Dafür, dass ein Unternehmen die digitale Transformation schaffe, gebe es kein einziges Rezept. Davon ist Jennifer Jordan, Professorin für Leadership und Organizational Behaviour am IMD Lausanne, überzeugt. Für die Sozialpsychologin ist klar: «Jedes Unternehmen geht bei der Anpassung an das digitale Zeitalter einen etwas anderen Weg. In diesem Sinne sind Unternehmen wie ein Orchester, das nach und nach Stück für Stück neue Instrumente einführt, bis eine völlig neue Symphonie gespielt werden kann.» Die besten dieser Orchester seien diejenigen, die die Fähigkeiten der digitalen Führung unter ihren Spielern förderten und jüngere Künstler in ihren Reihen willkommen hiessen.
So poetisch diese Einschätzung auch tönt, sie basiert auf harten, wissenschaftlichen Fakten. Denn Jordan hat zusammen mit IMD-Kollege Professor Michael Wade, der den Lehrstuhl Innovation and Strategy leitet, aus ihrer Forschung ein Modell aus Persönlichkeitszügen, Kompetenzen und Fähigkeiten entwickelt. Viele Studien stammen aus dem IMD Center for Digital Transformation. An einer Studie haben zum Beispiel über tausend Manager teilgenommen, die entweder selbst mit einem digitalen Business-Modell einen bestehenden Markt auf den Kopf gestellt hatten oder deren Unternehmen von einer digitalen Disruption betroffen waren. Dabei haben Jordan und Wade die Persönlichkeit der Manager und deren Kompetenzen analysiert und geschaut, ob man daraus den Erfolg oder Misserfolg einer digitalen Transformation vorhersagen könne. In einer anderen Studie haben sie 47 Manager interviewt und sie gefragt, welche Kompetenzen ihrer Meinung nach für den Erfolg verantwortlich seien. Selbst die Angst unter Führungskräften war Thema einer weiteren Untersuchung, deren Resultate in das Modell einflossen.
Schliesslich konnten Jordan und Wade sieben Kernkompetenzen identifizieren. Ihr Führungsmodell beschreibt diese Eigenschaften, die den Erfolg in digitalen Unternehmen sowie in Unternehmen, die sich im Prozess der Digitalisierung befinden, prognostizieren. Am IMD ist man überzeugt, dass Manager damit einen Werkzeugkasten erhalten, der ihnen hilft, bei wichtigen Weichenstellungen in der digitalen Transformation Kurs zu halten.
Die sieben Eigenschaften zum Transformations-Erfolg kann man wie folgt umschreiben:
- Hyper-Awareness: «Ständiges Scannen von internen und externen Umgebungen auf Chancen und Risiken.» Ein Manager, der in einem Transformationsprozess Erfolg haben will, sollte wissen, wie das Unternehmen und die Mitarbeiter aufgestellt sind. Nur so kann er abschätzen, auf welche Entwicklungen er setzen soll und auf welche nicht.
- Informierte Entscheidungsfindung: «Nutzung von Daten und Informationen, um evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen.» Ein Manager kann sich heute nicht mehr nur auf sein Bauchgefühl verlassen. Er muss die Schlüsse aus vorhandenen Daten ziehen können.
- Schnelle Ausführung: «Die Bereitschaft, schnell zu handeln, wobei Geschwindigkeit oft wichtiger ist als Perfektion.» Gerade diese Botschaft könnte für Schweizer Verhältnisse vielleicht eine provokative sein. Hierzulande hält man Perfektion höher als die Geschwindigkeit. Aber viele Beispiele aus digitalen Unternehmen zeigen, dass gerade in der digitalen Transformation Geschwindigkeit alles ist. Denn es gilt auch beschränkte Fenster oder ein Business nur vorübergehend als gewinnbringend zu nutzen. «Try and Error» hat in solchen Transformationsprozessen eine viel höhere Bedeutung als in der herkömmlichen Wirtschaft.
- Demut: «Ich akzeptiere, dass andere mehr wissen als ich.» Wahre Demut entsteht durch Selbsterkenntnis, ist Jordan überzeugt. Nach Ansicht von Wissenschaftern hat ein bescheidener Mensch einen genauen Überblick über seine Stärken und Schwächen und wie sie in das grössere System passen. Tim Westergren, Gründer und CEO der Musik-Streaming-Firma Pandora, verkörpert die Qualitäten eines bescheidenen Leaders idealtypisch.
- Anpassungsfähigkeit: «Meinen Geist zu ändern ist eine Stärke, keine Schwäche.» Erfolgreiche Führungskräfte des digitalen Zeitalters sind sehr anpassungsfähig, hat Jordan herausgefunden. In einem Kontext rasanter technologischer Innovationen sind sie in der Lage, ihre Strategie und ihren Ansatz anzupassen. Interessanterweise kombinieren diese Führer oft die Eigenschaft der Anpassungsfähigkeit mit einer rechthaberischen Natur.
- Visionskraft: «Eine klare Vision ist wichtiger als ein detaillierter Plan.» Ein klarer Orientierungssinn für die Zukunft ist unerlässlich, gerade angesichts der kurzfristigen Unsicherheit. Aus Sicht von Jordan ist hierfür Elon Musk ein gutes Beispiel. Er sei dafür bekannt, dass er den Ingenieuren, die für ihn arbeiten, drei oder vier Schritte voraus sei. Als CEO von Spitzentechnologieunternehmen überzeugt Musk auch bei der Kommunikation seiner Zukunftsvision.
- Engagement: «Ich bin immer im Hörmodus.» Engagement ist eine Mischung aus zwei verschiedenen Qualitäten, erklärt Jordan: Der erste sei die Bereitschaft, zuzuhören, zu interagieren und mit den Interessengruppen (intern und extern) zu kommunizieren. Die andere sei ein starkes Interesse und Neugierde für die neuen Trends.