«Wir pflegen eine Wir-Kultur»

Christoph Spycher ist das Gesicht des neuen YB. Der smarte Sportchef des BSC Young Boys spricht im ersten Teil des Gesprächs über eine schmerzliche Niederlage, die für YB den Wendepunkt darstellen sollte, die unfassbare 7:1-Gala gegen den FC Basel und seine Sorgen.

Im feinen Zwirn: YB-Sportchef Christoph Spycher. (Bild: ZVG)

Müssen Sie sich manchmal kneifen, um zu begreifen, was Ihnen seit Ihrem Amtsantritt vor gut zwei Jahren bei YB alles gelungen ist?
Christoph Spycher: Nein. Vielen Menschen mag YBs erfolgreiche Zeit rückblickend märchenhaft vorkommen. Das Führungsteam hat diese Phase etwas anders wahrgenommen. Für uns zählten nicht nur die Resultate, sondern auch die Entwicklung des Vereins. Wir investieren unsere ganze Kraft und Energie, um den Klub vorwärts zu bringen. Auf unserem Weg mussten wir viele Herausforderungen bewältigen. Wir erlebten Hochs und Tiefs. Nun sind wir einfach glücklich, jenen Leuten etwas zurückzugeben, die sich für YB engagieren.

Was ist Ihnen so viel besser gelungen als Ihren Vorgängern?
Ich möchte mich nicht mit anderen vergleichen. Wir haben einen guten Mix gefunden und Mut bewiesen. Wir wollten das Kader verjüngen. Deshalb verpflichteten wir talentierte Spieler, die positive Energie auf die Mitspieler ausstrahlen und die richtige Einstellung haben – auf und neben dem Platz. Der grosse Teamgeist war ein wichtiger Faktor unterwegs zum Meistertitel. Auch im Führungsteam, das aus verschiedenen Charakteren besteht und sehr effektiv arbeitet, sind wir gut aufgestellt. Die Kompetenzen sind klar geregelt. Wir pflegen eine Wir-Kultur. Das bedeutet: Der Einzelne zählt niemals so viel wie das Ganze. Wir ordnen alles dem Wohl des BSC Young Boys unter.

Wenn es ein Erfolgsgeheimnis à la Christoph Spycher geben würde: Was waren die drei entscheidenden Puzzlesteine in der vergangenen Saison, die den Unterschied ausmachten?
Im Nachhinein stelle ich fest: Nach der Cup-Niederlage im Heimspiel gegen Winterthur Anfang März 2017 (2:2 nach Verlängerung, Winterthur gewann das Penaltyschiessen 5:3, die Red.) ging ein Ruck durch den ganzen Verein. Die Niederlage stellte den Wendepunkt dar. Wir mussten damals etwas ändern. Uns war klar: Es muss ein neuer Teamgeist entstehen. Dafür brauchte es eine andere Mentalität und neue Energie. Parallel dazu wuchs das Führungsteam zu einer Einheit zusammen. Hinzu kam der sportliche Erfolg. Wir überwinterten als Leader – zwei Punkte vor dem FC Basel. Das hat uns zusammengeschweisst. Wir wollten gemeinsam Geschichte schreiben und in Bern etwas Bleibendes hinterlassen.

Wie messen Sie Erfolg?
Das sollte man differenziert betrachten. Kurzfristig wird der Erfolg am Resultat gemessen. Die Leistung muss jedoch nicht zwingend mit dem Resultat einhergehen. Mittelfristig sind ganz andere Messfaktoren wichtig. Es stellen sich Fragen: Wie entwickelt sich ein Spieler? Wer kann eine tragende Rolle im Team spielen? Welche Talente schaffen den Sprung in die erste Mannschaft? Wie kann das Führungsteam die Prozesse verbessern?

