«Das Herzblut macht den Unterschied aus»

Bauernverbandsdirektor Martin Rufer zur geballten Macht des Bauernstandes: Das Handwerk zu beherrschen, reiche nicht aus.

Im April 2023 wird Bauernsohn und Agromom Martin Rufer schon drei Jahre als Direktor an der Spitze des Schweizer Bauernverbandes stehen. In dieser Zeit hat der Lobbyverband seinen Einfluss in Bern nochmals kräftig ausgebaut. (Foto: zvg)

Martin Rufer, was ist für Sie Macht*?  

Martin Rufer: Macht ist die Möglichkeit, aktiv und prägend mitzugestalten und auch wirklich in der Lage zu sein, etwas zu bewegen.

Sind Sie deshalb Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes SBV geworden?  

Rufer: Es ist mein Naturell, dass ich gerne aktiv mitgestalte und etwas bewege. Meine Aufgabe beim Bauernverband gibt mir diese Möglichkeit, deshalb mache ich es gern.

Nahezu der halbe Bundesrat hat einen landwirtschaftlichen Hintergrund: Guy Parmelin war Winzer, Albert Rösti hat Agronomie studiert und Elisabeth Baume-Schneider ist Bauerntochter und hält Schwarznasenschafe. Woher kommt diese geballte Macht des Bauernstandes? 

Rufer: Politisch ist die Landwirtschaft gut aufgestellt und breit verankert. Auch in der Gesellschaft wird sie grossenteils immer noch sehr positiv wahrgenommen. Das hat auch damit zu tun, dass man die Aktivitäten der Landwirtschaft sieht und Essen etwas Emotionales ist, was alle betrifft. Das ist der Grund, warum Landwirtschaft so interessiert. Das Interesse an der Landwirtschaft ist für uns eine grosse Chance.

Baume-Schneider wurde gewählt, weil die Bauern hinter ihr standen – sonst hätte die Städterin Eva Herzog das Rennen gemacht. Wie fühlen Sie sich als Königinnenmacher? 

Rufer: Wir sind zufrieden mit der Wahl. Ich möchte aber betonen, dass Elisabeth Baume-Schneider von der SP nominiert wurde. Viele andere sind daher sicher auch zufrieden.

Bei Hansjörg Walter, dem damaligen Bauernpräsidenten, war das anders. Er hat unter Tränen verzichtet, als er vor 14 Jahren beinahe anstelle von Ueli Mauer gewählt worden wäre. 

Rufer: Er war Sprengkandidat, wie das damals regelmässig der Fall war. Es war eine sehr emotionale Wahl, an die ich mich noch gut erinnern kann. Gegenwärtig respektiert das Parlament die Nominationen der Parteien wieder. Das ist im Sinne einer stabilen und funktionierenden Regierung.

Die Bauern jammern nicht nur, sondern erreichen auch ihre politischen Ziele und bodigen Initiative um Initiative, von Trinkwasser über Pestizide bis zur Massentierhaltung. Was ist Ihr Erfolgsrezept? 

Rufer: Vieles hat mit Handwerk zu tun: Es braucht gute Argumente, eine gute Kommunikation und eine gute Organisation. Der Bauernverband beherrscht das Handwerk sehr gut. Das reicht aber nicht. Was bei uns den Unterschied ausmacht, ist das Herzblut, mit dem wir bei der Sache sind. Das macht es aus, dass wir mehr Erfolg haben als andere.

Ist das der Grund, warum der Bauernverband neuerdings mit den Wirtschaftsverbänden am gleichen Tisch sitzt?  

Rufer: Der Grund für die Zusammenarbeit liegt darin, dass wir festgestellt haben, dass es schwieriger wird, im Parlament Mehrheiten zu finden, vor allem im Nationalrat. Wir haben zudem gemerkt, dass wir in 90 Prozent der Fälle mit den Wirtschaftsverbänden einig sind.

War das vorher anders?

Rufer: Eine Zeit lang war die politische Ausgangslage so, dass es sich Wirtschaft und Landwirtschaft leisten konnten, nicht zusammenzuarbeiten. Trotzdem fanden sie im Parlament Mehrheiten. Seit dieser Legislatur ist das nicht mehr so. Deshalb braucht es die Zusammenarbeit und wir richten den Fokus auf die Gemeinsamkeiten, statt auf die Differenzen. So können wir Erfolg haben.

