Information ist eine Waffe, die Putin schon nutzt, der Westen noch viel zu wenig. Was passiert, wenn sich das ändert? (Foto: Shutterstock)

Russlands Präsident Wladimir Putin intensiviert seine Angriffe auf Europa – nicht nur mit Drohnen und Cyberattacken, sondern auch mit gezielter Propaganda. Während der Westen bislang zögerlich auf diese hybride Kriegsführung reagierte, wächst nun die Erkenntnis: Wer Putin wirklich zum Einlenken bewegen will, muss seine Kontrolle über die Informationshoheit ins Wanken bringen. Das ist der zentrale Schluss eines vielbeachteten Artikels auf Foreign Policy. Verfasst haben ihn Peter Pomerantsev, Autor des Buchs «How to Win an Information War: The Propagandist Who Outwitted Hitler» und Sviatoslav Hnizdovskyi, CEO von OpenMinds*.  

Nach dem Scheitern eines möglichen Deals zwischen Donald Trump und dem Kreml habe Moskau seine Aggressionen ausgeweitet, argumentieren die beiden. Drohnen dringen in den Luftraum von NATO-Staaten ein, Cyberangriffe nehmen zu. Doch militärische und wirtschaftliche Maßnahmen allein reichen nicht aus. Der Westen muss auch im sogenannten «kognitiven Raum» aktiv werden – dort, wo Meinungen geformt und Verhalten beeinflusst werden. 

Kognitive Kriegsführung wird immer wichtiger 

Die NATO arbeitet bereits an einem Konzept für kognitive Kriegsführung. Ziel ist es, Einstellungen und Verhaltensweisen durch gezielte Informationskampagnen zu beeinflussen – auch innerhalb Russlands. Denn Putins Regime ist besessen davon, die Illusion absoluter Kontrolle im Inland aufrechtzuerhalten. Die Angst vor einem Kontrollverlust ist tief verwurzelt, gespeist von der Erinnerung an den Zusammenbruch der Sowjetunion. 

Ein besonders empfindlicher Punkt: die Rekrutierung neuer Soldaten. Russland benötigt monatlich rund 30’000 neue Kräfte. Die Propaganda auf sozialen Netzwerken wie VK läuft auf Hochtouren. Doch ukrainische Initiativen zeigen, dass gezielte Informationskampagnen Wirkung entfalten – etwa durch Hinweise auf Korruption im Militär, soziale Ungleichheiten oder die Belastung öffentlicher Dienste durch die Kriegsausgaben. 

Wenn die sinkende Lebensqualität zum Problem wird 

Auch wirtschaftliche Unzufriedenheit bietet Angriffsfläche. Laut Datenanalysen steigt die Zahl der Beschwerden auf Russlands staatlichem Online-Portal «Gosuslugi», vor allem zu Lebensqualitätsthemen wie Strassen, Wohnraum und kommunalen Dienstleistungen. Diese Themen sind schwerer zu kontrollieren als patriotische Narrative – und damit potenziell wirkungsvoller. 

Ein Beispiel für Russlands Verwundbarkeit war der ukrainische Vorstoss in die Region Kursk im August 2024. Die russische Propagandamaschine geriet ins Stocken, Putins Vertrauenswerte sanken deutlich. Doch der Westen liess die Gelegenheit verstreichen, umfassenden Druck auszuüben – aus Angst vor Eskalation. Diese Zurückhaltung erscheint heute als Fehleinschätzung. 

Die Frage ist nicht mehr, ob Informationskampagnen notwendig sind, sondern wie sie effektiv umgesetzt werden können. Dabei geht es nicht um das Kopieren russischer Desinformationsstrategien, sondern um die Verbreitung von Fakten und unterdrückten Wahrheiten. Entscheidend ist, Inhalte zu schaffen, die für russische Bürger so relevant sind, dass sie aktiv danach suchen – trotz Zensur. 

Wie man die Kommunisten mit glaubwürdigem Inhalt den Meister zeigte 

Historische Beispiele zeigen, dass glaubwürdige, gut gemachte Inhalte auch dann wirken, wenn ihre Herkunft bekannt ist. Während des Zweiten Weltkriegs und im Kalten Krieg erreichten westliche Sender Millionen Hörer hinter dem Eisernen Vorhang – gerade, weil sie authentisch wirkten und ein tiefes Verständnis für die Lebensrealität der Menschen zeigten. Das wurde mittelfristig zum Problem für die Kommunisten 

Heute braucht es eine neue Generation solcher Medieninitiativen. Der Westen muss über staatliche Kanäle hinausdenken: Private Unternehmen, NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure können schneller und kreativer agieren. Die Zusammenarbeit über Länder- und Sektorengrenzen hinweg ist dabei nicht nur Mittel zum Zweck, sondern selbst ein Signal der Stärke – ein Element der «kognitiven Abschreckung». 

Putin hat seine Bevölkerung längst auf einen Informationskrieg des Westens eingeschworen. Die Aufgabe besteht nun darin, diesen Krieg nicht zu verstecken, sondern ihn mit kluger, faktenbasierter Kommunikation zu führen – und damit die Achillesferse des Regimes zu treffen. 

 

* OpenMinds unterstützt weltweit Regierungen in dem sie kognitive Bedrohungsanalyse, Reaktion und Wirksamkeitsmessung zur Verfügung stellt. Die Firma ist Partner der ukrainischen Regierung und von NATO-Mitgliedsstaaten bei Gegen-Influence-Operationen, mit denen vor allem russische Disinformation gekontert werden soll. 

 

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