Kürzlich sagte Microsoft-Gründer Bill Gates, dass KI Ärzte, Lehrerinnen und andere Berufsleute in den nächsten 10 Jahren ersetzen werde. Solche Zitate schüren Nervosität – auch am Arbeitsmarkt. Doch was bedeutet das konkret für die Jobs in der Schweiz? (Foto: Shutterstock)

Schon 2023 sagte Elon Musk: «There will come a point where no job is needed.» Und dieses Jahr erklärt Bill Gates: «AI will replace doctors, teachers and more professionals in the next 10 years, making humans unnecessary for most things.» Solche Zitate schüren Nervosität – auch am Arbeitsmarkt. Während von früheren Automatisierungswellen vor allem Fabrikarbeiter betroffen waren, richtet sich der Blick heute auf gut ausgebildete Büroangestellte, Lehrpersonen oder sogar Juristinnen. Der Grund: die rasanten Fortschritte bei generativer Künstlicher Intelligenz (KI) – besonders bei grossen Sprachmodellen («Large Language Models») wie ChatGPT, Gemini oder Claude.

Doch was bedeutet das konkret für die Jobs in der Schweiz? Welche Berufe geraten unter Druck? Welche könnten sogar profitieren? Wir haben unsere frühere Analyse zu KI mit einem spezifischen Fokus auf Sprachmodelle und aktualisierten Daten aus der Schweiz neu geschätzt. Das Ergebnis zeigt ein differenziertes Bild: Weder droht ein flächendeckender Jobverlust, noch sind die Sorgen unbegründet. Die Wahrheit liegt – wie so oft – dazwischen.

Zwei Fragen entscheiden über die Zukunft eines Berufs

Sprachmodelle wie ChatGPT werden mit riesigen Textmengen darauf trainiert, natürliche Sprache zu verstehen und zu erzeugen. Sie können Texte zusammenfassen, E-Mails formulieren, Verträge analysieren oder Programmcodes entwickeln. Das macht sie zum perfekten Werkzeug für viele Tätigkeiten, die bisher gut ausgebildeten Menschen vorbehalten waren. Ihr Einfluss ist dort besonders spürbar, wo mit Sprache, Wissen und Information gearbeitet wird – also in Büros, Kanzleien, Schulen oder der Beratung. Kein Wunder also, dass die Frage nach der «Job-Sicherheit» neu gestellt wird.

Wie genau Sprachmodelle die Arbeitswelt verändern werden, weiss heute niemand. Unsere Analyse versteht sich daher weniger als Prognose, sondern als Momentaufnahme – basierend auf dem heutigen Stand der Technik und gesellschaftlichen Einstellungen. Um systematisch zu erfassen, welche Berufe besonders betroffen sind, betrachten wir zwei zentrale Dimensionen:

1. Wie stark ist ein Beruf technisch von Sprachmodellen betroffen?

Hier geht es um das reine Potenzial: Inwiefern können die Fähigkeiten, die ein Beruf erfordert, durch ein Sprachmodell abgedeckt werden? Gemeint ist damit nicht, ob ein gesamter Job ersetzt wird, sondern ob einzelne Aufgaben innerhalb eines Jobs theoretisch von einem Sprachmodell übernommen werden könnten.

Beispiel: Ein Callcenter-Agent beantwortet täglich Dutzende ähnliche Anfragen. Ein Sprachmodell kann diese Antworten in Sekundenschnelle formulieren – oft schneller, konsistenter und sogar in mehreren Sprachen. Entsprechend hoch ist die technische Betroffenheit.

Anders bei einem Coiffeur oder einer Physiotherapeutin: Diese Berufe erfordern manuelle Geschicklichkeit, direkte Interaktion mit dem Menschen vor Ort – also Kompetenzen, die Sprachmodelle grundsätzlich nicht beherrschen. Die Betroffenheit ist hier gering.

2. Wie sehr wollen (oder können) wir Aufgaben an KI delegieren?

Die zweite Dimension ist subtiler, aber nicht weniger wichtig. Selbst wenn eine Tätigkeit technisch durch ein Sprachmodell machbar wäre: Sind wir als Gesellschaft, als Kunden, als Patienten, als Bürger überhaupt bereit, diese Aufgabe der Maschine zu überlassen?

