«Neu ist sexy und einfacher zu verkaufen»
FDP-Generalsekretärin Fanny Noghero erklärt, warum es ihr Kollege von der GLP viel einfacher hat und weshalb Petra Gössi gut für das Image der Partei ist.
FDP-Generalsekretärin Fanny Noghero erklärt, warum es ihr Kollege von der GLP viel einfacher hat und weshalb Petra Gössi gut für das Image der Partei ist.
Fanny Noghero, was heisst für Sie Macht*?
Fanny Noghero: Nichts.
Wirklich nicht?
Noghero: Es bedeutet mir tatsächlich nichts. Welche Stellung jemand in der Gesellschaft hat, ist mir egal. Für mich ist nicht entscheidend, ob jemand Bundesrat oder Bauer ist – er ist ein Mensch. Viel wichtiger als Macht ist mir Freiheit.
Arbeiten Sie deswegen bei einer Partei, welche die Freiheit im Namen trägt?
Noghero: Schon als kleines Kind war mir Freiheit immer wichtig. Seit ich konnte, gab ich meine Stimme den Liberalen, die wir damals in der Westschweiz noch hatten.
Dann stört es Sie nicht so sehr, dass die FDP als einst mit Abstand mächtigste Partei im Staat einen grossen Teil ihrer Macht verloren hat?
Noghero: Ich glaube nicht, dass eine Partei die absolute Macht haben muss. Um Wahlen zu gewinnen, muss sie vielmehr Lösungen finden, welche die Menschen überzeugen.
Ohne Mehrheit hat sie aber nicht den nötigen Einfluss, um ihre Lösungen auch durchzubringen.
Noghero: Einfluss ziehe ich als Begriff der Macht vor, denn Macht impliziert, dass eine Partei einfach alles selber entscheiden kann. Keine Partei soll das können. Aber selbstverständlich braucht eine Partei Einfluss.
Bezüglich Wähleranteil hat die FDP an Einfluss verloren. Wie stark wird ihr Einfluss sinken, wenn sie 2023 auch den zweite Bundesratssitz verliert?
Noghero: Für mich ist am wichtigsten, die Wahlen zu gewinnen. Dann erst stellt sich die Frage nach der Vertretung im Bundesrat. Und auch der SP-Sitz kann in Frage gestellt werden, sie haben viel an die Grünen verloren. Unsere beiden Bundesräte ergänzen sich und machen einen hervorragenden Job. Wie stark eine Partei die Entscheide beeinflussen kann, entscheidet sich vor allem im Parlament, im Nationalrat und im Ständerat. Natürlich werden wir für unsere zwei Sitze in der Regierung kämpfen. Aber die Mehrheit haben wir mit zwei von sieben Bundesräten ohnehin nicht. Es stimmt, wir haben bei der Wahl 2019 verloren, aber 2015 gehörten wir zu den Siegern. Aber der Kuchen wird in mehr Stücke geteilt, weil es immer mehr Parteien gibt, und da werden die einzelnen Stücke nun mal kleiner. Wir werden jedoch kämpfen, um Sitze in den Kantonen und auf Bundesebene zurückzugewinnen.
In den Kantonen verlieren Sie aber stärker als die anderen Parteien.
Noghero: Das stimmt so nicht. Alle anderen Parteien verlieren ebenfalls, die Mitte, die SP und selbst die SVP. Ich habe aber den Eindruck, dass man seit einigen Monaten nur auf die FDP fokussiert. Dabei haben wir in Neuenburg, Solothurn und im Wallis gewonnen – in jenen Kantonen, die gewagt haben, mehr Frauen und mehr junge, unverbrauchte Kandidatinnen und Kandidaten auf die Listen zu setzen. Es ist auch eine Frage des politischen Personals. Und in ein paar Kantonen haben wir ein Personalproblem. Wir müssen mehr an die nächste Generation denken.
Und jetzt schmeisst mit Petra Gössi auch die junge, unverbrauchte Frau an der Spitze ihren Job hin.
Noghero: Ja, aber erst nachdem sie die FDP fünf Jahre lang präsidiert hat. Bei Philipp Müller war es auch nicht mehr. Ich hoffe, wir bleiben auf der Linie, die Petra Gössi vorgegeben hat. Unser Image ist wichtig. Wir müssen verhindern, als elitäre Truppe wahrgenommen zu werden. Unsere Werte – Freiheit und Verantwortung – sind universelle Werte. Sie betreffen uns alle. Ich bin die Tochter eines Arbeiters und Enkelin von Einwanderern, und ich finde mich sehr gut in diesen Werten wieder.
Trotzdem verliert die FDP, während die GLP, die die gleichen Werte mit grünem Anstrich verteidigt, gewinnt.
Noghero: Mit nicht nur grünem, sondern auch leicht rötlichem Anstrich. Wobei jetzt die Wählerinnen und Wähler zu merken beginnen, dass grünliberal mehr grün als liberal ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine wichtige Position haben zwischen der SVP und der Mitte. Die SVP ist rechts und sehr konservativ, die Mitte etwas linker, aber ebenfalls eher konservativ. Wir sind auch rechts, das ist kein Tabu, aber fortschrittlich – eben liberal. Wir müssen das besser verkaufen.
Dabei haben Sie als Generalsekretärin die schwierigere Aufgabe als Ihr Kollege von der GLP, die zurzeit überall zulegt?
