Conradin Cramer: «Politik kann man lernen»

«Täglich grüsst das Murmeltier» oder wie man Regierungsrat wird – ein Handbuch.

Conradin Cramer macht Politik seit er 17 Jahre alt ist und war damit häufig der Jüngste. Der 42-jährige Basler Bildungsdirektor ist nun seit vier Jahren Berufspolitiker. Etwas, was er eigentlich nie werden wollte, aber in das er einfach so reingerutscht ist, weil er neugierig ist und Menschen gerne hat. Nicht etwa, dass er grundsätzlich die Welt verbessern will. Auch wenn er dies am Anfang der Karriere in seinem Elevator Pitch so formuliert hatte. Aus seiner langjährigen Erfahrung ist ein Handbuch entstanden. Doch halt: Kann man einem Politiker überhaupt glauben?

Die Reputation von Politikerinnen und Politikern ist nie besonders gut, aber selten ist sie schlechter als in Krisenzeiten. Conradin Cramer beweist insofern mit der Publikation Instinkt für das richtige Timing. Er erklärt in einfachen Worten, welche Voraussetzungen es braucht und dass man Politik lernen kann und auch sollte. Seine Tipps sind fundiert; gleichzeitig räumen sie mit der Vorstellung auf, dass es ein Naturtalent für Politik gebe. Vom Start der Karriere, die mit der Wahl der richtigen Partei beginnt (keine Kleinparteien, da dort das Gerangel um die wenigen Posten gross ist), über die Frage, ob es Quereinsteiger nicht einfacher haben, redet er Klartext: Realistische Chancen bietet nur die Ochsentour von der lokalen Ebene aus – so wie er sie als Liberal-Demokrat erlebt hat: Zuerst sass er im Einwohnerrat in Riehen und danach im Grossen Rat in Basel-Stadt. Als Quereinsteiger zu reüssieren ist seiner Ansicht nach Illusion – in Deutschland schaffen es gerade einmal 10 Prozent der Politiker. Was Cramer neben vielen anderen Erkenntnissen im Anhang belegt. Umso wichtiger ist es, von Anfang an professionell vorzugehen, seine Chancen richtig einzuschätzen und leidenschaftslos auf die politischen Themen mit dem grössten Potenzial zu setzen.

Daher gelten Politikerinnen und Politiker entweder als opportunistisch und oberflächlich oder als verbohrt und eindimensional. Diese Vorurteile widerlegt Conradin Cramer nicht. Hingegen erklärt er, wie dieser Eindruck entsteht, wie man es besser macht (Fragen stellen, gut zuhören, rasch den Kern der Sache erkennen und in eine einfache Sprache umsetzen) und wieso ein effizientes Generalistentum zu einem politischen Profil gehört. Spezialwissen ist nur beschränkt gefragt; entscheidend ist, mehr zu wissen als die anderen – insbesondere als Journalisten. Bis in der Politik jemand mit dem Ausdruck «dossierfest» geadelt wird, ist der Aufwand allerdings beträchtlich.

Umso härter trifft Journalistenkritik einen Politiker, was Cramer offen zugibt. Kritikfähigkeit ist tatsächlich ein wunder Punkt. Nicht alles kann einfach mit Kommunikationsmanagement gelöst werden, indem man eine kritische E-Mail mit einem Brief beantwortet und so die Empörungskette durchbricht. Das Gespür für berechtigte Kritik aus seinem Umfeld ist Cramer zwischenzeitlich selbst abhandengekommen: Das Schlimmste, was einem Politiker passieren kann – er hatte sich isoliert. Und das, nachdem er so vieles richtig gemacht hatte: Ein bisschen anecken, was leicht ist, wenn man als Basler Piccolo-Flöten nicht mag und deshalb immer Ohrstöpsel dabei hat. Oder stoisch auf die Journalistenfrage nach dem Lieblingsfilm mit «Und täglich grüsst das Murmeltier» antworten. Und mit einer App Gesichtsmemory spielen, um sich die Namen neuer Bekanntschaften besser merken zu können. Diese Bekenntnisse sind die stärksten Passagen im Handbuch, das damit zur politischen Biografie wird. Ein guter Politiker arbeitet immer zielgerichtet.

Eine inspirierende Lektüre, nicht nur für angehende Politikerinnen und Politiker, sondern für alle Menschen am Anfang ihrer Karriere sowie für jene, welche die Mechanismen der Politik besser verstehen möchten.

Conradin Cramer: «In die Politik gehen. Tipps für den Nachwuchs». NZZ Libro, Basel, 2021

YouTube-Video von Conradin Cramer über sein Buch

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