In der modernen Welt gibt es keine Evidenz für einen negativen Nettoeffekt der Dichte auf den Wohlstand. (Bild: flickr)

Wer glaubt, dass Phänomene wie Urbanität oder Siedlungsdichte erst in den letzten Jahren kontrovers diskutiert werden, kennt die Geschichte nicht. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts warnte der britische Ökonom Thomas Malthus vor einer dem Wachstum eigenen Tendenz, sich selbst zu zerstören. Malthus wusste, dass der technologische Fortschritt durchaus Wohlstand bringen kann – die industrielle Revolution war damals in vollem Gange –, dennoch prognostizierte er, dass dieses Wachstum mit einer grösseren Bevölkerungsdichte einhergehen würde, die die anfänglichen Wohlstandsgewinne durch Unterernährung, Krankheiten oder gar Krieg zunichtemachen würde. Dichte war für Malthus Bedrohung, nicht Chance. Die Ressourcen seien begrenzt, meinte er, nicht aber die Bedürfnisse der Einwohner der stets wachsenden Städte – das müsse schlecht enden.

In den Zentren leben die Bestverdiener
Wie einflussreich Malthus‘ Ideen auch immer waren: Seine Prognosen haben sich, gelinde gesagt, nicht bewahrheitet. Nicht nur wuchs die Bevölkerung der Städte in England und anderswo weiter, ohne sich zu zerfleischen. Auch das Einkommen und die Lebensqualität nahmen – abgesehen von gelegentlichen Rezessionen – kontinuierlich zu. Heute wird in den reichsten Volkswirtschaften der überwiegende Teil der Wertschöpfung in urbanen Gebieten geschaffen, und in den Zentren leben die Bestverdiener. Wer die moderne Welt analysiert, kann kaum Evidenz dafür finden, dass die Bevölkerungsdichte einen negativen Nettoeffekt auf den Wohlstand ausüben würde. Im Gegenteil: mit Ausnahme einiger weniger, spärlich bevölkerter, aber ressourcenstarker Länder sind die reichen Länder der Erde alle stark urbanisiert.

Auch in der Schweiz, wo mittlerweile gut 70 Prozent der Einwohner in Städten leben, überwiegt der Nutzen der Nähe. Studien bestätigen den Zusammenhang zwischen Einkommen und Agglomerationsgrösse: Die Verdoppelung der Einwohnerzahl ist im Durchschnitt mit um rund fünf Prozent höheren Löhnen verbunden. Mit anderen Worten verdient man (für den genau gleichen Job) in einer Agglomeration von einer halben Million Einwohner rund ein Drittel mehr als im 10’000-Seelen-Städtchen.

Unsichtbare Vorteile der Dichte
Doch wie entstehen diese unsichtbaren Vorteile der Dichte, die dazu geführt haben, dass in der Schweiz fast 85 Prozent der Arbeitsplätze in den urbanen Zentren zu finden sind? Und warum haben diese Vorteile in den letzten Jahren zugenommen? Um es gleich vorwegzunehmen: Eine einzige Erklärung lässt sich nicht finden. Mit der Globalisierung wurde die Rolle der Stadt als Tausch- und Begegnungsort, als Handels- und Finanzplatz verstärkt. Sie hat den urbanen Arbeitsmärkten – die international vernetzt sind – eine zusätzliche Attraktivität verliehen. Je grösser der Arbeitsmarkt ist, desto grösser ist auch die Auswahl für die Erwerbstätigen, und entsprechend steigt für die Arbeitnehmer auch die Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen zu finden, das ihren Qualifikationen am besten entspricht.

Letztlich dürfte die positive volkswirtschaftliche Wirkung der Dichte noch stärker auf die höhere Innovationsfähigkeit der urbanen Räume zurückzuführen sein. Die Diversität der Stadt fördert die Innovation und die Diffusion von Wissen, während die Nähe und die zahlreichen Interaktionsmöglichkeiten als Katalysator dieser Prozesse wirken. Demzufolge bieten sich Städte als natürliche Biotope der Wissensvermittlung an – eine Tätigkeit, die gut 20 Prozent der Ressourcen entwickelter Volkswirtschaften ausmacht. Damit erklärt sich auch, dass Startups selten ausserhalb von urbanen Räumen anzutreffen sind.

Parallel dazu haben sich zudem manche urbane Zentren erfolgreich zu consumer cities gemausert, deren Attraktivität auf einer gelungenen Mischung von Faktoren wie Kultur, Architektur und urbanem Flair beruht. Mit steigendem Einkommen und höherem Bildungsniveau stellt man eine erhöhte Nachfrage nach Urbanität fest, die sich nicht nur in Modephänomenen wie den Hipsters und Bobos manifestiert, sondern sich auch in einer wachsenden Zahl von reverse commuters niederschlägt: Erwerbstätigen, die vom Zentrum in die Peripherie pendeln.