Beispiel: Ein Sprachmodell kann medizinische Diagnosen vorschlagen – auf Basis von Studien, Leitlinien und Fallvergleichen. Doch wollen wir, dass ein Algorithmus über unsere Therapie entscheidet? Die meisten Menschen vertrauen bei gesundheitlichen Fragen – zumindest im Moment noch – lieber einem Arzt oder einer Ärztin und nicht einer Maschine. Auch wenn der Computer vielleicht sachlich recht hat, fehlt das Vertrauen, die persönliche Ansprache, das Abwägen im Einzelfall.

Dasselbe gilt für Richterinnen, Lehrer, Sozialarbeiter: Ihre Aufgaben sind oft mit moralischer Verantwortung, sozialem oder psychologischem Gespür verbunden. Selbst wenn Sprachmodelle unterstützen können, scheitert der Einsatz oft an unserer Bereitschaft, Verantwortung zu delegieren.

Diese Bereitschaft zur Delegation ist kein fixer Wert. Sie kann sich mit der Zeit verändern – etwa wenn Systeme verlässlicher werden oder wenn sich unser gesellschaftliches Verständnis von Verantwortung verschiebt.

Vier Berufstypen im KI-Zeitalter

Erst die Kombination aus technischer Ersetzbarkeit und Bereitschaft zur Delegation entscheidet, ob ein Beruf gefährdet ist, oder ob er von Sprachmodellen profitiert. Daraus ergeben sich vier Kategorien (siehe Abbildung):

  1. Profitierende (z.B. Richter, Lehrpersonen)
    Sprachmodelle können sie unterstützen, gleichzeitig spielen die persönliche Verantwortung sowie zwischenmenschliche Aspekte weiterhin eine grosse Rolle. Diese Tätigkeiten bleiben unentbehrlich – und werden gleichzeitig produktiver.
  2. Begünstigte (z.B. Elektriker, Polizistinnen)
    Diese Berufe sind weniger stark betroffen, können aber punktuell von Sprachmodellen profitieren – etwa bei der Protokollierung oder Dokumentation.
  3. Wenig Tangierte (z.B. Coiffeure, Reinigungspersonal)
    Sie leisten oft körperliche Arbeit oder stehen direkt im Austausch mit Menschen. Sprachmodelle spielen hier kaum eine Rolle.
  4. Gefährdete (z.B. Callcenter-Agenten, Bürokräfte)
    Ihre Tätigkeiten lassen sich technisch leicht abbilden, und es gibt wenig Hürden, diese Aufgaben an Maschinen abzugeben.

Wer in der Schweiz profitiert – und wer nicht

Wir haben diese Analyse auf den Schweizer Arbeitsmarkt angewendet, basierend auf der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake). Dabei zeigt sich folgendes Bild:

  • Profitierende (23%): Führungskräfte, Lehrpersonen, Naturwissenschafter, Juristinnen und Ingenieure. Sie nutzen Sprachmodelle zur Effizienzsteigerung, doch ihre fachliche Expertise und Entscheidungsrolle bleiben unersetzlich.
  • Gefährdete (24%): Bürokräfte sowie teilweise Betriebswirtschafter oder IKT-Technikerinnen. Ihre Aufgaben sind oft standardisiert und delegierbar. Sie geraten in direkte Konkurrenz mit Sprachmodellen.
  • Neutral (53%): Diese heterogen zusammengesetzte Gruppe (u.a. Handwerker, Pflegeberufe, Sicherheitskräfte) profitiert kaum direkt von Sprachmodellen – wird aber auch nicht verdrängt. Sie setzt sich zusammen aus den Begünstigten (24%) sowie den wenig Tangierten (29%).

Während rund die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz nur gering betroffen sein dürfte, könnten jeweils etwa ein Viertel zu den Gewinnern oder Verlieren zählen. Besonders interessant sind die akademischen Wissensarbeiter. Hier entscheidet der Kontext: Ein Datenwissenschafter profitiert, weil er Sprachmodelle zur Analyse und Automatisierung einsetzen kann. Ein einfacher Recherchedienstleister hingegen könnte verdrängt werden.

