Der Krieg des russischen Machthabers Vladimir Putin gegen die Ukraine hat die Welt für immer verändert – und das Gleichgewicht in Zentralasien verschoben. (Foto: Shutterstock )

Zentralasien funkelt heute wieder als strategisches Juwel. Die grossen Drei – Russland, China und die USA –, aber auch einige kleinere Akteure kämpfen um Einfluss in dieser Grossregion. So wie schon im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, als das russische und das britische Imperium um diesen Raum wetteiferten, der vom Kaspischen Meer bis zum Pamir-Gebirge reicht sowie im Süden an Afghanistan und im Norden an Sibirien grenzt. Damals war Zentralasien Herzstück im sogenannten «grossen Spiel». Doch warum kommt es ausgerechnet jetzt zu einer Neuauflage dieses «Spiels»?

Die chinesischen Ambitionen, als Weltmacht Einfluss über Asien hinaus auszuüben, haben die Konkurrenz um den Einfluss in Zentralasien neu lanciert. Die gesamte Region – insbesondere Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan – ist reich an Erdöl-, Erdgas-, Uran- und anderen wichtigen Mineralienvorkommen. Seit dem Sturz der von den USA unterstützten Republik im benachbarten Afghanistan und der Rückkehr der Taliban im Jahr 2021 sind die Satellitenstaaten der ehemaligen Sowjetunion zum Bollwerk des Westens gegen Terrorismus und Dschihad geworden.

Schweiz lobte die chinesische Initiative 
Auf dieser Region lasten Chinas Ambitionen aber auch wegen der neuen Umschlagrouten für chinesische Industrieprodukte nach Europa. Zur Erinnerung: Peking plante mit seiner «Belt and Road»-Initiative riesige Investitionen in die Transport- und Handelsinfrastruktur. Klar, dass man diese Pläne auch schon in den Kontext einer neuen Seidenstrasse gestellt hat. Das fand unter anderem auch den Gefallen des Schweizer Bundesrats. So reiste der damalige Schweizer Bundespräsident Ueli Maurer im April 2019 extra nach Peking und verteidigte in der «NZZ» vor Beginn des «Seidenstrassen»-Gipfels das umstrittene Mega-Projekt der Chinesen. Die Milliardeninvestitionen in Infrastrukturen um den Globus, so der Schweizer Finanzminister, schafften Arbeit und Sicherheit. Wo Wohlstand entstehe, gebe es weniger Krieg.

Die Chinesen konnten den Krieg in der Ukraine nicht verhindern und sind nun mit neuen Problemen konfrontiert. Russlands Einfluss auf die zentralasiatische Öffentlichkeit ist geschwächt, denn der russische Angriff auf die Ukraine hat viele zentralasiatische Bürgerinnen und Bürger – wenn nicht sogar ihre Regierungen – gegen Moskau aufgebracht. Und viele dieser unruhigen Bevölkerungsgruppen verlangen nach Freiheiten, die weder in Russland noch in China respektiert werden, die aber von den Vereinigten Staaten als Nebenprodukt der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in Aussicht gestellt werden.

Der Russlandexperte Mark Galeotti schrieb kürzlich, dass Russland für die zentralasiatischen Staaten lange Zeit eine wichtige Rolle als Vollstrecker gespielt habe, aber diese Rolle sei inzwischen erodiert: «Jetzt herrscht der Eindruck vor, dass Moskau diese Art von Garantien nicht mehr bieten kann oder will, so dass sich die Zentralasiaten anderweitig umsehen müssen.»

Zentralasien geht auf Distanz zu Moskau 
Dieser Umstand hat zu einem heiklen Balanceakt geführt, bei dem einige zentralasiatische Staaten Russlands Krieg in der Ukraine kritisch gegenüberstehen und westliche Sanktionen unterstützen, aber auch weiterhin enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland fördern. Raffaello Pantucci, ein Senior Fellow an der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur, sagt dazu: «Es ist klar, dass sie in der Öffentlichkeit versuchen werden, ein wenig Abstand zu zeigen, aber hinter den Kulissen erkennen sie weiterhin die Bedeutung der Beziehungen zu Moskau.» Und: «Sie alle haben das grosse Problem, dass im eigenen Land grosse Teile der Bevölkerung gegen den Krieg in der Ukraine sind, und das hat die Stimmung gegenüber Moskau deutlich verschlechtert. Aber gleichzeitig ist Russland ein wichtiger Partner.»

