«Wie das Hitparadenprinzip die Berichterstattung prägt»
Fünf Thesen zum Zustand des Wirtschaftsjournalismus und ein Ausblick
Vor kurzem durfte ich an einer Podiumsdiskussion zum Zustand der Unternehmensberichterstattung teilnehmen. Ausgangspunkt war eine Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich, welche sich mit der Unternehmensberichterstattung der Schweizer Medien auseinandersetzt. Vier Hauptbefunde wurden präsentiert:
Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen, die früher im Journalismus tätig waren, haben wir folgende Erkenntnisse aus der Studie und diesem Anlass gezogen:
Auch wenn die anderen Befunde nicht nur positiv sind: Es nützt nichts, die Themen- und vor allem die Prioritätensetzung der Redaktionen zu beklagen. Wenn die Verantwortlichen immer mehr auf Stoffe setzen, die auch gelesen werden sollen, so ist das nichts als folgerichtig. Die Medien müssen sich ein neues Businessmodell erarbeiten, und es gibt nichts Naheliegenderes, als dass die Redaktionen diejenigen Artikel liefern wollen, die auch «trenden», also (mutmasslich) gelesen werden. Medienhäuser sind keine philanthropischen Stiftungen. Sie müssen in erster Linie Geld verdienen, um den Journalismus und seine Macherinnen und Macher zu finanzieren.
Wirtschafts- und Unternehmensberichterstattung ist also – wie andere Bereiche – zum Hitparadengeschäft geworden. Auch dieser Eindruck wird durch die Studie bestätigt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Börsengang des Sportschuh-Brands «on». Damit haben sich alle Medien eingehend beschäftigt. Schliesslich sind Turnschuhe etwas sehr Konkretes und mit Roger Federers Einstieg als Aktionär kam der Glamour-Faktor hinzu. Die weltweite Aufmerksamkeit tat das Ihrige. Allerdings gab es in der gleichen Zeit zwei spannende Börsengänge von Schweizer Start-ups (Sportradar und Sophia Genetics), die im Vergleich dazu nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit blieben.
Die gesamthaft gute Berichterstattung über die CS-Rettung hat eines sehr deutlich gezeigt: Die Schweizer Medien können im Bedarfsfall immer noch geballte publizistische Leistung aufbieten. Ich schliesse daraus, dass Unternehmensberichterstattung gerade in Krisen sehr gut funktioniert. Und dass entsprechende Berichte auch vom Publikum gelesen werden. Wie alles im Leben haben solche Situationen auch eine Kehrseite: In Krisensituationen wird anderen relevanten Themen buchstäblich der Sauerstoff entzogen.
Aufgrund der Zentralisierung der Newsrooms in den grossen Schweizer Zentren, also vor allem in Zürich, gehen wir davon aus, dass die regionale Vielfalt in der Unternehmensberichterstattung abgenommen hat. Entsprechend vermisse ich redaktionelle Beiträge über spannende KMU aus den Regionen der Schweiz, also über «hidden champions» in unserem KMU-Land. Die Fokussierung liegt zu stark auf der Region Zürich und auf börsenkotierten Firmen.
Darum spiele ich den Ball den Unternehmen zu: Sie müssen ihre Geschichten mit Aktualitätsbezug (Trigger) versehen können. Dazu braucht es ein «News Checking» und «News Jacking», um zu realisieren, was zurzeit bewegt und interessiert. Wer als Unternehmen über ausgewiesene Experten verfügt oder interessante Daten erhebt, kann in bestimmten Situationen zu einer spannenden Quelle für die Medien werden. Da sollte man sich auch nicht zu schade sein, das vorhandene Wissen oder eine Studie auch mal aktiv anzubieten. Vor allem dann, wenn es in einem Moment besonders nützlich erscheint.
