

Wenn eine Firma in bewährter Weise läuft, braucht es weniger strategische Denker an der Spitze, als eher Leute, die operativ stark sind und das Geschäft gut kennen. In solchen Situationen empfiehlt es sich in der Regel, den CEO intern zu rekrutieren.

Auf welche Führungspersönlichkeit sollten Firmen in der Evolutionsphase setzen?

Auf eine Persönlichkeit, die strategisch denkt und durch ihre berufliche Herkunft und ihr Know-how jene Bereiche der Firma repräsentiert, die ausgebaut werden sollen. Firmen können durch die geschickte Wahl eines CEOs ein starkes Signal aussenden, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll. Nestlé setzte zum Beispiel durch die Berufung von Mark Schneider ein klares Signal für die Stärkung des Health- und Wellness-Bereichs.

Was sind für Sie gute Beispiele für CEOs in einer Transformationsphase?

In Transformationsphasen sollen tiefgreifende Änderungen angestossen werden, weil das gegenwärtige Geschäftsmodell an seine Grenzen stösst. Da brauchen sie jemanden, der definitiv anders tickt als das bisherige Management. Ein typischer Fall ist Riet Cadonau, der aus der IT-Branche zu Dormakaba kam, um den Umbau vom Schliesssystem-Unternehmen zum Sicherheitssystem-Provider zu realisieren. Ein gutes Beispiel dafür, dass in Transformationsphasen auch interne Rekrutierungen möglich sind, ist Vas Narasimhan, der 2018 CEO von Novartis wurde. Er steht für eine internationalere Firmenkultur und für mehr Forschungsorientierung als sein Vorgänger.

Was für Top-Manager sind in einem Turnaround gefragt?

Krisenmanager sind meistens nicht auf lange Sicht an der Unternehmensspitze. Sie sind selten tief in der jeweiligen Unternehmenskultur verwurzelt, stattdessen verfügen sie über ein ausgeprägtes Spezialwissen zu Krisensituationen.

Ist ein CEO-Wechsel in kleineren Unternehmen leichter zu bewerkstelligen als in grossen?

Das würde ich nicht sagen. Der Vorteil grösserer Unternehmen ist, dass sie intern genügend potenzielle Führungskräfte aufbauen können.

Wie wichtig sind bei der Rekrutierung von CEOs Kategorien wie Herkunft und Geschlecht?

Man muss sich vor Schubladisierungen und Stereotypen hüten und darf Personen nicht auf ihre Herkunft, ihr Geschlecht oder ihre sexuelle Orientierung reduzieren. Dennoch ist es wichtig, diese Faktoren mitzuberücksichtigen, denn sie haben ohne Zweifel einen Einfluss auf unsere Lebenserfahrung, unser Denken und unsere Weltsicht. Sie prägen uns genauso wie zum Beispiel die Ausbildung und die Stationen unserer beruflichen Laufbahn. Grundsätzlich haben wir im Management immer noch einen grossen Mangel an Diversität. Es gibt zu wenig Frauen, zu wenig Junge und zu wenig Menschen internationaler Herkunft in den Chefetagen.

Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch ausführlich mit der Anfangsphase von CEO-Mandaten. Warum haben Manager in dieser Phase am meisten Gestaltungsmöglichkeiten?

Weil die Mitarbeitenden einer Firma zu diesem Zeitpunkt auf Wandel eingestellt sind. Gerade am Anfang wird darauf geachtet, wie sich CEOs verhalten, was sie sagen, wie sie ticken. Wenn CEOs am Anfang nichts bewegen, wird es später für sie schwieriger und aufwändiger, Veränderungen durchzusetzen.

Anderseits ist gerade am Anfang die Gefahr, Fehlentscheidungen zu treffen, besonders gross. Warum eigentlich?

Viele CEOs machen in den ersten Wochen und Monaten die Erfahrung, dass sie in einer Zwickmühle stecken. Der Erwartungsdruck vonseiten der Märkte, der Aktionäre und der Belegschaft ist gewaltig. Wir leben ja in einer Gesellschaft, in der immer auf die ersten 100 Tage eines Mandats fokussiert wird. Aber für neue CEOs ist es in der Regel unmöglich, in so kurzer Frist das Unternehmen gut genug kennenzulernen, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Die Versuchung ist gross, in dieser Lage in fehlgeleiteten Aktivismus zu verfallen – um sich ja nicht das Image einer lahmen Ente einzuhandeln.

Wie kommt man als CEO am besten durch die schwierige Anfangsphase?

Das richtige Timing ist essenziell: Man muss sich zunächst Zeit nehmen, um die Firma genau kennenzulernen, und erst dann konsequent handeln. Man kann sich in dieser Zeit auf kleinere Aktivitäten beschränken, mit denen man sich strategisch nichts verbaut. Dabei darf man nicht verpassen, klar zu kommunizieren, wofür man steht, und wann die wichtigen Entscheidungen zu erwarten sind. Ein gutes Beispiel ist für mich Mark Schneider: Als er 2017 als CEO bei Nestlé anfing, hat er klar gesagt, dass er sich im ersten halben Jahr zurückhalten werde, obwohl ihm ein aktivistischer Investor im Nacken sass. Sein bedachtsames Vorgehen hat sich bewährt.

Worauf stützen sich die Erkenntnisse, die Sie in Ihrem Buch präsentieren?

Eine wichtige Grundlage ist eine Datenbank, die wir mit Ko-Autoren über zehn Jahre hinweg aufgebaut haben. Sie enthält Informationen zu fast 1500 CEO-Auswechslungen in Nordamerika. Die zweite Grundlage besteht in der qualitativen Forschung zu ausgesuchten Einzelfällen. Drittens habe ich zusammen mit Marianna Zangrillo, mit der ich das Buch geschrieben habe, rund hundert Interviews mit Verwaltungsräten, CEOs und Headhuntern geführt. Marianna Zangrillo kommt aus der Praxis, sie ist als Führungskraft auf Transformationsprozesse spezialisiert. Wir wollten ein Buch schreiben, das wissenschaftlich fundiert und zugleich gut lesbar ist. Unser Ziel bestand darin, die Ergebnisse langjähriger Forschung für die Praxis zugänglich und anwendbar zu machen.

Lassen sich die Erkenntnisse, die Sie in Ihrem Buch zusammengetragen haben, auch auf das mittlere und untere Management übertragen?

Das nächste Buch, das wir planen, soll sich genau dieser Frage annehmen. Wir gehen davon aus, dass auf allen Führungsebenen ähnliche Grundprinzipien gelten. Es ist aber noch einiges an Forschung nötig, um diese Annahme zu untermauern.

Buchhinweis: Thomas Keil, Marianna Zangrillo: The Next Ceo. Board and CEO Perspectives for Successful CEO Succession; Routledge 2021, 226 Seiten

Dieser Artikel ist erstmals auf der Homepage der Universität Zürich erschienen.

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