«Die Schweizer Politik ist gesäumt von Wegsteinen verpasster Chancen»

Der ehemalige CVP-Ständeratspräsident Bruno Frick erklärt, wieso es mit der Solarenergie so lange dauert und weshalb er für die Liberalisierung von Cannabis kämpfte.

Bruno Frick vertrat von 1991 bis 2011 den Kanton Schwyz im Ständerat. (Foto: zvg)

Warum setzten Sie als CVP-Ständerat schon vor 30 Jahren auf die Solarenergie und stellten sich gegen die damalige Haltung Ihrer Partei?  

Bruno Frick: Weil die Solarenergie die ertragreichste und langfristigste Energiequelle ist und auch kostenmässig Vorteile bietet, wenn sie gut genutzt wird. Diese Erkenntnis war damals noch nicht verbreitet.

Wurden Sie deswegen in den eigenen Reihen angefeindet? 

Frick: Ich war Gründungspräsident von Swissolar und habe nach meiner Überzeugung politisiert. Gegenwind gibt es in der Politik ständig – wer ihn scheut, soll die Hände von der Politik lassen. Ich hatte damit nie Mühe.

Die von Ihnen mitlancierte Initiative für einen Solar-Rappen hatte einst im Parlament keine Chance, jetzt hat eben dieses Parlament eine Solaroffensive aufgegleist. 

Frick: Der Weg zum politischen Ziel ist nie eine Gerade, sondern eine lange Serpentine. Gute politische Ideen sind selten im ersten Anlauf erfolgreich, sondern erst im zweiten, dritten oder vielleicht sogar erst im vierten Anlauf, wie im Fall der Solarenergie. Wichtig ist aber, dass wir schliesslich das Ziel erreichen – nicht als Eintagsfliege, sondern als Ergebnis langer, beharrlicher Arbeit.

Angestossen wurde die jetzige Lösung mit den Solaranlagen in den Alpen von einem Mitte- und einem FDP-Ständerat. Erinnert Sie das daran, wie Sie vor einem Vierteljahrhundert zusammen mit FDP-Nationalrat Marc Suter für die Solarenergie kämpften?    

Frick: Lösungen in Bern sind meist erfolgreich, wenn sie aus der politischen Mitte kommen und von mehreren Parteien getragen werden. Es war schon immer die Stärke der heutigen Mittepartei, dass sie tragfähige Lösungen suchte, im Gegensatz zu den Vorschlägen von einem der beiden Pole, sei es der linke oder der rechte. Das zeigt sich auch heute wieder. Aber eben: Es muss reifen.

Am Ende entscheidet das Volk. Wie kommt die Solaroffensive bei der konservativen Landbevölkerung an?  

Frick: Jede neue Lösung in der Energiepolitik ist teurer als die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Denn selber etwas zu schaffen, kostet immer mehr, als die Natur zu plündern. In den letzten 25 Jahren hat sich in der Bevölkerung das Bewusstsein durchgesetzt, auf erneuerbare Energien zu setzen – auf dem Land ebenso wie in den Städten. Der politische und der wirtschaftliche Rahmen aber sind noch nicht abgesteckt. Es ist zwar gut, Solarpanels in den Alpen aufzustellen, reicht aber bei weitem nicht.

Was braucht es sonst noch? 

Frick: Vor allem ein geeignetes Elektrizitätsnetz. Unser Netz ist nicht gebaut, um Solarenergie aus vielen Quellen einzuspeisen, sondern um Energie aus einigen wenigen, grossen Quellen zu verteilen. Das muss man noch nachholen – was zwar teuer ist, aber unbedingt nötig.

Profitieren auch die Berggebiete? 

Frick: Der Bau grosser Solaranlagen in den Alpen folgt der gleichen Einsicht wie die Stärkung der Wasserkraft. Insofern besteht eine Parallele zur Berg- und Randgebietspolitik. Was auch noch fehlt, ist der Ausbau der Wasserkraft, um die Speicherkapazität zu erhöhen. Um die Energiewende zu schaffen, ist ein breiter Mix von Massnahmen nötig. Bloss Solarpanels oder Windräder in die Landschaft zu stellen, reicht nicht. Das ist nur eine von vielen Massnahmen, wenn auch eine unabdingbare.

Spüren Sie Genugtuung, wenn Sie sehen, dass die Entwicklung in jene Richtung geht, die Sie vor langer Zeit angedacht hatten? 

Frick: Das gibt mir schon eine gewisse Befriedigung. Ich würde aber nicht von Genugtuung sprechen. Es ist nicht so, dass ich im Nachhinein persönlich Recht bekommen hätte. Die Zeit ist jetzt einfach reif, damals war sie es noch nicht.

Auch in der Drogenpolitik waren Sie Ihrer Zeit voraus. Beinahe hätte die Schweiz vor 20 Jahren als erstes Land den Konsum von Cannabis entkriminalisiert. Die Initiative kam aus dem Ständerat, Sie waren einer der vehementesten Befürworter. Warum?  

