Der Politikwissenschafter Dominik Hangartner forscht am Immigration Policy Lab an der ETH Zürich. Letztes Jahr erhielt er einen der wichtigsten Schweizer Wissenschaftspreise. Die Jury des prestigeträchtigen Latsis-Preises würdigte ausdrücklich die Qualität seiner Migrationsforschung und deren Anwendbarkeit auf die Politik. Doch wie genau lässt sich Forschung auf die Politik anwenden? Und in welcher Form kann er mit seiner Wissenschaft die Behörden unterstützen? Beides hat viel mit den Fortschritten in der automatisierten Analyse grosser Datenmengen zu tun.
Am besten lassen sich die Fragen konkret an einem von Hangartners Projekten beantworten; nämlich an demjenigen, mit dem er das Staatssekretariat für Migration (SEM) bei der optimalen Platzierung von Flüchtlingen unterstützt.
Computer findet Verhaltenszusammenhänge schneller und besser
Hangartner arbeitet mit der mathematischen Modellierung sozialen Verhaltens. Statistische Verfahren sind kennzeichnend für seinen Ansatz. Dank maschinellen Lernens können Computer Zusammenhänge in komplexen Datensätzen finden, die Menschen sonst nicht – oder nicht innert nützlicher Frist – erkennen könnten.
Dank dieser Technologie, auch Artificial Intelligence genannt, haben er und andere Wissenschafter ein Tool entwickelt, das die soziale und kosteneffiziente Integration von Flüchtlingen optimiert. Im Fokus stehen einerseits die persönlichen Charakteristika der Neuankömmlinge wie ihre Ausbildung und Berufserfahrung, anderseits wird das geografische Umfeld ihrer möglichen Unterbringung untersucht. Eine Optimierung dieser Faktoren sei zentral für eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen, erklärte Hangartner jüngst an einer Veranstaltung von avenir suisse.
Unterschiedlicher Erfolg der Kantone bei der Integration von Flüchtlingen
Der Erfolg von Arbeitsintegration unterscheidet sich aus verschiedenen Gründen stark innerhalb der Schweizer Kantone: Während im Wallis die Beschäftigung von Flüchtlingen bei rund 15 Prozent liegt, beträgt sie im Kanton Graubünden fast 50 Prozent. Dies, obwohl die Zusammensetzung von Flüchtlingen zwischen den Kantonen kaum abweicht, da die Menschen bisher nach dem Zufallsprinzip verteilt wurden.
Jüngere Immigranten haben deutlich bessere Chancen, einen Job zu finden als ältere. Noch relevanter für eine erfolgreiche Integration sind allerdings Sprachkenntnisse. Beispielsweise hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge aus Sri Lanka eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Integration aufweisen als solche aus Somalia. Die persönlichen Charakteristika wirken sich in verschiedenen Kantonen jedoch unterschiedlich aus.
Algorithmus soll Flüchtlinge auf Kantone verteilen
Wenn es nun gelingt, bei der Platzierung der Flüchtlinge den richtigen Hebel anzusetzen, verbessert sich deren Integration. Mit dem von Hangartner und Kollegen aus Stanford entwickelten «Zuteilungsalgorithmus» findet ein Computerprogramm anhand realer Daten heraus, wie gut die individuellen Charakteristika und Kompetenzen von Geflüchteten mit den Eigenschaften zusammenpassen, die in lokalen Arbeitsmärkten besonders gesucht sind. Oder anders ausgedrückt: Der Computer sagt voraus, welche Flüchtlinge in welchen Kantonen die besten Chancen für eine erfolgreiche Integration aufweisen. Das Werkzeug erlaubt es, die Arbeitsintegration von Flüchtlingen um 40 bis 50 Prozent zu steigern.
Wie gut der Ansatz in der Praxis funktioniert, testet derzeit das SEM in einem Pilotprojekt. Erste Erfahrungen mit dem Algorithmus haben gezeigt, dass die Verbesserung nicht nur den Durchschnitt betrifft, sondern auch in sämtlichen Untergruppen funktioniert, das heisst in allen Altersgruppen, bei verschiedenen Geschlechtern, verschiedenen Herkunftsländern und unterschiedlichen Sprachkenntnissen.
Auch andere Staaten am neuen Programm interessiert
Auf dieser Grundlage lässt sich die regionale Zuteilung der Geflüchteten in der Schweiz so optimieren, dass sie in eine Region gelangen, wo sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine Arbeit finden werden. Wenig überraschend haben auch schon andere Staaten ihr Interesse an diesem Programm signalisiert, etwa die Benelux-Staaten und Skandinavien.
Doch das SEM arbeitet noch aus einem anderen Grund gerne mit Hangartner zusammen. Er untersucht nämlich auch, wie gut die Schweizer Asylpolitik performt. Allein in den vergangenen drei Jahren konnte er in verschiedenen Publikationen belegen, dass Staaten und Gemeinden durch lange Asylverfahren und Arbeitsverbote für Geflüchtete höhere Sozialkosten entstehen und Steuereinnahmen entgehen. Etwas, was garantiert niemand will.
Und darum ist es gut möglich, dass schon bald andere Verwaltungsstellen den Einsatz von Artificial Intelligence evaluieren werden. Denn das Potenzial für ihre Anwendung ist auch in der öffentlichen Verwaltung riesig.