Thomas Zurbuchen, Berner Astrophysiker und NASA-Forschungschef (Bild: ZFG)

Seit knapp zwei Jahren ist der Berner Astrophysiker Thomas Zurbuchen Forschungschef der NASA. Zuvor hat er an der Universität von Michigan das Center for Entrepreneurship aufgebaut und Hunderte von Startups begleitet. Im Gespräch äussert sich Zurbuchen über Elon Musk, die Stärken der Schweiz als Produktionsstandort und die Ziele von Entrepreneurship-Kursen.

Der Raumfahrt-Markt wirkt heute viel dynamischer als noch vor einigen Jahren. Woran liegt das?
Thomas Zurbuchen: Elon Musk hat eine entscheidende Rolle gespielt. Lange sind die Kosten für Raketenstarts immer weiter gestiegen, aber er hat diese Dynamik gestoppt. Die Starts spielen eine wichtige Rolle. Ohne diese bringen Sie keine Satelliten oder Instrumente in den Weltraum.

Dann ist die Aufregung um SpaceX berechtigt und nicht einfach Hype?
Als sich bei SpaceX am Anfang die Rückschläge häuften, habe ich bereits einen Artikel veröffentlicht, in dem ich schrieb, dass Musk erfolgreich sein werde, sofern ihm nicht das Geld ausgehe. Er konnte die besten Leute von den besten Hochschulen rekrutieren. Weil er diesen Kampf um Talente gewonnen hat, ist SpaceX heute so unglaublich erfolgreich.

Gibt es ausser dem Markt für Raketenstarts, in dem sich mit Amazon-Gründer Jeff Bezos noch ein zweiter Internet-Milliardär tummelt, noch weitere Technologiefelder, die sich gerade sehr dynamisch entwickeln?
Ja, absolut. Kleine Satelliten gehören dazu wie auch die Kommunikation und das Internet aus dem All. Hier hat es ja schon verschiedene Versuche gegeben, die bisher allerdings nicht weitergekommen sind.

Wie gross ist der gesamte Markt heute ungefähr? 
Ich habe vor kurzem eine Studie gelesen, die ihn auf mehr als 300 Milliarden Dollar schätzt. Es ist ein wirklich grosser Markt.

Sieht die NASA neue Player im Weltraum-Markt als Konkurrenten?
Nein. Mein Ziel ist, so viele wissenschaftliche Ergebnisse wie möglich für jeden Dollar zu liefern. Wenn wir das mit Partnern wie SpaceX oder Jeff Bezos‘ Blue Origin besser können, werden wir solche Partnerschaften eingehen. Schon heute kaufen wir zum Beispiel bei Satelliten wichtige Elemente, welche die Energieversorgung und die Kommunikationselektronik enthalten, zu. Wir müssen nicht alles selber bauen.

Wo sehen Sie Chancen für Schweizer Unternehmen?
Lassen Sie mich zwei Bemerkungen vorausschicken. Erstens ist die Schweiz sicher besser als das Selbstbild der Schweizer von der Schweiz. Und zweitens lebe ich schon so lange in den USA, dass ich kein Experte mehr für die Verhältnisse hierzulande bin. Was mir aber auffällt, ist, dass Schweizer immer von disruptiven Innovationen sprechen. Ich habe meine Zweifel, ob das Land wirklich die besten Voraussetzungen dafür bietet.

Und was ist die Alternative?
Was die Schweizer am besten können, ist gute Technologie oder gute Technologien in zuverlässige Produkte umzusetzen. Das ist im Grunde das Gegenteil von Disruption, wie ich sie verstehe.

Worauf beruht Ihrer Meinung nach diese besondere Stärke der Schweiz?
Auf der vorhandenen Basis an Talenten. Die Qualität von Ingenieuren, die einen Fachhochschulabschluss haben, oder auch die der Techniker mit Lehrabschluss ist spektakulär. Dies verdankt die Schweiz dem Berufsbildungssystem. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in den USA einmal an Weihnachten neben einem Techniker an einer Maschine stand, der ein Problem nicht lösen konnte, weil er die Maschine nicht verstand. Das würde in der Schweiz nie passieren.

Das heisst, sie sehen die Schweiz durchaus auch heute noch als Produktionsstandort? 
Absolut. Ich kenne keinen Ort auf der Welt, der in Sachen Fertigung mit der Schweiz mithalten kann. Dies ist eine einzigartige Stärke, mit der sich die Schweiz von anderen Standorten differenzieren kann.

Neben Technologie und Technikern braucht es für erfolgreiche Unternehmen auch Unternehmer. Sie haben selbst vor Ihrer Zeit bei der NASA an der Universität Michigan ein Entrepreneurship-Programm aufgebaut und mehrere hundert Startups begleitet. Welche Aspekte des Unternehmertums kann man lernen und welche nicht? 
Mit dem Entrepreneurship-Programm wollten wir nicht in erster Line Professoren und Doktoranden zu Unternehmern machen. Meiner Erfahrung nach haben maximal zehn Prozent der Wissenschaftler eine solche Doppelbegabung. Unser Ziel war es, die Wissenschaftler zu Innovatoren zu machen, die dann ein Team aufbauen und zum Beispiel eine Person mit MBA als CEO holen. Wir haben ihnen beigebracht, die Sprache des Business zu sprechen. Dies kann man lernen genauso wie Französisch oder Deutsch.

Was kann man noch tun, um das Entstehen von Startups zu fördern, ausser Entrepreneurship-Kurse zu organisieren? 
Man kann schon etwas tun. Ich sehe vor allem drei Dinge. Erstens braucht es an den Hochschulen eine Kulturänderung. Personen, die Spin-offs gründen, sollen belohnt oder zumindest ermutigt werden. Zweitens sollten Leute mit breiter Erfahrung aus der Industrie bei der Lehre helfen. Drittens brauchen Startups natürlich Geld von Business Angels und Venture Funds. Ohne Geld bleiben gute Ideen einfach Ideen.

Letzte Frage: Sie sind ein unternehmerisch denkender Mensch. Wie passt das zu einer bürokratischen Organisation wie der NASA?
Meine Stärke ist das unternehmerische Handeln in nicht unternehmerischen Organisationen. Ich bin ein so genannter Intrapreneur, kein Entrepreneur. Ich habe lange gedacht, dass ich einmal ein Unternehmen gründen würde, aber ich habe herausgefunden, dass ich mehr Talent als Change Agent besitze.

Interview: Stefan Kyora, startupticker.ch

Dieses Interview erschient erstmals unter dem Titel «Raumfahrt ist ein 300-Milliarden-Markt» auf der Plattform startupticker.ch.

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