Kann Erfolg den Charakter eines Spielers verändern?
Erfolg sollte den Charakter eines Spielers nicht verändern – er kann es aber. Jeder Spieler braucht Leitplanken. Den einen müssen wir ab und zu wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen, der andere braucht kaum einen Fingerzeig. Wir haben ein gutes Gespür für unsere Spieler entwickelt.

War es für Sie eine Frage der Zeit, dass der konstante und konsequente Weg, den YB unter Ihrer Führung eingeschlagen hatte, in eine so erfolgreiche Saison 2017/2018 münden würde?
Wir haben davon geträumt, Schweizer Meister zu werden, das schon. Aber wann sich dieser Traum erfüllen würde, konnten wir nicht abschätzen. Um sportlichen Erfolg zu haben, benötigten wir in erster Linie Konstanz – in jedem Match und in jeder Trainingseinheit. Den Punkterückstand auf den FC Basel handelten wir uns nicht in den Direktbegegnungen ein, sondern in den Spielen gegen die anderen Super-League-Klubs.

Als Sportchef müssen Sie jeweils auch mit den Spielerberatern verhandeln. Welchen Einfluss haben diese Geschäftsleute? 
Spielerberater sind unsere Vertragspartner und haben wegen ihres Netzwerks einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Es gibt zwei Arten von Spielerberatern: Jene, die ihre Eigeninteressen ins Zentrum rücken, und jene, die die Karriere und das Wohl des Spielers priorisieren. Natürlich kommt es auch auf den Charakter eines Spielers an. Es gibt eigenständige Fussballer, die selbständig entscheiden. Andererseits gibt es Spieler, die leicht zu beeinflussen sind und nur über ihren Berater verhandeln. Wir können den Spielerberatern nicht die gleich hohe Kommission bezahlen wie das ausländische Topklubs tun. Für uns ist es erstrebenswert, dass ein Berater beteiligt ist, wenn wir einen Spieler zu einem finanzkräftigen Grossklub transferieren können. So schaffen wir auch einen zusätzlichen Anreiz für den Berater.

Zuletzt hat YB den FC Basel gedemütigt und 7:1 gewonnen. Wie haben Sie dieses Spiel erlebt – hat Ihnen der FC Basel leidgetan?
Man darf nicht vergessen, dass das Spiel extrem für uns gelaufen ist. Goalie David von Ballmoos hat uns mehrmals vor Gegentreffern bewahrt, als das Spiel noch nicht entschieden war. Dann kassierte Basel auch noch eine Rote Karte. Wir haben den klaren Sieg genossen, aber nur kurz, es geht schliesslich Schlag auf Schlag; am Mittwoch stand bereits das Heimspiel gegen St. Gallen auf dem Programm (YB gewann 2:0, die Red.).

YB dominiert die Liga und weist nach acht Runden das Punktemaximum auf. Der Vorsprung auf den lange Zeit übermächtigen Serienmeister FC Basel beträgt bereits zwölf Punkte. Hat im Schweizer Fussball eine Wachablösung stattgefunden?
Nein. Der FC Basel bleibt – wie der FC Bayern München in Deutschland – L’équipe à battre. Wenn Borussia Dortmund Deutscher Meister wird, ist Bayern in der nächsten Saison erneut Favorit. Wir wollen die Ambition haben, den Schweizer-Meister-Titel zu verteidigen, auch wenn wir weniger finanzkräftig sind als der FC Basel. Wir sind nicht satt, sondern hungriger denn je. Wir orientieren uns an grossen Champions wie Roger Federer. Auch er muss hart trainieren, um seine Erfolge wiederholen zu können.

Wo sehen Sie YB in fünf Jahren – sportlich und wirtschaftlich?
Das ist schwierig abzuschätzen. Ich hoffe, dass YB eigenständig bleibt und das Unternehmen profitabel arbeitet. Ich wünsche mir auch dannzumal eine Mannschaft, die für Bern steht, die bewegt und begeistert, mit der sich die Menschen identifizieren.