Die unterschiedliche Betroffenheit zeigt sich auch auf Branchenebene: In der Informations- und Kommunikationsbranche zählen rund 60% der Beschäftigten zu den potenziell Gefährdeten, im Bildungssektor hingegen rund 70% zu den Profiteuren. Bemerkenswert: In der öffentlichen Verwaltung sind gemäss unseren Berechnungen 38% der Stellen durch Sprachmodelle potenziell ersetzbar. Das eröffnet die Möglichkeit, den (oft kritisierten) Stellenzuwachs zu bremsen und Ressourcen für andere Bereiche freizumachen.

Dabei gilt jedoch: Auch die fortschrittlichsten Sprachmodelle benötigen weiterhin Menschen – zum Prompten, Prüfen, Entscheiden und Anpassen. Generative KI dürfte in vielen Fällen ein Werkzeug sein, kein vollständiger Ersatz. Es sind menschliche Fähigkeiten wie Urteilsvermögen, Empathie und Verantwortungsbewusstsein, die oftmals den Unterschied machen.

Fazit: Veränderung zulassen, Chancen nutzen
Sprachmodelle verändern die Arbeitswelt. Aber nicht von heute auf morgen. Viele Menschen, Unternehmen und Institutionen reagieren langsam – doch der Wandel ist bereits in Gang. Und mit ihm verschieben sich Aufgaben, Anforderungen und Jobprofile. Manche Berufe dürften verschwinden, viele sich grundlegend wandeln – und neue Tätigkeiten entstehen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.

Das ist jedoch keine Schreckensvision. Die Schweiz ist für diesen Wandel gut gerüstet:

  • Gut ausgebildete Bevölkerung, innovative Unternehmen – das sind ideale Voraussetzungen, um neue Technologien produktiv einzusetzen.
  • Duale Berufsbildung und ein flexibler Arbeitsmarkt sorgen für Praxisnähe und Anpassungsfähigkeit. Arbeitgeber können rasch reagieren und neue Jobprofile ausprobieren.
  • Eine alternde Bevölkerung und Fachkräftemangel machen Produktivitätsgewinne dringend nötig – KI kommt zur rechten Zeit.
  • Stabile soziale Sicherungssysteme federn Härten ab, wo Menschen von Umbrüchen betroffen sind.

Es gibt also durchaus Gründe, optimistisch zu sein. Sprachmodelle verändern die Regeln – aber sie schreiben nicht das Drehbuch. Die Zukunft dürfte jenen gehören, die das Zusammenspiel von Mensch und Maschine mit Neugier begleiten und austesten. Wer versteht, wie sich beides sinnvoll verbinden lässt, wird auch morgen gefragt sein.

Gleichzeitig braucht es Aufmerksamkeit für jene, die mit dem Wandel ringen. Nicht alle können sofort profitieren. Manche werden sich neu orientieren müssen. Umso wichtiger ist es, dass Staat und Gesellschaft den Wandel begleiten: mit Weiterbildungen, Umschulungen und verlässlicher Absicherung. So wird technologischer Fortschritt nicht zum Risiko, sondern zur Chance für alle.

Methodik 

Die Vorgehensweise orientiert sich an der Avenir-Suisse-Studie «Zukunftssichere Berufe?», in der Marco Salvi und Patrick Schnell erstmals versucht haben, die potenziellen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf den Schweizer Arbeitsmarkt systematisch zu erfassen. 

Während die damalige Analyse die generellen Auswirkungen von KI untersuchte – basierend auf den Schätzungen von Felten et al. (2021), die verschiedenste Formen von KI-Technologien berücksichtigten –, fokussiert sich dieser Beitrag auf die Wirkung von grossen Sprachmodellen wie ChatGPT. Grundlage hierfür ist die neuere Publikation von Felten et al. (2023), die spezifisch den Einfluss von Sprachmodellen auf verschiedene berufliche Fähigkeiten quantifiziert. Unsere Ergebnisse sind jedoch sehr ähnlich ausgefallen wie diejenigen von Salvi und Schnell, was nicht unbedingt erstaunt, da Sprachmodelle der offenkundigste Anwendungsfall von KI sind. 

Die Einschätzung zur gesellschaftlichen Bereitschaft zur KI-Delegation basiert – wie in der ursprünglichen Studie – auf Daten von Pizzinelli et al. (2023). 

Als Datengrundlage für die berufliche Verteilung in der Schweiz dient erneut die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (Sake), aber mit neuen Daten von 2024. 

Dieser Artikel erschien erstmals bei Avenir Suisse

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