Vorteile in Bodenpreisen und Mieten kapitalisiert
«Und die Lebensqualität?» werden manche fragen. Wäre die Dichte tatsächlich so «stressig», liesse sich nicht erklären, warum ausgerechnet in den grössten Agglomerationen die höchsten Immobilienpreise bezahlt werden und warum in den letzten zehn Jahren ausgerechnet die grössten Agglomerationen am meisten Zulauf erlebt haben. Offensichtlich gefällt es den Schweizern immer mehr, urban zu wohnen. Wie anderswo sind auch in der Schweiz die ärmeren Regionen gerade jene, die spärlich bevölkert sind. Die Städter mögen zwar dorthin Wandern gehen, deren (relative) Unberührtheit bewundern und ab und zu mit dem Gedanken spielen, sich fernab der dichten urbanen Gebiete niederzulassen – aber die wenigsten tun es.

Allerdings fallen die Vorteile der Stadt und der Zentralität nicht umsonst zu. Sie werden zum Teil in den Bodenpreisen und den Mieten kapitalisiert. Wer einen ausgeprägten Bedarf an mehr Raum hat, wie zum Beispiel Familien mit Kindern, wird dazu neigen, sich fernab der Zentren niederzulassen. Die fortschreitende Ausdehnung der Siedlungsgebiete an der Peripherie der Grossstädte (die sogenannte Zersiedelung) ist vor allem als Reaktion der Haushalte auf die teuren Mieten und Preise in den zentralen Lagen zu verstehen. Sie wird zusätzlich durch die stete Verbilligung der Mobilität begünstigt – der privaten wie der öffentlichen. Eine offensive Verkehrspolitik, wie sie mit einigem Erfolg (und erheblichem finanziellem Aufwand) in den Schweizer Agglomerationen verfolgt wird, fördert die relative Attraktivität der Peripherie im Vergleich zum Stadtzentrum und begünstigt somit das Ausufern der Agglomerationen.

Schliesslich tragen Dichtebeschränkungen ebenfalls zur verstärkten Suburbanisierung bei. Auch wenn eine hohe bauliche Dichte mit der Zunahme gewisser unerwünschter Effekte wie Lärmemissionen und Schattenwürfe einhergeht, lassen sich einschneidende Begrenzungen aus Sicht der Gesellschaft schwer rechtfertigen. Die Festlegung einer tiefen Ausnützungsziffer hat zur Konsequenz, dass nur teure Wohnformen gebaut werden können, was wiederum viele Haushalte dazu zwingt, weiter weg vom Zentrum zu wohnen. Der Zusammenhang zwischen Dichte und Innovation ist entscheidend, und statisches Denken verträgt sich nur schlecht mit diesem Phänomen. Gerade hier hatte Malthus seinen blinden Fleck – wie auch heute noch ein Teil der der Schweizer Raumpolitik.

Dieser Text erschien am 6. Januar als Blog auf www.avenir-suisse.ch.

Plädoyer für den weltoffenen Kleinstaat

Konrad Hummler und Franz Jaeger geben Ende Juni ein Buch über die Schweiz heraus. Sie wollen eine Identitätsdebatte anstossen. Weshalb verraten sie im ersten Teil des influence-Gesprächs.

«Wir müssen die Kinder in den Schnee bringen – nicht in die Karibik»

Gian Franco Kasper, Präsident des Weltskiverbands FIS, über die Heim-WM in St. Moritz, das Nein der Bündner zu Olympia und den Boom des Skisports in China.

«Wir brauchen einen Wettbewerb der Ideen»

Der neue Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder über die Schweiz, ihre Erfolgsfaktoren und Provokationen. Sein erstes Gespräch.

«Bären drucken keine Geldscheine, die man nicht essen kann»

Weltraumforscherin SalomeKann man überhaupt von Tieren lernen? Und was konkret? Die beiden Direktoren Alex Rübel vom Zürcher Zoo und Bernd Schildger vom Tierpark Bern geben Auskunft. erklärt, wie sie ein Instrument baut, um Leben im All nachzuweisen.

«Als Chef muss ich zeigen, dass es möglich ist, ein Sabbatical zu nehmen»

Weshalb der BLS-Chef Bernhard Guillelmon Führungskräfte rät, eine Auszeit zu nehmen.

Was ist der Schweizer Finanzplatz noch wert?

Die Schlagzeilen über den Niedergang des Schweizer Finanzplatzes mehren sich geradezu inflationär. Ist der Abgesang auch gerechtfertigt? 10 Fakten.

Wie AI die Integration stark verbessern kann

Ein Algorithmus berechnet, wo ein Flüchtling bessere Chancen hat, schnell Arbeit zu finden.

So kommunizieren Sie erfolgreich in einer Krise

Sieben Erkenntnisse für Firmen und Führungskräfte

«Niemand wagt es, genau hinzusehen»

Carolina Müller-Möhl ist Unternehmerin und Philanthropin. Ihr Ziel ist es, einen Beitrag für eine bessere Gesellschaft zu leisten. Dadurch macht sie sich auch angreifbar, doch das spornt sie an, erst recht weiterzumachen.