Wo hat YB sportlich, organisatorisch und wirtschaftlich gesehen Steigerungspotenzial?
Wir haben uns etwas erarbeitet. Aber Stillstand ist bekanntlich Rückschritt. Wir sind ständig daran, uns weiter zu entwickeln. Nehmen wir die individuelle Förderung der Spieler als Beispiel: Da haben wir zuletzt noch einmal einen Schritt vorwärts gemacht. Ein Verteidiger muss nicht immer so trainieren wie ein Stürmer.

Was sind Ihre grössten Sorgen mit Bezug auf YB?
Ich wünschte mir bessere Trainingsbedingungen für unseren Nachwuchs. Die Infrastruktur ist eines Schweizer Meisters unwürdig. Wir haben mehrere hundert junge Spieler im Verein, die wir ausbilden und denen wir Werte mitgeben, die auch für ihre berufliche Entwicklung wichtig sein können. Unter den heutigen Bedingungen diese Verantwortung wahrzunehmen, ist nicht leicht.

Was für ein Verhältnis haben Sie zu Trainer Gerardo Seoane?
Wir haben ein professionelles Verhältnis. In der Saison 2004/2005 waren wir bei GC Teamkollegen. Ich habe Gerardo Seoane als Trainer verpflichtet, weil ich von Anfang an von seinen Qualitäten überzeugt war – deshalb haben wir mit ihm einen Dreijahresvertrag abgeschlossen. Gerry und ich arbeiten als Tandem zum Wohl von YB – jeder von uns ist mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet. Ich freue mich sehr, dass Gerardo Seoane mit der Qualifikation für die Champions League und dem makellosen Saisonstart erste beachtliche Visitenkarten abgeben konnte. Für ihn war es nicht leicht, die Nachfolge von Adi Hütter anzutreten, der YB zum ersten Schweizer-Meister-Titel nach 32 Jahren geführt hatte.

Wie sehr frisst der Job Sie auf beziehungsweise bleibt genügend Zeit für Sie selbst und Ihre Liebsten?
Meine Arbeit empfinde ich als sehr intensiv. Ohne die Unterstützung und das Verständnis meiner Familie würde ich diesen Job nicht machen. Ich versuche, mit meinen Liebsten so viel Zeit wie möglich zu verbringen. Fürs neue Jahr habe ich mir vorgenommen, im Selbstmanagement einen Schritt nach vorne zu machen. Geht es darum, nach Hause zu gehen, damit noch Zeit für meine Kinder bleibt, mache ich das. Wenn es aber darum geht, um 17.30 Uhr eine Joggingrunde zu absolvieren oder aufs Bike zu steigen, erledige ich tendenziell eine Arbeit im Büro, die man auch hätte verschieben können (schmunzelt).

Würde es Sie reizen, das gleiche Amt dereinst bei einem Bundesligisten zu übernehmen?
Ich habe aufgehört, Pläne für die Zukunft zu schmieden. In einem so dynamischen Umfeld lässt sich eine Berufskarriere nicht mehr allein auf dem Reissbrett entwerfen. Ich fühle mich glücklich, dass ich Sportchef bei YB sein kann. Was in zwei, fünf oder zehn Jahren sein wird, weiss ich nicht. Ich nehme mir das Privileg heraus, das zu machen, wozu ich Lust habe.

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Starke Gefühle: Christoph Spycher verabschiedet sich am 18. Mai 2014 im Stade de Suisse von den YB-Fans. (Bild: Keystone/Marcel Bieri)