Wenn Russland bei der Aufrechterhaltung seines früheren Einflusses mit Gegenwind zu kämpfen hat, könnte Chinas Herausforderung im eigenen Erfolg liegen. Ein Jahrzehnt lang wurde China durch seine Investitionen im Rahmen der «Belt and Road»-Initiative (BRI), insbesondere in den Bereichen Energie und Infrastruktur, zum grössten Investor Zentralasiens. Das wiederum führte zur Sorge, dass Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan in eine zu grosse Abhängigkeit von Peking geraten könnten.

Sherzod Shamiev, Forscher am Zentrum für soziologische Forschung in Tadschikistan, sagte, mit den Bedingungen für BRI-Infrastrukturkredite seien absurde Bedingungen Chinas verknüpft: So müssten die Länder die «Ein-China-Politik» übernehmen, die auf die Ablehnung der taiwanesischen Unabhängigkeit abziele sowie jegliche Aussagen kontern, dass Chinas muslimische Uiguren verfolge. Zudem müsse man bei der Abschiebung von Dissidenten nach China mitwirken und China möglicherweise im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstützen. Shamiev warnte davor, dass ein Versäumnis, die Investitionsquellen zu diversifizieren, zu einer «Lock-in»-Situation führen könnte, in der anfällige Staaten so sehr von China abhängig würden, dass sie nicht mehr diversifizieren könnten, selbst wenn sie wollten.

Schweiz leistet Aufbauarbeit 
Kirgisistan und Tadschikistan sind Schwerpunktländer der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit. In beiden Ländern wie auch in Usbekistan setzt sich die Schweiz in den Bereichen Wasser, Gouvernanz und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ein. Sie fördert Massnahmen zur Abfederung der Folgen des Klimawandels und unterstützt die regionale Zusammenarbeit mit substanziellen Summen: So flossen zwischen 2020 und 2022 jeweils mehr als 50 Millionen Franken in die weltpolitisch umstrittene Region, beispielsweise dafür, dass die Bevölkerung der drei Staaten an öffentlichen Entscheidungen beteiligt wird, ihre Rechte kennt und ihre Meinung äussern kann. Zudem unterstützt die Schweiz Lokalbehörden dabei, ihre Arbeit effektiver und transparenter zu gestalten, und setzt sich für ethnische Minderheiten und andere besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen ein.

Da die zentralasiatischen Staaten immer deutlicher machen, dass sie eine Diversifizierung, insbesondere in Richtung Westen, bevorzugen, meiden die führenden Politiker Zusammenkünfte, bei denen sie dem russischen Autokraten Vladimir Putin begegnen könnten. Kirgisistan hat im Oktober letzten Jahres Militärübungen der von Russland dominierten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit abgesagt, die auf kirgisischem Territorium hätte stattfinden sollen.

Putins Unbeliebtheit und das Misstrauen gegenüber Chinas Motiven könnten den amerikanischen Bemühungen um Zentralasien eine weitere Chance geben. Asienspezialist Pantucci sagte, die Vereinigten Staaten sollten weiterhin auf ein stärkeres Engagement drängen, aber ihre Erwartungen dämpfen: Immerhin habe der Rückzug aus Afghanistan im Jahr 2021 die Ansicht in der Region bestätigt, dass Amerika ein wankelmütiger Partner sein könne. Für ihn ist klar: «Ein geeintes Zentralasien, das in der Lage ist, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, wird die Antwort sein, und nicht eine Region, die sich gegen Moskau oder Peking entscheidet. Diese beiden Mächte sind geografische Realitäten, denen sie niemals entkommen können.»

Kein Wunder, ist noch lange nicht klar, wie die Neuauflage des «grossen Spiels» ausgehen wird, wenn die Vereinigten Staaten an der Bruchstelle zwischen Ost und West sowie Nord und Süd in die Bresche springen wollen.

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