Frick: Um zu einer guten Lösung zu kommen, gibt es frei nach Konfuzius drei Wege. Der schwierigste ist nachzudenken. Der einfachste ist die Nachahmung und der bitterste die Erfahrung. Der Ständerat hatte vor 20 Jahren nach gründlichem Nachdenken und Abwägen aller Argumente verlangt, dass Cannabis in einer Apotheke kontrolliert gekauft werden kann. Der Nationalrat hat das aus einer diffusen Mischung von Ängsten heraus beerdigt. Mütter im Nationalrat beklagten, ihre Kinder würden mit Drogen überschüttet. Doch gute Gründe sprachen dafür.

Welche? 

Frick: Cannabis ist eine leichte Droge – vergleichbar mit Alkohol, aber im normalen Konsum weniger schädlich. Die Auswirkungen von Alkohol in der Gesellschaft sind derart gravierend, dass Cannabis, selbst wenn es regelmässig in breiteren Kreisen konsumiert würde, weniger schädlich wäre. Weil der Konsum verboten ist, sind die Jugendlichen weiterhin Drogenhändlern ausgesetzt, die in der linken Hosentasche Cannabis und in der rechten Hosentasche harte Drogen haben. Noch immer drängen wir Jugendliche, die ein relativ ungefährliches Mittel konsumieren, auf einen Markt, wo harte Drogen verkauft werden. Mit Cannabis ist es wie mit Alkohol und Nikotin: Im Übermass wird es zum Gift.

Weltweit setzt sich diese Einsicht jetzt durch, ein Land ums andere liberalisiert die Gesetze. Hat die Schweiz da etwas verpasst? 

Frick: Selbstverständlich. Die Schweiz ist grossmehrheitlich ein wertkonservatives Land, ich selber bin es auch. Das darf uns aber nicht am Denken hindern. Was wir jetzt erleben, ist eine Mischform von Nachahmung und bitterer Erfahrung. Wir sind 20 Jahre zu spät. Aber besser spät als gar nicht.

1991 ging die Schweiz noch voran, als sie das Vier-Säulen-Modell – die Kombination von Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression – einführte und den Heroinsüchtigen Methadon abzugeben begann. Dann verliess sie der Mut? 

Frick: Die kontrollierte Freigabe des Cannabis-Konsums wäre eine vergleichbare Pioniertat wie die Methadonabgabe gewesen. Aber die Schweizer Politik ist nun mal gesäumt von Wegsteinen verpasster Chancen.

Sie machen da nicht mehr mit? 

Frick: Ich habe 20 Jahre auf dem Platz mitgespielt – leidenschaftlich und erfolgreich. Meine Zeit ist vorbei. Ich gehe zwar an manchen politischen Match, mische mich aber nicht ein, sitze als Zuschauer auf der Tribüne. Da sollte man sich mit Ratschlägen zurückhalten. Wenn alte Politcracks sich immer noch ins Tagesgeschäft einmischen und glauben, sie könnten damit etwas ändern, muss ich jeweils schmunzeln. Das gelingt Ehemaligen sehr selten. Es freut einen aber schon, wenn das, was man vor Langem angestossen hat, heute endlich verwirklicht wird.

Gibt es noch Figuren im Ständerat, die es wagen, von der Parteilinie abzuweichen und Positionen zu vertreten, die erst Jahrzehnte später mehrheitsfähig werden? 

Frick: Die hat es schon immer gegeben und gibt es auch jetzt noch. Ich möchte nicht einzelne Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegenüber anderen herausheben und loben. Es ist aber eine Qualität der Politik im Ständerat, eine eigenständige Meinung zu haben und diese auch zu vertreten. Oft geht man in die Ratsdebatte, um andere zu überzeugen, und in der Debatte eine Lösung zu erkämpfen, nicht nur, um eine Fraktionsmeinung zu deklamieren. Die Ratsdebatte sollte auch der Meinungsbildung dienen.

Wie gestalten Sie heute ihre Zeit? 

Frick: In ganz kleinem Mass erledige ich noch meine beruflichen Aufgaben als Rechtsanwalt und Notar. Daneben versuche ich, mich zu bewegen – mit Wandern, Langlaufen oder Velofahren. Sonst verbringe ich meine Zeit mit Reisen, Lesen, Nachdenken und die Welt Beobachten. Gelegentlich lebe ich ein paar Monate lang im Ausland, etwa wiederholt in Wien oder demnächst in Italien.

Bruno Frick (69) ist in Uznach im Kanton St. Gallen aufgewachsen, lebt aber seit der Schulzeit in Einsiedeln. 20 Jahre lang vertrat er den Kanton Schwyz im Ständerat, den er 2005 präsidierte. Der CVP-Politiker und Vater eines erwachsenen Sohnes war Mitinitiant der im Herbst 2000 verworfenen Solarinitiative und dezidierter Befürworter einer Strafbefreiung des Cannabis-Konsums. Nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament 2011 gehörte Frick unter anderem dem Verwaltungsrat der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma an.

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