Was bedeutet die erstmalige Champions-League-Qualifikation für Sie als Sportchef?
Die Qualifikation für die Champions League ist ein wichtiger Schritt für den Verein und eine Belohnung für Spieler und Mitarbeiter. Aus finanzieller Sicht betrachtet, können wir die mittelfristige Planung nun mit mehr Sicherheit angehen. An unserer Philosophie werden wir nichts verändern, denn wir wollen uns von der Champions League nicht blenden lassen. Es liegt uns fern, Manchester United, Juventus Turin oder Valencia nachzueifern. Wir sind ein ganz anderer Verein als unsere Gruppengegner.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Geld ist nicht das Wichtigste im Leben. Es kann aber – wenn viele andere Sachen stimmen – gewisse Dinge erleichtern. Geld ist auch Teil einer Wertschätzung. Jeder möchte doch so entlöhnt werden, wie er es für richtig hält. Für mich ist der Schlüssel zum Glück nicht das Geld, sondern die Familie. Ich bin mir aber sehr wohl bewusst, dass Geld für jene Menschen, die ums Überleben kämpfen, eine ganz andere Bedeutung hat.

Die Qualifikation für die Champions League spült 30 Millionen Franken Bruttoeinnahmen in die Kasse. Was macht YB mit all dem Geld?
Wie gesagt, wir können eine Basis legen für die mittelfristige Zukunft. Aus wirtschaftlichen Gründen können und wollen wir den Weg der Vernunft nicht verlassen, sonst gibt es in zwei, drei Jahren ein böses Erwachen. Die Qualifikation für die Champions League generiert auch Kosten: So müssen wir zum Beispiel Prämien bezahlen oder bei entsprechenden Transfers Bonuszahlungen leisten.

Die Teilnahme an der Champions League sorgt dafür, dass Bilder des Vereins um die Welt gehen. Wie kann YB über die sechs Auftritte in der fussballerischen Königsklasse hinaus profitieren?
Die Teilnahme an der Champions League könnte uns in der Tat neue Sponsoren bescheren. Als Champions-League-Vertreter können wir auf dem Transfermarkt womöglich stärker auftrumpfen und auch mal einen Spieler verpflichten, der in der Vergangenheit nicht zu uns gekommen wäre. Es ist aber nicht so, dass uns die Teilnahme an der Champions League hilft, neue Märkte zu erschliessen. Im europäischen Spitzenfussball richtet sich alles nach den aufstrebenden Märkten in Asien und Nordamerika. Diese Märkte sind für uns als kleiner Player aber unbedeutend.

Welche Risiken birgt die Teilnahme an der Champions League für YB – Klubs wie der FC Thun, Sturm Graz (Ö) und Unirea Urziceni (Rum) hatten Mühe, mit dem Erfolg und den Begleiterscheinungen umzugehen und verschwanden zwischenzeitlich von der europäischen Fussball-Bühne?
Die Teilnahme an der Champions League birgt für uns kein Risiko, denn wir wissen, dass wir nicht vom eingeschlagenen Weg abweichen werden, der uns stark gemacht hat. Natürlich wird es nicht immer nur aufwärts gehen. Es wird auch Momente geben, in denen wir leiden müssen. So ist das Leben.

Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Viele Menschen empfinden Druck als negativ. Für mich ist Druck ein Ansporn. Druck setzt die schönsten Emotionen frei. Mir sind jene Spiele in Erinnerung geblieben, in denen es um sehr viel gegangen ist. So zum Beispiel um eine WM- oder EM-Qualifikation oder um den Schweizer-Meister-Titel. In solchen Spielen ist die Anspannung höher als sonst, man muss sich aufs Wesentliche konzentrieren und funktionieren. Ich habe das jeweils sehr gut hingekriegt.

Der europäische Fussballverband (Uefa) denkt darüber nach, den Champions-League-Final in New York zu veranstalten. Was halten Sie von dieser Idee?
Der nordamerikanische Markt – wie auch der asiatische – ist sehr interessant für Europas Fussballverbände. Es kann deshalb nicht erstaunen, dass die europäischen Topklubs diese Märkte bespielen wollen. Ich finde es wenig prickelnd, den Champions-League-Final in New York auszutragen. Dieser Trend lässt sich aber kaum aufhalten. Spaniens «La Liga» überlegt sich, künftig ein Meisterschaftsspiel pro Saison in den USA zu veranstalten. Nicht alle spanischen Klubs und Fans sind von dieser Marketing-Idee begeistert.

