«Wir versuchen nicht, möglichst viele Firmen in die Schweiz zu holen, sondern führende Technologiefirmen.»

Simone Wyss, CEO von Switzerland Global Entreprise, erklärt, warum die Organisation bei der Ansiedlung von ausländischen Firmen in der Schweiz eine Qualitätsstrategie verfolgt und wie Google in der Schweiz Wertschöpfung auch für andere Unternehmen erzielt.

Simone Wyss Fedele ist seit 2019 CEO von Switzerland Global Enterprise, der offiziellen Schweizer Organisation für Exportförderung und Standortpromotion. (Foto: zvg)

Der Wirtschaftsmotor stockt, auch in der Schweiz. Wie steht es nach zwei Jahren Pandemie um den Technologiestandort Schweiz?

Simone Wyss: Nach wie vor sehr gut. Auch 2022 führt die Schweiz das Ranking des Global Innovation Index an, zum elften Mal in Folge. Wir haben eine sehr starke Ausgangslage, das Interesse ist weltweit anhaltend hoch. Angesichts der geopolitischen Verschiebungen bildet die Stabilität der Schweiz einen grossen Vorteil gegenüber anderen Staaten. Das ist ungebrochen der Trumpf des Schweizer Wirtschafts- und Technologiestandorts.

Die anderen europäischen Staaten holen aber auf, der Abstand schrumpft. 

Wyss: Entscheidend ist, dass wir das Ranking weiterhin anführen. In einer geopolitisch bestimmten Welt mit sehr viel Instabilität ist unser stabiles Polit- und Wirtschaftssystem ein Grund, weshalb im Moment führende Innovations- und Technologiefirmen speziell die Schweiz aussuchen.

In welchen Bereichen ist die Schweiz besonders stark?

Wyss: Bei den Zukunftstechnologien wie zum Beispiel der künstlichen Intelligenz sind wir der führende Standort in Europa. Dazu kommen Robotics, Blockchain, personalisierte Gesundheit mit der Pharma- und Biotechindustrie sowie Advanced Manufacturing beziehungsweise automatisierte Produktion. Von den Branchen ist die MEM-Industrie weltweit besonders innovativ, ebenso die Life Sciences und der Lebensmittelbereich.

Warum mischt die Schweiz bei den Zukunftstechnologien vorne mit?

Wyss: Die Schweiz ist ein sehr kleines Land. Wenn Schweizer Firmen im Ausland erfolgreich sein wollen, müssen sie traditionellerweise qualitativ führend sein, um sich durchsetzen zu können. Das ist immer technologiegetrieben, schon seit der Industrialisierung. Von daher kommt die ausgesprochene Technologieaffinität, die auch in die Business-Modelle eingebaut wird. Das wiederum führt dazu, dass sich in der Schweiz vor allem diese Branchen aussenwirtschaftlich stark entwickelt haben. Auch für ausländische innovative Firmen aus diesen Branchen ist es interessant, sich in der Schweiz anzusiedeln.

Also expandieren Schweizer KMU aus den gleichen Bereichen ins Ausland, in denen sich ausländische Firmen in der Schweiz ansiedeln?

Wyss: Es sind jene Bereiche, in denen die Schweiz besonders wettbewerbsfähig ist. Weil die Schweiz als kleines Land nur kleine Absatzmärkte bietet, müssen unsere Unternehmen oft ins Ausland gehen. Die ausländischen Firmen wiederum siedeln sich immer dort an, wo sie die besten Partner, Talente und Ökosysteme finden. Entsprechend wählen sie die Schweiz in jenen Bereichen aus, in denen sie traditionell stark ist. Das ist positiv für uns, denn diese innovativen Ökosysteme generieren eine sehr hohe Wertschöpfung – und damit auch am meisten Wohlstand für die Schweiz.

Das ist eine nahtlose Erfolgsgeschichte, die mit der Textilindustrie und der St. Galler Stickerei begonnen hat und bis heute reicht?

Wyss: Ja, schon bei der Herstellung der St. Galler Spitze war die Innovationsführerschaft durch Maschinen geprägt, die man fürs Weben und Sticken brauchte.

Google hat 4500 Arbeitsplätze in Zürich, Facebook baut den Schweizer Standort aus, Palantir hat sich in Schwyz niedergelassen. Ist das für die Schweiz auch Fluch, nicht nur Segen?

Wyss: Grundsätzlich ist es für den Schweizer Wirtschaftsstandort positiv. Es kommt aber immer auf die Perspektive des Betrachters an. Und es gilt, die Relationen zu beachten. Von der gesamten Migration in die Schweiz machen die ausländischen Firmen, die sich in der Schweiz ansiedeln, nur einen tiefen einstelligen Prozentanteil aus. Unser Motto lautet: klein, aber fein. Wir fahren eine Qualitätsstrategie.

Das heisst?