Noghero: Ja, ich denke schon, denn die Grünliberalen sind eine junge Bewegung mit viel jungen Vertreterinnen und Vertretern. Neu ist sexy. Es ist einfacher zu verkaufen als eine Partei mit langer Geschichte und verschiedenen Flügeln. Die Grünliberalen haben auch nicht die Verantwortung einer Regierungspartei. Aus der Opposition heraus zu kritisieren, ist immer einfacher.
Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag aus?
Noghero: Einen typischen Arbeitstag gibt es bei mir nicht. Jeder Tag ist anders und bringt seine eigene Portion an Überraschungen. Meine Arbeit besteht zu einem grossen Teil aus Koordination, ein bisschen wie ein Dirigent. Koordination mit den Kantonen, mit der Parteileitung, mit der Fraktion, manchmal auch mit den Medien. Das ist nicht planbar. Es gibt keinen Tag, an dem ich aufstehe und weiss, was genau ich tun werde. Plötzlich macht die SVP oder die SP etwas, auf das es zu reagieren gilt, plötzlich gibt es eine unerwartete Entwicklung im Bundesrat oder was auch immer. Man muss sehr flexibel, agil und reaktiv sein. Und das an sieben Tagen die Woche.
Was bedeutet für Sie der Rücktritt von Petra Gössi?
Noghero: Als ich mich für diese Stelle beworben hatte, habe ich es für Petra Gössi gemacht. Denn die Zusammenarbeit zwischen Generalsekretärin und Präsidentin ist sehr eng – wie bei einem Tandem oder Duo. Ich habe mich verpflichtet, weil ich die Werte von Petra Gössi teile, ihre Art zu politisieren. Davor habe ich enormen Respekt.
Was respektieren Sie am meisten?
Noghero: Sie ist unabhängig, hat keine Lobby hinter sich. Das ist es, was ich in der Politik liebe. Es mag naiv klingen, aber für mich repräsentiert Petra Gössi eine sehr reine Seite der Politik. Deshalb habe ich mich engagiert, weil ich fand, dass wir auf der gleichen Linie sind. Mit diesem Willen, für liberale Werte und nicht für Sonderinteressen zu kämpfen.
Ist Ihr Engagement auch zeitlich anspruchsvoll?
Noghero: Ja, ich habe nicht mehr viel Privatleben. Um so zu arbeiten, muss man wirklich überzeugt sein von dem, was man tut, und von der Person, mit der zusammen man es tut.
Der Posten der Generalsekretärin gilt aber auch als Sprungbrett für höhere Weihen.
Noghero: Dafür bin ich zu alt! (lacht). Im Ernst: Solche Überlegungen habe ich in meiner Karriere nie angestellt, sondern habe die Dinge immer genommen, wie sie gekommen sind. Ich habe nie davon geträumt, Generalsekretärin der FDP zu werden. Das war nicht mein Ziel. Aber ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit habe, es zu sein.
Haben Sie am Frauenstreik mitgemacht?
Noghero: Nein, ich war schon immer gegen Streiks, auch schon als Journalistin. Ich halte Gleichstellung für enorm wichtig, glaube aber, dass es andere Wege gibt, um sie zu erreichen. Ebenso entschieden lehne ich Quoten ab. Ich kann das Wort nicht ausstehen. Es ist schwierig für eine Frau, in einer Unternehmung eine Schlüsselposition einzunehmen. Früher hiess es, sie habe sich hochgeschlafen, und heute sagt man, sie sei eine Quotenfrau. Das finde ich schlimm.
Wer darf Ihnen privat widersprechen?
Noghero: Alle. Ich habe Freunde aus allen Parteien, auch aus der Kommunistischen Partei, die wir in Neuenburg noch haben. Ich schätze Menschen, die ehrliche Überzeugungen haben, auch wenn ich sie nicht teile.
Was tun Sie, wenn Sie nicht für die FDP arbeiten?
Noghero: Ich lese und reise gerne, sei es hier in der Schweiz oder in Italien. Ausserdem bin ich Präsidentin einer kulturellen Organisation, die sich für die Asphaltminen im Val-de-Travers einsetzt, und Mitglied des Kiwanis-Clubs. Wenn ich Zeit habe, versuche ich mit meinem Mann etwas zu unternehmen. Aber der Laptop ist immer dabei – die FDP ist immer da.
Fanny Noghero (42) hat in Neuenburg studiert, in Lausanne einen Abschluss in Journalismus und Kommunikation erworben und zwölf Jahre lang als Journalistin bei einer Wochen- und bei einer Tageszeitung gearbeitet. Erste Erfahrungen als Generalsekretärin einer Partei sammelte sie bei der FDP Neuenburg, arbeitete anschliessend als Kommunikationschefin für Swiss Medical Network und danach für die FDP Schweiz. Vergangenen Oktober wurde Fanny Noghero als erste Frau und erste Westschweizerin zur Generalsekretärin ernannt. Sie lebt mit ihrem Partner in Neuenburg.
*In der Schaltzentrale der Macht
Sie sitzen auf entscheidenden Positionen, aber selten im Rampenlicht: Generalsekretäre von Parteien oder eidgenössischen Departementen, Geschäftsführerinnen von Verbänden oder Direktoren von Nichtregierungsorganisationen. Braucht die Schweiz politische Lösungen, helfen sie diese zu entwickeln. In regelmässigen Abständen wollen wir im Gespräch die Schaltzentralen der Macht ausleuchten.