Den umgekehrten Weg hat die NHL (National Hockey League, weltbeste Eishockey-Liga, die Red.) eingeschlagen. Sie gastiert seit geraumer Zeit in Europa (Die Edmonton Oilers und New Jersey Devils bestreiten am 6. Oktober ihr Auftaktspiel als Teil der NHL Global Series 2018 in Göteborg, die Red.). Heute verschmelzen Sport und Wirtschaft miteinander.

Im Fussball werden – auch dank dem Schaufenster Champions League – exorbitante Summen umgesetzt. Der Brasilianer Neymar wechselte für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese Ablösesummen hören?
Diese Summe ist irgendwie surreal, das Geschäft schwer nachzuvollziehen. Ich bin aber überzeugt, dass sich dieser Transfer auszahlen wird. Stichworte dazu sind Merchandising, Potenzial auf dem asiatischen und nordamerikanischen Markt und Persönlichkeitsrechte an Neymar (2022 findet die Fussball-WM in Katar statt – Eigentümer von Paris Saint-Germain ist die katarische Investorengruppe Qatar Sports Investment, die Red.). Wer weiss: Vielleicht werden die 222 Millionen Euro in zwei Jahren überboten.

YBs Auftritte in der Champions League könnten den Wert der Spieler in ungeahnte Höhen treiben. Folgt bald der grosse Ausverkauf – Kevin Mbabu, Roger Assalé, Djibril Sow und Sékou Sanogo dürften längst auf dem Wunschzettel zahlreicher ausländischer Klubs stehen?
Es kommt darauf an, wie wir uns in der Champions-League-Kampagne präsentieren. Es ist möglich, dass ein Angebot eines Grossklubs eintreffen wird. Wir gehen davon aus, dass uns der eine oder andere Leistungsträger in absehbarer Zeit verlassen wird. Wir können nicht davon ausgehen, dass zum Beispiel die hochveranlagten Kevin Mbabu und Djibril Sow ihre Karrieren bei YB beenden werden.

Wie würde YB auf einen möglichen Abgang eines Leistungsträgers reagieren?  
Verliesse uns ein jüngerer Spieler, würden wir ihn mit einem ähnlichen Spielertyp ersetzen, den wir entsprechend ausbilden müssten. Wir sind uns bewusst, dass wir aus Kostengründen für Kevin Mbabu nicht gleichwertigen Ersatz holen könnten. Allerdings: Mbabu spielte vor zwei Jahren, als er zu uns gekommen war, längst nicht so stark wie heute. Sollten wir einen Führungsspieler verlieren, wären wir bestrebt, diese Lücke mit einer Persönlichkeit zu schliessen. Wir brauchen eine gewisse Anzahl von arrivierten Spielern in der Mannschaft.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vor dem Heimspiel gegen Manchester United im Stade de Suisse die Champions-League-Hymne hörten?
Es war ein schöner Moment, der mich mit Stolz erfüllte. Wir hörten die Hymne ja zum zweiten Mal im Stade de Suisse. Erstmals wurde sie im Champions-League-Playoffspiel gegen Dinamo Zagreb gespielt. Am ersten Trainingstag in diesem Sommer hatten wir den Spielern gesagt, dass wir die Hymne mehrmals in unserem Stadion hören wollen. Sie mussten hart arbeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Gleichzeitig kreisten meine Gedanken um das Spiel. Ich wusste: Wir können nur etwas reissen, wenn wir über uns hinauswachsen.