Wyss: Wir versuchen nicht, möglichst viele Firmen in die Schweiz zu holen, sondern führende Technologiefirmen. Zum Beispiel im Bereich der Kreislaufwirtschaft, damit diese zusammen mit den Schweizer Partnern Nachhaltigkeitslösungen entwickeln können, die dann einen globalen Beitrag leisten. Die Arbeitsplätze, die so generiert werden, liegen ebenfalls nur im tiefen einstelligen Prozentbereich. Ihr Beitrag zur Wertschöpfung ist aber sehr hoch, und sie sind wie gesagt wichtig für unseren Technologie- und Innovationsstandort.

Gehen damit in der Schweiz ausgebildete Fachkräfte und Ideen an amerikanische Technologiekonzerne verloren?

Wyss: Die gehen nicht verloren. Google schafft Arbeitsplätze in der Schweiz, die sehr gut bezahlt sind, und generiert Wertschöpfung in der Schweiz, auch für Schweizer Firmen. Für die 4500 Google-Angestellten in der Schweiz gilt grundsätzlich das Gleiche wie für jene bei Schweizer Firmen. Das heisst, die Unternehmen versuchen zuerst, Arbeitskräfte lokal zu finden. Wenn das nicht geht, suchen sie in Europa und erst danach in Drittstaaten, gemäss den bestehenden Kontingenten. Wir verlieren unsere Leute nicht an amerikanische Firmen. Google schafft Mehrwert in der Schweiz.

Sie werben mit dem Slogan «Schweiz: Wo Unternehmertum auf Forschung trifft». Wie wichtig ist die enge Zusammenarbeit mit den Hochschulen?

Wyss: Ich nenne ein Bespiel: Unlängst führte ich in Indien Gespräche mit einer indischen Firma, die Kartensysteme im Web entwickelt. Sie überlegten, ob sie nach Deutschland oder in die Schweiz gehen sollten. Für sie gab die einfachere Zusammenarbeit mit der Forschung in der Schweiz den Ausschlag.

Das war der entscheidende Punkt bei der Standortwahl?

Wyss: Es war ein wichtiger Punkt. Entscheidend ist jeweils das führende Technologie-Ökosystem, das eine einfache Kollaboration ermöglicht. Daneben die Stabilität, die wir in der Schweiz haben und die in unsicheren Zeiten noch wichtiger wird, die sehr gute Infrastruktur, über die wir verfügen, die Qualität, und, last but not least, der Marktzugang zu Europa.

Wie positioniert sich die Schweiz wirtschaftlich im sich zuspitzenden Konflikt zwischen den USA und China?

Wyss: Der Konflikt zwischen den USA und China macht internationale Geschäfte für Schweizer Firmen deutlich komplexer. Von den über 5000 Firmen, die wir pro Jahr unterstützen, helfen wir momentan sehr vielen dabei, sich auf diesen Konflikt vorzubereiten. Der Trend geht momentan in die Richtung, dass Schweizer Firmen ihr Business in China vermehrt auf China beschränken. Wenn sie dort eine Produktionsstätte haben, produzieren sie in dieser nur noch für China, nicht mehr für den Rest der Welt. Gleichzeitig versuchen Schweizer Firmen, die USA regional zu bedienen, indem sie zum Beispiel in Lateinamerika oder den USA selbst eine Produktion für die Region aufbauen.

Die Firmen verlegen die Produktionsstätten, um neutral zu bleiben?

Wyss: Teils, ja. Es gibt auch KMU, die jetzt sagen: Uns ist der chinesische Markt zu kompliziert. Sie entscheiden sich deshalb, ihre Produktion für Asien von China nach Indonesien oder Thailand zu verlegen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Komplexität der Geschäfte in China zugenommen hat. Das machen nicht alle, aber einige Schweizer Firmen.

Andere bleiben in China?

Wyss: Für viele Schweizer Firmen bleibt China ein wichtiger Markt und Handelspartner. Wir sehen aber vermehrt, dass sich das Geschäft in China selber finanzieren muss. Wenn man mit Schweizer KMU darüber spricht, sagen sie: Wenn ich eine Firma in den USA oder Europa habe, muss ich mein Land nicht verlassen, mein Markt ist gross genug. Als Schweizer Firma hängen aber meine Existenz und die Sicherung meiner Arbeitsplätze davon ab, dass ich Zugang zu Märkten im Ausland bekomme.

Auch in Länder ausserhalb Europas?

Wyss: Als erstes ist der Marktzugang nach Europa wichtig, dann aber in so viele Länder wie möglich. Während eine deutsche Firma immer Zugang hat zur EU, ist die Unsicherheit für Schweizer Firmen grösser. Deshalb diversifizieren viele im Moment stark und stellen sich regional auf.