Seit den Bundesratswahlen ist der Stadt-Land-Graben ein grosses Thema. Was heisst das für den Bauernverband? 

Rufer: Interessanterweise kam das Thema im Zusammenhang mit dem Bundesrat erst nach den Wahlen aufs Tapet, vorher war es kaum eines. Die Kreise, die das jetzt kritisieren, hätten es in der Hand gehabt, jemand anderen zu nominieren oder zu wählen. Es ist eine etwas polemische Diskussion. Man darf den Stadt-Land-Graben aber nicht überbewerten. Es ist primär ein Graben zwischen politischen Haltungen.

Sehen Sie keine zunehmende Entfremdung zwischen Stadt und Land? 

Rufer: Wir merken schon, dass das Verständnis für das Land in der Stadt am Schwinden ist. Die Menschen verstehen immer weniger, warum die Landwirtschaft so produziert, wie sie es tut. Deshalb wollen wir mit unserer Kommunikation direkt in die Städte gehen. Die Leute in den Städten sind auch unsere Konsumentinnen und Konsumenten.

Wo die Kinder glauben, Milch wachse im Supermarkt? 

Rufer: Es sind nicht nur die Kinder. Auch viele Erwachsene wissen nicht, wie Landwirtschaft funktioniert, dass es  – ob Bio oder konventionell  – Dünger braucht, wie Tiere gehalten werden, wie Milch produziert wird. Da herrschen teils Vorstellungen weit weg von der Realität – dass zum Beispiel ein Huhn loszieht, um in der Stadt ein Ei zu legen, wie es die Werbung suggeriert. Das gibt ein total romantisiertes Bild.

Andere wiederum glauben, Tiere würden nur in Massen und unter Qualen gehalten. 

Rufer: Ja, es kann auf beide Seiten gehen. Das Bild der Menschen von der Landwirtschaft ist oft nicht realistisch, sondern verzerrt. Für uns ist es wichtig, aufzeigen zu können, was die Landwirtschaft tut und warum sie es tut, damit die Menschen das auch verstehen.

Wie wollen Sie das erreichen? 

Rufer: Wir haben ein neues Konzept unter dem Titel «Mit em Buurehof id Stadt». Was wir bis jetzt gemacht haben, waren nationale Tage der offenen Hoftür. Die Leute wurden eingeladen, auf das Land in die Betriebe zu kommen. Jetzt sehen wir: Es reicht nicht, dass die Städterinnen und Städter zu uns kommen. Wir müssen in die Stadt gehen, etwa mit Ausstellungsmodulen und einem Food-Truck.

Die Diskussionen um die Agrarpolitik sind ruhiger als auch schon, der Ständerat hat soeben eine Minireform der Agrarpolitik durchgewinkt. Woran liegt das?  

Rufer: Die Vorlage war unbestritten, nachdem der Bundesrat Korrekturen vorgenommen hatte. Er ist inzwischen mit uns der Meinung, es brauche künftig eine Landwirtschaftspolitik, die nicht mehr einzig und allein auf die Betriebe fokussiert und denen Vorschriften macht, sondern eine, die bis zu den Konsumentinnen und Konsumenten reicht, von der Produktion bis zur Ernährung. Das ist ein anderes Konzept. Wir haben schon lange gefordert, dass wir wegkommen von einer auf Mikromanagement in der Landwirtschaft ausgerichtete Agrarpolitik. Stattdessen muss die ganze Wertschöpfungskette einbezogen werden.

Nicht einbezogen ist das andere grosse Thema neben dem Stadt-Land-Graben, die Biodiversität.  

Rufer: Nein. Das Thema ist in der Landwirtschaft aber sehr relevant. Bei den Landwirtschaftsbetrieben sind durchschnittlich 20 Prozent der Fläche für Biodiversität reserviert. Wir haben da viel vorzuweisen. Man kann nicht sagen, die Landwirtschaft mache nichts.

Die Umweltverbände sagen aber, es müsse mehr sein.  