Machte es Sie stolz, als Sie sahen, wie José Mourinho, einer der bekanntesten Trainer der Welt, sein Team Manchester United in den ersten 30 Minuten mehrmals zusammenstauchte?
Das habe ich gar nicht mitbekommen. Ich war mit meinen Gedanken bei meiner Mannschaft und war zufrieden, wie sie sich in den ersten 30 Minuten präsentierte. Sie hat die Trainervorgaben gut umgesetzt. Bei aller Euphorie wusste ich aber, dass wir gegen Manchester United nicht zehn Topchancen erhielten. Wir hätten unsere Chancen nutzen sollen.

Was hat Sie im Heimspiel gegen Manchester United am meisten berührt?
Die Stimmung im ausverkauften Stadion war beeindruckend. Die Zuschauer gingen bis zuletzt bedingungslos mit. Sie entwickelten ein feines Gespür für die Leistung der Mannschaft – trotz des brutalen Schlussresultates.

Was haben Sie sich nach dem Heimspiel gegen Manchester United als persönliches Souvenir gesichert?
Nichts (schmunzelt).

Was bedeutet die erstmalige Champions-League-Qualifikation für Sie als Sportchef?
Die Qualifikation für die Champions League ist ein wichtiger Schritt für den Verein und eine Belohnung für Spieler und Mitarbeiter. Aus finanzieller Sicht betrachtet, können wir die mittelfristige Planung nun mit mehr Sicherheit angehen. An unserer Philosophie werden wir nichts verändern, denn wir wollen uns von der Champions League nicht blenden lassen. Es liegt uns fern, Manchester United, Juventus Turin oder Valencia nachzueifern. Wir sind ein ganz anderer Verein als unsere Gruppengegner.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Geld ist nicht das Wichtigste im Leben. Es kann aber – wenn viele andere Sachen stimmen – gewisse Dinge erleichtern. Geld ist auch Teil einer Wertschätzung. Jeder möchte doch so entlöhnt werden, wie er es für richtig hält. Für mich ist der Schlüssel zum Glück nicht das Geld, sondern die Familie. Ich bin mir aber sehr wohl bewusst, dass Geld für jene Menschen, die ums Überleben kämpfen, eine ganz andere Bedeutung hat.

Die Qualifikation für die Champions League spült 30 Millionen Franken Bruttoeinnahmen in die Kasse. Was macht YB mit all dem Geld?
Wie gesagt, wir können eine Basis legen für die mittelfristige Zukunft. Aus wirtschaftlichen Gründen können und wollen wir den Weg der Vernunft nicht verlassen, sonst gibt es in zwei, drei Jahren ein böses Erwachen. Die Qualifikation für die Champions League generiert auch Kosten: So müssen wir zum Beispiel Prämien bezahlen oder bei entsprechenden Transfers Bonuszahlungen leisten.

Die Teilnahme an der Champions League sorgt dafür, dass Bilder des Vereins um die Welt gehen. Wie kann YB über die sechs Auftritte in der fussballerischen Königsklasse hinaus profitieren?
Die Teilnahme an der Champions League könnte uns in der Tat neue Sponsoren bescheren. Als Champions-League-Vertreter können wir auf dem Transfermarkt womöglich stärker auftrumpfen und auch mal einen Spieler verpflichten, der in der Vergangenheit nicht zu uns gekommen wäre. Es ist aber nicht so, dass uns die Teilnahme an der Champions League hilft, neue Märkte zu erschliessen. Im europäischen Spitzenfussball richtet sich alles nach den aufstrebenden Märkten in Asien und Nordamerika. Diese Märkte sind für uns als kleiner Player aber unbedeutend.

Welche Risiken birgt die Teilnahme an der Champions League für YB – Klubs wie der FC Thun, Sturm Graz (Ö) und Unirea Urziceni (Rum) hatten Mühe, mit dem Erfolg und den Begleiterscheinungen umzugehen und verschwanden zwischenzeitlich von der europäischen Fussball-Bühne?
Die Teilnahme an der Champions League birgt für uns kein Risiko, denn wir wissen, dass wir nicht vom eingeschlagenen Weg abweichen werden, der uns stark gemacht hat. Natürlich wird es nicht immer nur aufwärts gehen. Es wird auch Momente geben, in denen wir leiden müssen. So ist das Leben.

