Der Paradeplatz Zürich gilt allgemein als Zentrum der Schweizer Finanzindustrie. (Bild: KEYSTONE/Christian Beutler)

Es ist tatsächlich ein Leichtes, in diesen Tagen den Abgesang auf den Schweizer Finanzplatz anzustimmen. Umfragen, Statistiken und Meinungen liefern genügend Argumente dafür.

So hat sich allein in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Banken in der Schweiz um ein Drittel auf 260 dezimiert. Die verwalteten Kundenvermögen, namentlich im grenzüberschreitenden Geschäft, haben sich halbiert, und die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche ist mittlerweile unter die wichtige Marke von 100’000 gerutscht.

Bankgeheimnis missbraucht
Das alles ist zum einen auf den Wegfall des Bankgeheimnisses zurückzuführen, das viele Banken vor allem dafür verwendet haben, das unversteuerte Geld ihrer ausländischen Klientel zu verwahren. Zum andern haben die Konkurrenz anderer Finanzplätze, namentlich in Asien, sowie die weltweit verschärfte Regulation die Profitabilität vieler Geldhäuser beeinträchtigt.

Während die Kosten stiegen, sanken die Margen, so dass unter dem Strich immer weniger herausschaute.

Informationsaustausch als Rückschlag
So mag es nicht erstaunen, dass das Ansehen des Schweizer Finanzplatzes in den vergangenen zwei Jahren gelitten hat, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass die Schweizer Behörden bei der Umsetzung des Automatischen Informationsaustauschs (AIA) mit dem Ausland eine, gelinde gesagt, äussert kulante Auslegung an den Tag gelegt haben.

Dies hat viele Kunden, etwa in Lateinamerika, aus Sicherheitsüberlegungen dazu bewogen, ihr Geld nicht länger in Zürich oder Genf, sondern paradoxerweise in Miami zu deponieren.

Der damit verbundene Reputationsverlust des Schweizer Finanzplatzes im weltweiten Vergleich kommt in diversen Ranglisten zum Ausdruck, wobei eine gewisse Skepsis bei solchen Vergleichen angebracht ist, je nach Sponsoren dieser Rankings.

Ende oder Anfang?
Tatsache bleibt indessen, dass der Schweizer Finanzplatz um sein Image gehörig kämpfen muss und mit dem Swiss Banking, zumindest wie wir es gekannt haben, kein Staat mehr zu machen ist. Zu einseitig, zu wenig leistungs- und serviceorientiert und viel zu teuer gestaltete sich das Geschäftsmodell, das zahlreiche, in der Schweiz tätige Banken betrieben haben.

Oder anders formuliert: Der weltweite Paradigmenwechsel forderte seinen Tribut. Doch besagter Strukturwandel ermöglicht inzwischen auch einen Aufbruch und setzt Potenzial für die Zukunft frei. Je nach Sichtweise lässt sich die aktuelle Situation als Ende einer Ära oder als vielversprechender Neustart interpretieren. Dafür gibt es genügend Anhaltspunkte.

1. Asset Management kompensiert Private Banking
Die ausländischen Kundendepots im Private Banking haben sich zwar vermindert, dafür sind die in der Schweiz betreuten Gelder institutioneller Anleger wie Pensionskassen und anderer Vorsorgeeinrichtungen am Steigen begriffen und stellen – trotz tieferer Margen – ein erhebliches Potenzial dar, sofern es den in der Schweiz tätigen Asset Managers gelingt, diese auch erfolgreich zu verwalten.

Ausserdem dürften die jüngsten Bemühungen, die Schweiz als zukunftsträchtigen Asset-Management-Standort zusätzlich dazu beitragen, dass sich diese Disziplin flächendeckend ausbreitet.

2. Weltmeister in der Nische
Die Erosion der Private-Banking-Gelder hat auch dazu geführt, dass sich nicht wenige Finanzinstitute auf neue, vielversprechende Geschäftsfelder ausgerichtet haben. Dazu gehören – neben dem Asset Management – das nachhaltige Investieren in allen seinen Schattierungen, das Private-Equity-Geschäft inklusive Club-Deals oder die Entwicklung komplexer Anlagevehikel wie Wandelanleihen oder Strukturierte Produkte.

In dieser Hinsicht hat die Schweiz in den vergangenen Jahren bereits eine enorme Expertise aufgebaut, mit der sie sich in einem international kompetitiven Umfeld durchaus profilieren kann.

3. Agile Institute
«Agilität» ist das neue Lieblingswort in der Finanzbranche. Viele Institute wollen heute «agil» sein. Dieser Anspruch kann gut sein, sofern er nicht ein Lippenbekenntnis bleibt. Die Zeichen sind aber ermutigend. So haben es tatsächlich überdurchschnittlich viele Schweizer Firmen geschafft, international erfolgreich zu agieren.

Die Zuger Partners Group zum Beispiel ist eine der weltweit besten Private-Equity-Firmen, Julius Bär zählt namentlich in Asien zu den fünf führenden Privatbanken. Avaloq, Temenos sowie neuerdings auch Additiv gehören international zu den erfolgreichsten Bankensoftware-Produzenten.

Insofern wandelt sich die Marke «Swiss Banking» zu einem Sammelbegriff für unterschiedlichste Firmen aus der Finanzbranche, deren Dienstleistungen weit über das «alte» Private Banking hinausreichen.

