«Ich bin überzeugt, dass der Werkplatz auch in 10 Jahren immer noch über 300’000 Leute beschäftigen

Swissmem-Präsident Hans Hess sieht die Zukunft des Werkplatzes Schweiz positiv. Allerdings dürfe ein Segment der Arbeitskräfte nicht vergessen werden.

Hans Hess, Unternehmer und Swissmem-Präsident

Sind Sie überrascht, wie gut sich der Werkplatz Schweiz trotz Frankenstärke schlägt?
Hans Hess: Ich bin positiv überrascht, dass so viele Unternehmen die beiden Frankenschocks derart gut überwunden haben. Das sind vor allem die grossen börsenkotierten Firmen und die grösseren KMUs. Wenn man aber den deutschen Werkplatz zum Vergleich heranzieht, dann stellt man leider fest, dass die Schweiz, die sich lange Zeit auf Augenhöhe mit Deutschland befand, deutlich an Terrain eingebüsst hat.

Woran liegt das?
Den kleinen Industriefirmen, namentlich den Zulieferern, geht es nach wie vor sehr schlecht. Sie haben im Vergleich zu den grösseren Firmen weniger Möglichkeiten, durch Innovation, Outsourcing oder die Internationalisierung ihrer Wertschöpfungskette die Frankenstärke zu kompensieren. Diese Unternehmen befinden sich immer noch in einer sehr schwierigen Situation.

Wie hat der Frankenschock den Werkplatz Schweiz verändert?
Seit 2011 ist der Franken massiv überbewertet. Man muss allerdings auch zugeben, dass er vor 2010 10 Jahre lang unterbewertet war und die Industrie davon profitierte. Der Frankenschock vor bald sechs Jahren führte zu massiven Einbrüchen bei den Margen, so dass zeitweise rund ein Drittel der Industriefirmen rote Zahlen geschrieben hat. Dies hat den Strukturwandel auf dem Werkplatz beschleunigt und zu einem Abbau von Arbeitsplätzen geführt.

Wie manifestiert sich der Strukturwandel?
Viele Industriefirmen ab etwa 50 Millionen Franken Umsatz führen mittlerweile nur noch jene Tätigkeiten in der Schweiz aus, die man hier erfolgreich machen kann. Einfache manuelle Tätigkeiten, die sich nicht automatisieren lassen, sind ins Ausland abgewandert. Zum Strukturwandel gehört neben des starken Frankens und der Globalisierung aber auch die Digitalisierung, die ebenso zu einer Veränderung von Arbeitsschritten führt. Aber vergessen wir nicht, dass der Werkplatz Schweiz auch viele ausgeprägte Stärken hat. Sie führen dazu, dass die meisten Schweizer Firmen hier bleiben wollen und internationale Konzerne wie Google oder Walt Disney hierher ziehen, weil sie den sehr starken Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz schätzen. Dadurch werden wieder neue Jobs geschaffen – wenn auch andere. Das ist ein Beweis dafür, dass der Werkplatz Schweiz nach wie vor grosse Bedeutung und eine Zukunft hat.

Viele Beobachter hatten nach 2011 Angst, es würde am Werkplatz zu einem Blutbad kommen. Schaut man in die Arbeitslosenstatistik, ist es zum Glück nicht so blutig geworden.
Da bin ich auch sehr froh. Was mir jedoch Sorgen bereitet, ist die hohe Arbeitslosenquote im Segment der Arbeitskräfte ohne Abschluss: diese beträgt über 10 Prozent, während sie in den anderen Bereichen bei 3 Prozent liegt. Die niedrig-qualifizierten Arbeitskräfte, und zwar nicht nur in der Maschinenindustrie, sind vom Digitalisierungstrend am meisten betroffen.

Sie malen ein düsteres Bild?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin grundsätzlich sehr positiv. Die Industrie hat ihre enorme Anpassungsfähigkeit bewiesen. Die Unternehmen haben den Frankenschock als Chance wahrgenommen, noch besser, noch innovativer und noch effizienter zu werden. Allerdings muss man festhalten, dass die weniger qualifizierten Arbeitskräfte und die Zulieferfirmen, die keine eigenen Produkte herstellen, heute zu den Verlierern des Strukturwandels gehören.

