Warum die Grünen nicht mehr nur ein Alt-68er-Projekt sind

Rechtzeitig zum 40-Jahr-Jubiläum schauen Wissenschaftler auf die Perspektiven der Partei

Das Duo, das das neue Buch über die Grünen in der Schweiz herausgibt, könnte nicht besser und ausgewogener aufgestellt sein. Werner Seitz, Jahrgang 1954, Politologe und langjähriger Leiter der Sektion «Politik, Kultur, Medien» im Bundesamt für Statistik in Neuchâtel, hat schon 2008 zusammen mit Matthias Baer das eigentliche Standardwerk über die noch immer junge Partei verfasst: «Die Grünen in der Schweiz: ihre Politik, ihre Geschichte, ihre Basis». Sarah Bütikofer, Jahrgang 1976, Politologin und Spezialistin für Parlamentsforschung, politische Karrieren sowie Frauen in der Politik. Zusammen decken sie eine sehr breite Sicht auf die Grünen ab. Das zeigt sich auch an den Beiträgen in diesem neuen Buch «Die Grünen in der Schweiz: Entwicklung – Wirken – Perspektiven», das sich durchaus als Fortsetzung des ersten lesen lässt. Versammelt hat sich nämlich fast ein Who-is-Who der Schweizer Politikwissenschaften. Aber: Lag der Frauenanteil unter den Schreibenden vor 15 Jahren noch bei 30 Prozent, so sind es im neuen Buch fast 60 Prozent.

Grüne Frauen von Anfang an überdurchschnittlich gut gewählt
Ähnlich hoch also, wie der Frauenanteil bei den Grünen nach den Nationalratswahlen 2019 lag. Das kommt nicht von ungefähr: Denn wie Gesine Fuchs analysiert, waren gleichstellungspolitische Anliegen für die Grünen seit ihren Anfängen ein wesentliches Element. Die entsprechenden Forderungen fanden früh Eingang ins grüne Parteiprogramm. Kein Wunder, stellte die Partei schon bald nach ihrer Gründung überdurchschnittlich viele Kandidatinnen auf, was von den grünen Wählerinnen und Wählern auch erwartet wurde – und grüne Frauen wurden von Anfang an überdurchschnittlich gut gewählt.

Entgegen einstiger Spekulationen seien die Grünen als Partei, die im Mai 1983 gegründet wurde, kein Generationenprojekt der Alt-Achtundsechziger geblieben, schreiben Herausgeberin und Herausgeber: «Die Grünen werden nämlich überdurchschnittlich stark von einer jüngeren Wählerschaft unterstützt, gleichzeitig blieben ihnen aber auch ihre mittlerweile etwas älter gewordenen Wählerinnen und Wähler aus den Anfängen treu.»

Gut ausgebildete Wählerinnen und Wähler
Charakteristisch für die Wählenden sei ihr überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau. Sie gehörten häufig zur neuen, gut ausgebildeten, lohnabhängigen Mittelschicht und seien im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen, im Medien- oder Kulturbereich tätig. Pascal Sciarini und Adrien Petitpas zeigen ferner auf, dass die typischen Eigenschaften der grünen Wählerinnen und Wähler weitgehend auf diejenigen der SP zutreffen: «So besteht bereits seit Jahrzehnten zwischen den beiden Parteien ein starkes Konkurrenzverhältnis, denn hier finden die grössten Verschiebungen zwischen Stimmen statt: Der Wahlerfolg der Grünen ging häufig auf Kosten der SP und umgekehrt.»

Konkurrenz zur SP und den Grünliberalen
Auch eine andere Partei ist seit dem letzten Buch verstärkt in Konkurrenz zu den Grünen getreten: die Grünliberalen, deren Wahlbasis soziodemografisch jener der Grünen sehr ähnlich ist. «Allerdings stehen die Wählerinnen und Wähler der Grünen deutlich mehr links, befürworten mehr Staatsinterventionen in die Wirtschaft und sind umweltfreundlicher eingestellt als diejenigen der Grünliberalen», schreiben die Wissenschaftler.

Alles in allem lohnt sich das Update 40 Jahre nach der Gründung der Grünen Schweiz. Anhand der verschiedenen Beiträge, die ein breites Spektrum abdecken – so wird auch die Positionierung der Grünen in der Romandie und im Tessin diskutiert –, lässt sich die Partei viel besser einordnen. Ein zentrales Buch für alle Politprofis in der Schweiz.

Sarah Bütikofer, Werner Seitz (Hrsg.): «Die Grünen in der Schweiz: Entwicklung – Wirken – Perspektiven», Seismo 2023, 227 S., Fr. 38.-.

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