4. Crypto Nation Switzerland kommt
Die Zahl der Banken und Arbeitsplätze mag in den vergangenen Jahren hierzulande gesunken sein. Gleichzeitig haben neue Geschäfts, insbesondere im Fintech-Bereich und im Zusammenhang mit virtuellen Währungen und den damit verbundenen Technologien viele neue Jobs geschaffen.
Zugegeben, Lugano und Genf haben an internationaler Strahlkraft im Private Banking verloren, dafür legten Zug und Zürich im Umfeld der erwähnten neuen Disziplinen enorm zu. Dass der Begriff «Crypto Nation Switzerland» mittlerweile international die Runde macht, ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich das «Swiss Banking» weiterentwickeln lässt.

5. Digitalisierung als Jobmaschine
Die fortschreitende Technologisierung im Banking macht in der Tat viele Arbeitsplätze obsolet. Doch gleichzeitig entstehen dank der Digitalisierung neue Jobs – gerade in der Schweizer Finanzbranche, wo das Zusammenspiel zwischen beratungsintensiven Tätigkeiten und der Automatisierung matchentscheidend ist.

Insofern werden viele Beschäftigte heute und morgen neue Aufgaben ausserhalb der Banken finden, aber nach wie vor für die Finanzbranche tätig sein. Mit seinen hohen Qualitätsmassstäben ist der Schweizer Personalmarkt ohnehin gut disponiert, um den künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein.

6. Grossbanken als Aushängeschilder
Egal wie populär die beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse hierzulande sind, sie bleiben die Aushängeschilder des Schweizer Bankwesens in der Welt. Dort geniessen sie auch eine etwas andere Wahrnehmung als in ihrer Heimat – zumeist eine bessere.

Zwar haben sie mittlerweile ihre globalen Ambitionen, namentlich im Investmentbanking, erheblich zurückgenommen. Aber sie sind mittlerweile als solide und zuverlässige Vermögensverwalter für vermögende Privatpersonen, insbesondere Unternehmer und Familien, sehr erfolgreich unterwegs, was man von den meisten anderen europäischen Grossinstituten nicht behaupten kann.
Die starke Position der UBS und CS – mit allen ihren Vor- und Nachteilen – trägt letztlich erheblich zur Strahlkraft des Schweizer Finanzplatzes bei. Und nichts deutet darauf hin, dass dieser wichtige Faktor in den nächsten Jahren verschwinden sollte.

7. Schweizer Bonanza in Asien
Die enorme Stärke von UBS und CS zeigt sich besonders gut in Asien, wo beide Institute im Vermögensverwaltungsgeschäft (Wealth Management) sogar vor der übermächtigen US-Konkurrenz rangieren und dort Arbeitsplätze schaffen.

Dieses Geschäft, das sich in den nächsten Jahren mit der unaufhaltsamen Expansion in China noch enorm beschleunigen wird, zeitig teilweise auch positive Rückwirkungen auf die Schweiz, zumal der Hauptsitz beider Institute in Zürich bleibt was auf dem hiesigen Finanzplatz auch in Zukunft eine grosse Expertise garantiert.

8. Unterschätzte Versicherungen
Ein weiteres Indiz, dass sich der Schweizer Finanzplatz strukturell wandelt, äussert sich seit einigen Jahren auch im Umstand, dass der Wertschöpfungsbeitrag der Schweizer Versicherungen laufend zunimmt. Das ist einerseits erfreulich und unterstreicht zweitens, dass sich neben den Banken auch die hiesigen Versicherungen im internationalen Umfeld höchst erfolgreich betätigen.
Zählt man in einem Finanzplatz-Ranking die Disziplinen Assekuranz und Rückversicherung ebenfalls dazu, sieht das Resultat etwas anders aus, als es uns die einschlägigen Ranglisten glauben machen wollen. Ausser in London dürfte es in der westlichen Welt kaum einen anderen Standort geben, wo soviel Versicherungs-Know-how zusammenkommt wie in der Limmatstadt.

9. Wissenskapital als Erfolgsfaktor
Die wertvollste Ressource einer Branche ist die Expertise der Arbeitskräfte – das Wissenskapital der Beschäftigten. Deren Bewirtschaftung ist Aufgabe der Hochschulen. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt auch, dass ein Werkplatz, der auf die Forschung verzichtet, zum reinen Produktionsstandort degeneriert. Das kann nicht im Interesse des Schweizer Finanzplatzes sein.

Tatsächlich nehmen in diesem Kontext die Schweizer Bildungsinstitute im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein. Insofern bietet der Strukturwandel eine einzigartige Chance, dass sich gerade der Schweizer Finanzplatz in dieser Disziplin weiter profiliert und mit seinem Know-how auftrumpft.

10. Regulation jetzt im Griff
Zu einem weiteren, durchaus positiven Fazit bezüglich des Schweizer Finanzplatzes kam unlängst die internationale Beratungsfirma EY. In ihrem periodischen «Bankenbarometer» stellte sie fest, dass die hiesigen Banken den enormen Regulierungsaufwand der vergangenen Jahre inzwischen in den Griff gekriegt hätten und sich nun wieder vermehrt der Generierung von Erträgen zuwenden könnten.

Dies lässt auf die hohe Anpassungsfähigkeit der hiesigen Institute schliessen, was letztlich auch ein Merkmal ist, das die Schweiz ganz generell aus- und kennzeichnet. 

Dieser Artikel wurde erstmals am 9. Juli 2018 auf dem Finanzportal finews.ch publiziert

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