Fordern Sie eine Weiterbildungsinitiative?
Ja, das fordere ich. Es braucht Massnahmen und Hilfe für jene Arbeitskräfte, die einen Beruf erlernt haben, den es heute nicht mehr braucht. Diese Leute dürfen wir nicht aufgeben, sondern müssen sie mitziehen, indem wir ihre Qualifikationen verbessern. Meiner Meinung nach müssen die Unternehmen, die Verbände und der Staat gemeinsam geeignete Weiterbildungsmassnahmen finden. Das drängt sich in der digitalen Transformation noch mehr auf.

Was ist der Schlüssel zum erfolgreichen Werkplatz Schweiz.
Erstens sind wir immer wieder in der Lage, uns schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Das haben wir mit den beiden Frankenschocks von 2011 und 2015 in beeindruckender Art und Weise bewiesen. Zweitens ist die Innovation das Lebenselixier der schweizerischen Exportindustrie. Wir müssen uns differenzieren, indem wir kundenorientierter und innovativer sind als unsere ausländischen Konkurrenten. Drittens müssen wir die hohen Kosten auf der Preisinsel Schweiz durch Effizienz und Automatisierung wettmachen. In all diesen Bereichen ist in den vergangenen Jahren schon viel passiert.

Wie sehen Sie die Zukunft des Werkplatzes Schweiz?
Ich sehe sie positiv. Ich bin überzeugt, dass der Werkplatz auch in 10 Jahren immer noch über 300’000 Leute beschäftigen wird. Schon vor 10 Jahren waren wir bei 320’000 Arbeitsplätzen. Nach einem Aufbau haben wir in der Maschinenindustrie seit Anfang 2015 wieder mehr als 10’000 Arbeitsplätze verloren. Der Frankenschock ist nicht spurlos an uns vorbeigegangen. Meine Ambition ist es jedoch, dass wir die Chancen, die sich mit der Digitalisierung unter dem Stichwort «Industrie 4.0» ergeben, packen, uns im internationalen Umfeld gut positionieren und so den Werk- und Denkplatz Schweiz sogar noch stärken können.

Was macht Sie so zuversichtlich?
Vor anderthalb Jahren publizierte das Strategieberatungsunternehmen Roland Berger eine Studie zur Bereitschaft der Industrien in Europa für die Digitalisierung. Die Schweiz belegte zusammen mit Deutschland eine Top-Position. Denn unser Werkplatz ist anpassungsfähig, flexibel, innovativ, verfügt über hochqualifizierte Leute, effiziente, automatisierte Prozesse und eine hervorragende IT-Infrastruktur. Ausserdem hat die Schweiz Top-Hochschulen und Fachhochschulen. Wir haben damit günstige Voraussetzungen, um in der Industrie 4.0 eine führende Rolle zu spielen.

Wo konkret kann die Schweiz eine führende Rolle spielen?
Es gibt zwei Hauptstossrichtungen. Die eine sind «smart products», das heisst intelligente Produkte, die miteinander vernetzt sind, kommunizieren und Daten austauschen, auch bekannt als Internet der Dinge. Die andere Stossrichtung sind «smart factories». Ganze Fabriken und Werkschöpfungsketten werden noch stärker miteinander vernetzt und automatisiert. Eine Maschine stellt zum Beispiel selber fest, dass eine Schraube einen Verschleiss hat, bestellt eine neue Schraube und bietet gleich noch den Servicemonteur auf, ohne menschliche Interaktion.

Welches sind die grössten Gefahren für den Werkplatz Schweiz?
Europa hat seine diversen Krisen und Strukturprobleme leider noch nicht gelöst, was sich jederzeit auf die Währungen und den Franken auswirken könnte. Würde der Franken kurzfristig nochmals massiv stärker, kämen die kleineren Firmen und namentlich die Zulieferer ganz unter die Räder.

Wenn Sie jetzt eine Fee wären, welche drei Wünsche hätten Sie für die Schweizer Industrie?
Ich wünsche mir erstens, dass es der Schweiz gelingt, ein weltoffenes Land zu bleiben. Zweitens soll die Schweiz einen Weg finden, ihre werktätige Bevölkerung auf die digitale Reise mitzunehmen, so dass es bei uns keine Bevölkerungsgruppen gibt, die vom Arbeitsmarkt abgehängt werden. Und drittens wünsche ich mir, dass die Unternehmenssteuerreform III angenommen wird. Unser Steuersystem muss wieder international akzeptiert und damit stabil werden. Das stärkt die Schweiz und sichert Steuersubstrat und Arbeitskräfte.

Gespräch: Pascal Ihle 

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