«Ich nahm den Kugelschreiber aus der Jacke»
Nationalratspräsident Eric Nussbaumer schildert, wie er bei der Bundesratswahl den Namen des Gewählten herleiten und selber hinschreiben musste – und warum er Zäune niedertrampeln will.
Nationalratspräsident Eric Nussbaumer schildert, wie er bei der Bundesratswahl den Namen des Gewählten herleiten und selber hinschreiben musste – und warum er Zäune niedertrampeln will.
Eric Nussbaumer, Sie sind als Baselbieter oberster Schweizer, die Baslerin Eva Herzog präsidiert den Ständerat, und erstmals seit einem halben Jahrhundert sitzt mit Beat Jans wieder ein Basler im Bundesrat. Geniessen Sie das Basler Jahr?
Eric Nussbaumer: Dass jetzt alles zusammenfällt, ist zwar schön, aber ich möchte es nicht überbewerten. Es ist nicht das, was ich als besonders empfinde. Für mich ist vielmehr das Amt als Nationalratspräsident an und für sich eine genussvolle Erfahrung.
Das Verhältnis zwischen den beiden Halbkantonen ist bekanntlich nicht frei von Friktionen. Sie dirigierten die Bundesratswahl. Freuten Sie sich als Baselbieter über die Wahl eines Baselstädters?
Nussbaumer: Ich habe mich gefreut, weil Beat Jans mein politischer Freund ist. Wir beide waren SP-Präsidenten – er in Baselstadt, ich in Baselland. Diese persönliche Dimension, dass mein Freund Beat Jans Bundesrat geworden ist, ist höher zu gewichten, als dass er aus dem Nachbarkanton kommt. Natürlich habe ich mich gefreut, dass er es geschafft hat. Denn ich halte ihn für einen ehrlichen, authentischen Politiker, der versucht, die Lösungen voranzutreiben, von denen er überzeugt ist, dass sie gut sind für das Land.
Haben Sie deshalb verschmitzt gelächelt, als Sie verkünden konnten, Jans sei gewählt?
Nussbaumer: Das wurde unterschiedlich wahrgenommen. Andere haben gesagt, ich hätte bis zur letzten Sekunde keine Miene verzogen, man hätte mir gar nichts angesehen. In Tat und Wahrheit war es so, dass auf dem Wahlzettel der Name von Beat Jans fehlte.
Tatsächlich?
Nussbaumer: Ja, da stand nur: «Gewählt ist mit 134 Stimmen». Deshalb musste ich den Generalsekretär der Bundesversammlung fragen, ob ich richtig annehme, dass, wenn unten bei den Nichtgewählten die anderen Namen stünden, der Gewählte dann Beat Jans sei. Möglich, dass das wahrgenommen wurde. Innerlich habe ich mich aber gefreut und habe es gerne verkündet.
Das Lächeln aber war dem Umstand geschuldet, dass Sie zuerst den Namen des Gewählten eruieren mussten?
Nussbaumer: Genau. Am Abend habe ich dann zu Beat Jans gesagt: Du bist eigentlich nur gewählt, weil ich von Hand deinen Namen auf den Wahlzettel geschrieben habe. Ich nahm den Kugelschreiber aus der Jacke, schrieb «Beat Jans» hin und verkündete dann das Resultat.
Ihre eigene Wahl zum Nationalratspräsidenten haben Sie zusammen mit Ständeratspräsidentin Eva Herzog gefeiert, die aus Baselstadt stammt und ebenfalls Sozialdemokratin ist. War das gemeinsame Parteibuch stärker als das traditionelle Konkurrenzdenken zwischen den beiden Halbkantonen?
Nussbaumer: Als Zugewanderter hatte ich nie das tiefe Konkurrenzdenken, das manche im Baselbiet zelebrieren. Auch in unserer Partei haben wir das nicht. Viele förderten die Kooperation zwischen den beiden Kantonen und konnten sich bei der Abstimmung vor zehn Jahren eine Fusion vorstellen. Uns ist bewusst, dass die ganze Region aufeinander angewiesen ist. Baselstadt allein ist nicht stark, Baselland allein ist es auch nicht. Zusammen aber bilden wir eine starke Wirtschaftsregion und einen starken Lebensraum.
Was haben Sie sich für Ihr Präsidialjahr vorgenommen?