Wie gehen Sie mit dem Druck um?
Viele Menschen empfinden Druck als negativ. Für mich ist Druck ein Ansporn. Druck setzt die schönsten Emotionen frei. Mir sind jene Spiele in Erinnerung geblieben, in denen es um sehr viel gegangen ist. So zum Beispiel um eine WM- oder EM-Qualifikation oder um den Schweizer-Meister-Titel. In solchen Spielen ist die Anspannung höher als sonst, man muss sich aufs Wesentliche konzentrieren und funktionieren. Ich habe das jeweils sehr gut hingekriegt.

Der europäische Fussballverband (Uefa) denkt darüber nach, den Champions-League-Final in New York zu veranstalten. Was halten Sie von dieser Idee?
Der nordamerikanische Markt – wie auch der asiatische – ist sehr interessant für Europas Fussballverbände. Es kann deshalb nicht erstaunen, dass die europäischen Topklubs diese Märkte bespielen wollen. Ich finde es wenig prickelnd, den Champions-League-Final in New York auszutragen. Dieser Trend lässt sich aber kaum aufhalten. Spaniens «La Liga» überlegt sich, künftig ein Meisterschaftsspiel pro Saison in den USA zu veranstalten. Nicht alle spanischen Klubs und Fans sind von dieser Marketing-Idee begeistert.

Den umgekehrten Weg hat die NHL (National Hockey League, weltbeste Eishockey-Liga, die Red.) eingeschlagen. Sie gastiert seit geraumer Zeit in Europa (Die Edmonton Oilers und New Jersey Devils bestreiten am 6. Oktober ihr Auftaktspiel als Teil der NHL Global Series 2018 in Göteborg, die Red.). Heute verschmelzen Sport und Wirtschaft miteinander.

Im Fussball werden – auch dank dem Schaufenster Champions League – exorbitante Summen umgesetzt. Der Brasilianer Neymar wechselte für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese Ablösesummen hören?
Diese Summe ist irgendwie surreal, das Geschäft schwer nachzuvollziehen. Ich bin aber überzeugt, dass sich dieser Transfer auszahlen wird. Stichworte dazu sind Merchandising, Potenzial auf dem asiatischen und nordamerikanischen Markt und Persönlichkeitsrechte an Neymar (2022 findet die Fussball-WM in Katar statt – Eigentümer von Paris Saint-Germain ist die katarische Investorengruppe Qatar Sports Investment, die Red.). Wer weiss: Vielleicht werden die 222 Millionen Euro in zwei Jahren überboten.

YBs Auftritte in der Champions League könnten den Wert der Spieler in ungeahnte Höhen treiben. Folgt bald der grosse Ausverkauf – Kevin Mbabu, Roger Assalé, Djibril Sow und Sékou Sanogo dürften längst auf dem Wunschzettel zahlreicher ausländischer Klubs stehen?
Es kommt darauf an, wie wir uns in der Champions-League-Kampagne präsentieren. Es ist möglich, dass ein Angebot eines Grossklubs eintreffen wird. Wir gehen davon aus, dass uns der eine oder andere Leistungsträger in absehbarer Zeit verlassen wird. Wir können nicht davon ausgehen, dass zum Beispiel die hochveranlagten Kevin Mbabu und Djibril Sow ihre Karrieren bei YB beenden werden.