An die Adresse der Journalistinnen und Journalisten wünsche ich mir, dass bisweilen das Rudelverhalten durchbrochen wird und nicht nur immer den gleichen Unternehmen nachgestiegen wird. Wie erwähnt, gibt es unzählige Geheimtipps und KMUs, die ausserhalb des Metropolitanraums Zürich täglich die weltweite Konkurrenz hinter sich lassen. Es wäre für die Leserinnen und Leser sicherlich auch abwechslungsreicher und interessanter, wenn nicht nur die Finanzwirtschaft beleuchtet, portraitiert und besprochen würde. Denn wir Schweizerinnen und Schweizer lieben doch die Erfolgsgeschichten, wenn der kleine David aus der Schweiz den Goliath aus Übersee das Fürchten lehrt. Ich sehe Vielfalt auch als eine Form der Qualität. Und ein Publikum lässt sich bis zu einem Grad auch dazu bringen, sich auf neue Themen oder journalistische Gattungen einzulassen.
Klar ist, die Tendenz zu trendigen Konsum- und People-Themen lässt sich nicht umkehren. Aber publizistisch könnten die Redaktionen mit ausgesuchten Erfolgstories doch ein wenig stärker dagegenhalten.
Meiner Ansicht nach ist die Selbstwahrnehmung der Medien bezüglich ihrer Relevanz viel schlechter als die Wahrnehmung der Relevanz der Medien bei der Wirtschaft, bei unseren Kundinnen und Kunden: Trotz Aufbau eigener Kanäle bleibt der Medienkanal für viele Unternehmen in der Unternehmenskommunikation ein matchentscheidender Faktor. Dank unabhängiger und kritischer Berichterstattung verfügen Medien über viel mehr Glaubwürdigkeit als jeder firmeneigene Podcast oder ein LinkedIn-Beitrag aus dem eigenen Newsroom.
Wir Agenturen können die Medien indirekt und direkt in ihrer Arbeit unterstützen, indem wir Angebote für spannende Berichterstattung machen – nicht mehr und nicht weniger. Wichtig ist, dass beide Seiten eine gesunde und klare Rollendistanz wahren: Journalistinnen und PR-Berater sind weder Partner noch Gegner. Als PR-Beraterinnen und -Berater sind wir Vermittelnde, die wissen, dass eine reine Fassadenmalerei oder eine Verhinderungsstrategie nichts bringt. Indirekt unterstützen wir die Medien, indem wir unsere Kundinnen und Kunden zur Konzentration auf wirklich brauchbare Anstösse zur Berichterstattung auffordern. Direkt, indem wir versuchen, unsere Kontakte zu Medienschaffenden aufs Wesentliche zu beschränken und schnellstmöglich den direkten Kontakt mit unseren Kundinnen und Kunden zu ermöglichen.
Und ein Ausblick
Die Medien haben ein Problem mit ihrem Business, welches wir nicht allein, sondern nur als Gesellschaft lösen können. Nur wenn wir die Unternehmensberichterstattung auch konsequent lesen, wird es mehr davon geben. Letzte Woche habe ich erstmals Zahlen aus dem Projekt «Digital Revenue Initiative» (DRIVE) gesehen. In diesem Projekt arbeiten mehr als 20 regionale Verlage aus Deutschland und Österreich sowie die österreichische Nachrichtenagentur APA zusammen und lassen ihre anonymisierten Nutzungsdaten einfliessen. Das ermöglicht verlagsübergreifende Analysen und A-/B-Tests, ein Benchmarking sowie die Entwicklung von Personalisierungsalgorithmen. Die Befunde, was die Nutzung der Artikel angeht, sind auf jeden Fall nicht gerade erhebend: So generieren 80 Prozent der Artikel weniger kumulierte Lesezeit, als sie die Redaktion an Zeit kosten. 90 Prozent der Abo-Artikel hinter der Paywall generieren kein einziges Abo. Und nur fünf Prozent aller Artikel sind für 50 Prozent der Lesezeit verantwortlich.
Aus meiner Sicht heisst das: Wir tun gut daran, nicht einfach über die Medien und vor allem nicht über den Verlust an Unternehmensberichterstattung zu lästern, sondern dort, wo wir persönlich und beruflich etwas tun können, die Medien zu unterstützen, das auch wirklich zu machen.