Die Schweiz möchte vermehrt Technologie und Aussenpolitik miteinander verknüpfen. Was ist Ihr Wunsch an die Politik, um Ihren Kunden das Geschäften zu erleichtern?

Wyss: Ich kann nur sagen, was uns die Kunden sagen, denn wir haben keine politische Meinung. Unsere Kunden wünschen sich gleich lange Spiesse mit ihren Konkurrenten und Partnern im Ausland. Wichtig ist, dass auch Schweizer Firmen Zugang zu Forschungs- und Innovations-Kooperationsplattformen wie Horizon bekommen und davon profitieren können.

Es scheint, die Technologieskepsis nehme in der Bevölkerung zu. Teilen Sie diesen Eindruck?

Wyss: Im Hinblick auf unser Kerngeschäft teile ich diesen Eindruck nicht. Und was die Bevölkerung betrifft, so kann ich nur meine persönliche, nicht fundierte Beobachtung teilen: Ich glaube, dass sie gerne neue Technologien benützt, obwohl bei gewissen Technologien auch Ängste bestehen, die dann zu einem breiten Dialog darüber führen, was gut ist und was nicht.

Ein Risiko für den Standort Schweiz sehen Sie nicht?

Wyss: Im Moment nicht. Sicher ist es so, dass die Schweiz ein fundamentales Interesse daran hat, bei neuen Technologien wie 5G mitziehen zu können. Es ist wichtig, dass man sich überlegt, ob ein Verbot das Richtige sei oder ob ein enges Monitoring nicht der bessere Ansatz wäre. Wenn man in Deutschland neue Technologien verwenden kann, in der Schweiz aber nicht, macht das die Schweiz für gewisse Firmen weniger attraktiv. Natürlich hat das Schweizer Volk das Recht, Fragen zu stellen. Wenn die Schweiz aber weiterhin der führende Standort für künstliche Intelligenz bleiben will, was sie heute ist, dann ist 5G wichtig.

Wie muss man sich den Alltag einer Export- und Standortförderin vorstellen: Gehen Sie im Ausland Klinken putzen, um Firmen in die Schweiz zu lotsen, wenn Sie nicht gerade Schweizer Firmen beraten, die ins Ausland möchten?

Wyss: Meine Kernaufgabe ist sicherzustellen, dass wir jeden Tag den richtigen Service für Schweizer Firmen anbieten, damit sie erfolgreich expandieren können. Das reicht von den Marktmerkmalen bis hin zur Frage, wie sie ihre Wertschöpfungsketten aufstellen sollen. In der Standortpromotion ist wichtig, dass die innovative Firma, die wir in die Schweiz holen wollen, die Qualität der Schweiz kennt, und dass wir sie abgestimmt mit unseren Partnern angehen. Ich bin vor allem für die strategische Ausrichtung der Organisation und die Befähigung der Mitarbeitenden verantwortlich, und habe den Auftrag, Partnerschaften in der Schweiz und im Ausland zu pflegen.

Wie sieht Ihr typischer Arbeitstag in der Schweiz aus?

Wyss: Mein Arbeitstag in der Schweiz beginnt damit, dass ich Schlüsselpartner in Bern treffe und mit ihnen zusammen versuche, Kundenlösungen zu entwickeln. Dann komme ich zurück zum Team in Zürich, Renens und Lugano und wir schauen, wie wir das Beschlossene umsetzen können. Dazu kommen vielleicht ein, zwei Videokonferenzen mit wichtigen Ländergesellschaften oder Stakeholdern in der Schweiz.

Und im Ausland?

Wyss: Wenn ich ins Ausland reise, dann meist als Teil eines Programms. Da habe ich einen Auftritt bei lokal wichtigen Partnern wie zum Beispiel einer Handelskammer, betreibe Partnerpflege und bedanke mich für die Zusammenarbeit. Häufig ist das kombiniert mit Gesprächen mit Partnern in der Verwaltung, gemeinsam mit Schweizer Behörden. Dabei schauen wir, dass die Schweizer Firmen den richtigen Zugang bekommen. Dazu kommen Arbeitsmeetings mit unseren lokalen Teams vor Ort.

Wie und wo finden Sie den Ausgleich?

Wyss: In der Natur und beim guten Essen mit der Familie.

Simone Wyss (43) schloss ihr Studium der Volkswirtschaft an der Uni Basel mit dem Doktorat zur Globalisierung ab. Sie arbeitete unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Finanzdepartement des Kantons Basel-Landschaft, bei den Helvetia-Versicherungen sowie bei Novartis und Takeda. Seit 2019 leitet sie als CEO Switzerland Global Enterprise, die offizielle Schweizer Beratungs-, Vermarktungs- und Plattformorganisation für Exportförderung und Standortpromotion mit rund 200 Mitarbeitenden in allen Schweizer Landesteilen und in 30 Ländern. Simone Wyss lebt mit ihrem Ehemann in ihrer Heimatstadt Basel.

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