Politische Kampagnen setzen immer weniger auf Zeitungsinserate
Bei knappem Ausgang einer Volksabstimmung waren sie zuvor beliebte Rettungsanker.
In der Schweiz haben Kampagnen – vor allem bei einem erwarteten knappen Ausgang – in der Vergangenheit jeweils sehr stark auf die Kommunikation mittels Zeitungsinseraten gesetzt. Gemäss einer aktuellen Studie könnte dieses Kampagneninstrument inzwischen massiv an Bedeutung verloren haben. Die Schweizer Politologin Michaela Fischer zeigt nämlich auf, dass die Zahl der politischen Inserate in den Medien massiv gesunken ist. Gleichzeitig hat die Zahl der politischen Posts in den sozialen Medien stark zugenommen. Beides zusammen könnte darauf hinweisen, dass die Kampagnenstrategen den Zeitungsinseraten nicht mehr dieselbe kommunikative Bedeutung beimessen, die sie in der Vergangenheit hatte.
Direkte Demokratie in der Schweiz verlangt spezifische Kommunikation
Blenden wir zurück: Noch in den 2010er-Jahren begründeten Kampagnen-Strategen in der Schweiz die geringe Präsenz in den sozialen Netzwerken mit dem Hinweis, dass Social-Media-Plattformen für Gesichter gemacht seien, für Individuen, und nicht für Gruppen oder Organisationen. Abstimmungen in der Schweiz sind nämlich, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, kaum personalisiert. Im Zentrum stehen – anders als bei Wahlen – nicht Personen, sondern Sachthemen, die meist von Parteien, Verbänden und Organisationen vorgebracht und unterstützt oder bekämpft werden.
Weiter nutzt nur ein geringer Teil der Bevölkerung soziale Netzwerke als Informationsquellen über bevorstehende Abstimmungen. Vielmehr informieren sich die meisten Bürgerinnen und Bürger weiterhin über traditionelle Medien, was in der VOTO-Untersuchung von 2022 zum Ausdruck kam. Ausserdem liegt das Durchschnittsalter der aktiven Stimmbevölkerung deutlich über demjenigen der klassischen Social-Media-Userinnen und -User.
All dies könnten Gründe für politische Akteurinnen und Akteure sein, weniger stark über digitale Kanäle zu kommunizieren. «Limitieren also der direktdemokratische Kontext und die politische Kultur in der Schweiz die Intensivierung der Kampagnenkommunikation im digitalen Raum?», fragte sich Politologin Fischer. Und: Setzen Parteien, Verbände und Organisationen weiterhin auf traditionelle Kommunikationskanäle?
Belege für eine Veränderung nachgewiesen
Dazu hat Fischer die von 2010 bis 2020 publizierten Zeitungsinserate (in sechs nationalen Zeitungen) und Social-Media-Beiträge auf Twitter und Facebook analysiert. Im Vorfeld einer Abstimmung publizieren Parteien, Verbände und Organisationen Zeitungsinserate in diversen Zeitungen, um die Stimmbevölkerung von der eigenen Position zu überzeugen und zu mobilisieren. Die Anzahl der Zeitungsinserate gibt Aufschluss darüber, wie intensiv ein Abstimmungskampf geführt wird. Je höher die Anzahl, desto intensiver die Kampagne.
Folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Anzahl Zeitungsinserate von 1981 bis 2020. Bis Mitte der 2000er-Jahre nahm die Anzahl der veröffentlichten Zeitungsinserate leicht zu, bevor sie ab 2009 stark einbrach.
Eine mögliche Erklärung für den starken Rückgang von Zeitungsinseraten sieht Fischer darin, dass politische Akteurinnen und Akteure ihre strategischen Überlegungen geändert haben: «Anstatt auf ressourcenintensive Inseratekampagnen zu setzen, bieten digitale Kanäle eine kostengünstigere Alternative – insbesondere für weniger ressourcenstarke Parteien und Organisationen mit einer jüngeren oder digitalaffineren Basis.» Unabhängig davon, wohin politische Akteurinnen und Akteure ihre Ressourcen verlagert haben, die sie vormals für Zeitungsinserate aufgewendet hatten, haben sie ihre Aktivitäten in den sozialen Netzwerken stark ausgeweitet. Dies zeigt eine Analyse der Entwicklung der Anzahl Social-Media-Beiträge von 2010 bis 2020. Insbesondere seit 2015 nehmen die Beiträge, die im Vorfeld einer Abstimmung publiziert werden, stark zu.
Erwartete knappe Abstimmungsresultate zeigen die Veränderung
Verlagert sich also die Kampagnenkommunikation zunehmend vom analogen in den digitalen Raum? Um diese Frage zu untersuchen, nahm Fischer das Konzept der Kampagnenintensität zur Hilfe, die Hanspeter Kriesi entwickelt hatte. Sie besagt, dass die Intensität einer Kampagne mit dem erwarteten Abstimmungsergebnis zusammenhängt. Parteien, Verbände und Organisationen investieren mehr Ressourcen und publizieren mehr Zeitungsinserate in Abstimmungen, bei denen sie ein knappes Abstimmungsergebnis erwarten. Mit anderen Worten, je knapper das erwartete Abstimmungsergebnis, desto höher die Kampagnenintensität und desto mehr publizierte Zeitungsinserate. Ob dies nach wie vor zutreffe, untersuchte Fischer ebenfalls. Veröffentlichen Parteien, Verbände und Organisationen in knappen Abstimmungen tatsächlich weiterhin mehr Inserate als in Abstimmungen mit einem eindeutigeren Ergebnis oder nutzen sie dafür vermehrt andere Kanäle?
Die Kampagnendynamiken in der Schweiz haben sich bedeutend verändert:
Für den Abgesang auf das Inserat ist es aber zu früh
Dennoch warnt Fischer davor, das Inserat ganz abzuschreiben: Sie findet nämlich, dass die Forschung zur digitalen Kampagnenkommunikation und deren Auswirkungen erst am Anfang stehe. Im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten hätten Zeitungsinserate als Kommunikationskanal zwar an Bedeutung eingebüsst, während gleichzeitig Parteien, Verbände und Organisationen ihre Kampagnenkommunikation zunehmend (auch) in den digitalen Raum verlagerten. Doch warum welche Akteurinnen und Akteure in welchen Abstimmungen ihre Kommunikation verstärkt ins Digitale verlagern, dafür gibt es noch viel zu wenig Hinweise. Und vor allem auch dazu, welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Wählerinnen und Wähler haben.