Nussbaumer: Mein Motto lautet: «Grenzen überschreiten – Horizont erweitern». Als Europapolitiker bin ich der Meinung, dass die Schweiz ihr Verhältnis gegenüber europäischen Ländern bereinigen und so gestalten sollte, dass es eine Zukunft gibt. In all den Jahren in der Politik habe ich immer wieder erfahren, dass es auch meinen eigenen politischen Horizont erweitert, wenn ich in einem anderen Land etwas anschaue oder internationale Kontakte pflege. Deshalb habe ich in meiner Antrittsrede gesagt, man solle keine Angst davor haben, auch einmal über den eigenen Gartenzaun hinauszuschauen und ihn gar gedanklich niederzutrampeln. Das ist meine feste Überzeugung, die ich im Präsidialjahr mittrage.
Wie wollen Sie sie umsetzen?
Nussbaumer: Indem ich die internationalen Beziehungen pflege und meine Rolle als Nationalratspräsident auch nutze, um andere Ratsmitglieder auf Reisen ins Ausland mitzunehmen. Ich denke, das ist für alle im Rat eine Chance, etwas entdecken zu können, das mich bereichert hat und hoffentlich auch andere bereichert.
Wohin werden Sie reisen?
Nussbaumer: Nach der Session fliegen beide Präsidien für eine Woche in die USA. Dort geht es einerseits um die Rolle der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat. Anderseits beschäftigen wir uns in Washington mit der Frage, wie sich die USA politisch entwickeln und was das für ein europäisches Land wie die Schweiz heisst. Meine Auslandreise mit den Fraktionsspitzen führt nach Marokko, wo mich als Energiepolitiker die Nutzung der erneuerbaren Energien interessiert. Aber auch die Frage, wie dieses Land, das an der Schwelle steht, die Unterstützung durch die Schweiz wahrnimmt, und welches die grössten Herausforderungen bezüglich Klimawandel und Migration sind. Dann wird es kleinere Arbeitsbesuche und Treffen mit europäischen Ratspräsidien geben.
Als Europapolitiker führen Ihre beiden grossen Reisen in die USA und nach Marokko?
Nussbaumer: Da ich seit eh und je Europapolitik mache, wäre es seltsam, wenn ich nur europäische Destinationen berücksichtigen würde. Ich bleibe aber Mitglied der EFTA-/EU-Delegation und werde selbstverständlich auch in Brüssel sein und mit den Nachbarländern Kontakte pflegen. Auch in der Schweiz.
Welche Gespräche stehen da an?
Nussbaumer: Demnächst werde ich mich mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann austauschen, wenn er unser Land besucht. Dazu kommt der Austausch mit ausländischen Botschaftern. Hier brauche ich nicht zu reisen, die Fragestellung ist aber die gleiche: Man pflegt den Gedankenaustausch und versucht zu verstehen, wie sie die Schweiz wahrnehmen.
Wie nehmen Sie als «alter Hase» das neue Parlament wahr?
Nussbaumer: In der ersten Session war für mich der prägende Eindruck, dass das neue Parlament finanzpolitisch noch nicht auf der Höhe ist. Ich musste einen Stichentscheid in der Frage fällen, wie rasch die Armeeausgaben steigen sollen. In der Budgetdebatte hat das Parlament zuerst übertrieben und das Budget dann am Schluss mit Rückkommensanträgen doch noch schuldenbremsenkonform gemacht. Das kann man nicht jedes Jahr wiederholen. Bis zur kommenden Wintersession muss das Parlament die finanzpolitische Kurve kriegen, damit es die Budgetdebatte ordentlich führen kann.
Merken Sie, dass es diesmal anders als vor vier Jahren weder eine Frauen- noch eine Klimawahl war?
Nussbaumer: Ich merke das nicht und habe die Etikette immer relativiert. Ein gutes Parlament zeichnet sich dadurch aus, dass es immer wieder eine Lösung gestaltet. Ein Parlament, das ein Referendum nach dem anderen produziert, ist kein starkes Parlament. Die Herausforderung lautet, dass wir eine Kultur des Kompromisses finden, wie es so schön heisst. Ich spreche lieber von Lösungen. Damit die Leute draussen im Land das Gefühl bekommen, das sei eine Lösung, hinter der sie stehen können, und nicht immer gleich das Referendum ergreifen. Klar ist die rechte Seite stark geworden, ähnlich wie schon vor acht Jahren. Aber damit müssen wir umgehen. Wenn wir das nicht schaffen, verlieren wir an Glaubwürdigkeit. Das schadet der Demokratie.
Das Klima ist schon seit langem Ihr Thema. Werden Sie sich bei der Volksabstimmung zum Energie-Mantelerlass, die voraussichtlich in Ihr Präsidialjahr fällt, in präsidialer Zurückhaltung üben?