Wie würde YB auf einen möglichen Abgang eines Leistungsträgers reagieren?  
Verliesse uns ein jüngerer Spieler, würden wir ihn mit einem ähnlichen Spielertyp ersetzen, den wir entsprechend ausbilden müssten. Wir sind uns bewusst, dass wir aus Kostengründen für Kevin Mbabu nicht gleichwertigen Ersatz holen könnten. Allerdings: Mbabu spielte vor zwei Jahren, als er zu uns gekommen war, längst nicht so stark wie heute. Sollten wir einen Führungsspieler verlieren, wären wir bestrebt, diese Lücke mit einer Persönlichkeit zu schliessen. Wir brauchen eine gewisse Anzahl von arrivierten Spielern in der Mannschaft.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vor dem Heimspiel gegen Manchester United im Stade de Suisse die Champions-League-Hymne hörten?
Es war ein schöner Moment, der mich mit Stolz erfüllte. Wir hörten die Hymne ja zum zweiten Mal im Stade de Suisse. Erstmals wurde sie im Champions-League-Playoffspiel gegen Dinamo Zagreb gespielt. Am ersten Trainingstag in diesem Sommer hatten wir den Spielern gesagt, dass wir die Hymne mehrmals in unserem Stadion hören wollen. Sie mussten hart arbeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Gleichzeitig kreisten meine Gedanken um das Spiel. Ich wusste: Wir können nur etwas reissen, wenn wir über uns hinauswachsen.

Machte es Sie stolz, als Sie sahen, wie José Mourinho, einer der bekanntesten Trainer der Welt, sein Team Manchester United in den ersten 30 Minuten mehrmals zusammenstauchte?
Das habe ich gar nicht mitbekommen. Ich war mit meinen Gedanken bei meiner Mannschaft und war zufrieden, wie sie sich in den ersten 30 Minuten präsentierte. Sie hat die Trainervorgaben gut umgesetzt. Bei aller Euphorie wusste ich aber, dass wir gegen Manchester United nicht zehn Topchancen erhielten. Wir hätten unsere Chancen nutzen sollen.

Was hat Sie im Heimspiel gegen Manchester United am meisten berührt?
Die Stimmung im ausverkauften Stadion war beeindruckend. Die Zuschauer gingen bis zuletzt bedingungslos mit. Sie entwickelten ein feines Gespür für die Leistung der Mannschaft – trotz des brutalen Schlussresultates.

Was haben Sie sich nach dem Heimspiel gegen Manchester United als persönliches Souvenir gesichert?
Nichts (schmunzelt).

Nach dem Matura-Abschluss trieb Christoph Spycher seine Profikarriere als Fussballer zielstrebig voran. «Wuschu», wie er von seinen Freunden gerufen wird, bestritt für den FC Luzern (1999-2001), GC (2001-2005) und YB (2010-2014) insgesamt 236 Spiele in der NLA/Super League. Dabei schoss er zwölf Tore. Zwischen 2005 und 2010 stand Spycher beim Bundesligisten Eintracht Frankfurt unter Vertrag. Er brachte es auf 129 Bundesliga-Einsätze. In der Saison 2009/2010 fungierte der in Oberscherli aufgewachsene Berner als Kapitän der Mannschaft. Bei den Frankfurtern galt er als verlängerter Arm des Trainers auf dem Feld.

Spycher absolvierte 47 Länderspiele. Der gelernte Defensivspieler nahm mit dem Schweizer Nationalteam an den Europameisterschaften 2004 und 2008 sowie an der Weltmeisterschaft 2006 teil. Auf nationaler Ebene feierte der heute 40-Jährige den grössten Erfolg 2003, als er mit GC Schweizer Meister wurde. 2006 stand er mit Eintracht Frankfurt gegen Bayern München im Final des DFB-Pokals (0:1).

Nach seinem Rücktritt im Mai 2014 unterschrieb Spycher bei YB einen Vertrag als Talentmanager. Gleichzeitig absolvierte er die Sportmanagement-Weiterbildung an der Universität St. Gallen. Er erlangte das CAS-Diplom. Seit September 2016 ist Spycher Sportchef bei den Young Boys. Mit seiner Frau Barbara und den Söhnen Dominic (10) und Claudio (8) wohnt er in Muri bei Bern. Als Hobbys gibt Spycher die Familie, Freunde und Sport allgemein an.

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