Nussbaumer: Ich sage nicht, dass ein Präsident keine politische Meinung mehr haben dürfe. Selbstverständlich gehe ich in diesem Jahr nicht an Podien und werde auch sicher nicht andere politische Akteurinnen und Akteure mit Argumenten herausfordern. Meine Position ist aber klar: Ich stehe hinter dem Mantelerlass und werde ihn unterstützen.
Empfinden Sie die Zurückhaltung, die Sie sich als Nationalratspräsident auferlegen müssen, generell als Last oder als willkommene Abwechslung?
Nussbaumer: Es ist eine andere Dimension des Parlamentarier-Daseins. Für ein Jahr geniesse ich es. Es ist aber kein Geheimnis, dass ich ein Politiker bin, der gerne Argumente entwickelt und einsetzt. Ich gehe nicht in den argumentativen Kampf, habe aber natürlich eine Haltung, wie ich die schweizerische Demokratie und die Rolle der Schweiz in Europa sehe. All das soll man nicht verstecken. Man soll aber nicht derjenige sein, der meint, er müsse sich mit allen im Parlament anlegen. Deshalb macht man keine Vorstösse. Und deshalb wird man mich auch nicht auf Abstimmungspodien sehen.
Politische Beobachterinnen sehen den Zusammenhalt zwischen Romandie und Deutschschweiz schwinden. Teilen Sie die Einschätzung, dass die Menschen dies- und jenseits des Röstigrabens immer weniger bereit sind, aufeinander zuzugehen?
Nussbaumer: In dieser Absolutheit erlebe ich das in Bern nicht. Ich glaube aber, dass sich beide Seiten bemühen müssen, aufeinander zuzugehen. Es braucht wirklich eine innere Überzeugung, dass man das leben will. Man muss den Mut haben, hie und da auch mal einen Kaffee zu trinken mit jemandem, der nicht die Muttersprache spricht. Und das macht nicht jeder freiwillig. Ich habe mir schon vorgenommen, dass ich das im Parlamentsleben praktizieren möchte. Vielleicht ist das der Grund, dass viele finden, der Nussbaumer sei ein «gmögiger». Denn ich mache nirgends eine Schranke und sage: Mit denen will ich nichts zu tun haben.
Auch, weil Sie aus dem Dreiländereck kommen?
Nussbaumer: Das kommt sicher dazu. Unsere Region ist ein Grenzen überschreitender und Sprachen übergreifender Lebensraum, also ist die Erfahrung vorhanden. Aber auch bei uns muss man immer sagen, dass man sich mit der kulturellen Eigenart des Elsass oder des Südbadischen auseinandersetzen möchte. Das wird einem nicht einfach geschenkt. Deshalb versuche ich, auch mal eine Veranstaltung in Lörrach zu besuchen oder etwas im Elsass zu unternehmen.
Deshalb nutzen Sie auch Ihr Präsidialjahr, um sich als Brückenbauer zu betätigen?
Nussbaumer: Genau.
Haben Sie als Nationalratspräsident noch Zeit für Hobbys?
Nussbaumer: Ich bin kein Hobby-Typ. Weder sammle ich Briefmarken noch bin ich ein besonderer Kenner irgendwelcher spezifischer Werke der Literatur. Ich treibe gerne Sport, gehe hie und da an eine Kulturveranstaltung oder ins Kino und habe eine grosse Familie mit sieben Enkelkindern. Das ist aber kein Hobby, sondern eine Aufgabe in meinem Leben. In diesem Jahr geht die Politik ein Stück weit vor. Das wissen alle, die mit mir das Leben teilen.
Die Enkel haben weniger vom Grossvater?
Nussbaumer: Ich war gerade mit einigen von ihnen Skifahren. Es hat schon Platz, man muss es aber ein bisschen einteilen und planen. Dann geht es schon, auch im Präsidialjahr die Balance zwischen Politik und den anderen sinnstiftenden Dingen im Leben zu finden.
Eric Nussbaumer (63) ist im französischen Mulhouse geboren und im Kanton Zürich aufgewachsen, wo er eine Lehre als Elektromonteur und ein Studium am Technikum Winterthur zum Elektroingenieur HTL absolvierte. Nach Abstechern in die Westschweiz und die USA zog er ins Baselbiet und wurde Geschäftsführer eines Unternehmens, das in umweltfreundliche Energieanlagen investiert. Politisch engagierte sich der Sozialdemokrat zuerst in der Gemeindekommission von Frenkendorf, danach im Baselbieter Landrat und seit 2007 im Nationalrat. Der Vater von drei erwachsenen Kindern und Grossvater von sieben Enkelkindern wohnt mit seiner Frau in Liestal.