Rufer: Ja, so lautet ihre Forderung. Wir können auf den bestehenden Flächen sicherlich die Qualität der Biodiversität erhöhen. Eine weitere Flächenausdehnung macht aber kaum Sinn. Denn wir haben auch den Auftrag, Lebensmittel zu produzieren. Die Produktion zu schwächen und gleichzeitig immer mehr Lebensmittel zu importieren, kann nicht die Lösung sein.

Wie muss man sich den Alltag des Bauernverbandsdirektors vorstellen: Eher im Büro oder draussen auf der Scholle?  

Rufer: Ich habe sehr viele Sitzungen und Diskussionen, intern ebenso wie extern. Es ist ein Job, der nicht draussen auf dem Feld stattfindet, sondern in Sitzungszimmern und Büroräumen, oder unterwegs im Zug.

Wie gross ist das Sekretariat, das Sie führen? 

Rufen: Der Bauernverband hat gut 120 Angestellte, von denen der grösste Teil Dienstleistungen erbringt. Das heisst, die Leute machen Buchhaltung, juristische Begleitung oder bearbeiten Raumplanungsthemen. Neben der Politik ist auch die Interessensvertretung im Markt wichtig. Vier von fünf Franken, die ein Landwirtschaftsbetrieb verdient, kommen aus dem Markterlös, der fünfte Franken von den Direktzahlungen. Gute Produzentenpreise sind für uns folglich essenziell, dort engagieren wir uns sehr stark.

Wie lang sind Ihre Arbeitstage – schaffen Sie das in acht Stunden? 

Rufer: Die Tage sind recht lang. Dazu kommt die Präsenz an den Versammlungen der Mitgliedorganisationen, die auch abends stattfinden. Das ist mir wichtig, weil man dort direkt hört, wo bei den Bäuerinnen und Bauern der Schuh drückt. Es ist also kein 9-to-5-Job, den ich habe.

Was war und ist Ihr Antrieb? 

Rufer: Ich komme ursprünglich aus der Landwirtschaft und halte sie zusammen mit der Ernährungswirtschaft für eine Zukunftsbranche. Landwirtschaft zu betreiben und Lebensmittel zu produzieren, ist zudem etwas sehr Sinnhaftes, da engagiere ich mich sehr gern. Und es freut mich sehr, dass wir ein Wirtschaftszweig sind, der seit vielen Jahren steigende Lernendenzahlen hat, während anderswo händeringend um Lernende gekämpft wird. Nicht nur junge Menschen, die auf einem Hof aufgewachsen sind, glauben an die Zukunft der Branche.

Sie leiten den Bauernverband seit zweieinhalb Jahren. Ihr legendärer Vor-Vorgänger Ernst Laur, der die Bauern vor dem zweiten Weltkrieg zu einem Wirtschaftsfaktor machte, war 40 Jahre im Amt. Ist das auch Ihr Ziel?  

Rufer: So lange dürfte für mich schwierig werden. Ich sehe mich aber noch Jahre in dieser Position, weil es mir sehr viel Freude macht, noch viel zu tun ist und wir mit einem hervorragenden Team unterwegs sind. Für mich ist es eine Herzensangelegenheit.

Sie sind zugleich im Solothurner Kantonsparlament politisch aktiv. Ihr Vorgänger Jacques Bourgeois ist Nationalrat. Ist das auch Ihr Ziel?    

Rufer: Im Hinblick auf die Wahlen vom kommenden Jahr ist eine Kandidatur wahrscheinlich. Die Nominationen sind aber noch nicht entschieden.

Wer darf Ihnen privat widersprechen? 

Rufer: Meine Familie widerspricht mir oft. Das ist auch Ausdruck eines lebendigen Diskurses.

Was machen Sie in der Freizeit: Gemüse anbauen oder Schwarznasenschafe halten? 

Rufer: In der Freizeit betreibe ich Sport. Ich spiele Korbball in einem klassischen Landturnverein und jogge gerne.

Martin Rufer (45) ist als Bauernsohn auf einem Hof in Lüsslingen im Kanton Solothurn aufgewachsen und hat an der ETH Agrarwissenschaften studiert. Nach kurzer Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH wechselte er zum Schweizer Bauernverband (SBV). Im April 2020 trat er die Nachfolge von Direktor Jacques Bourgeois an. Wie dieser gehört er der FDP an, für die er im Solothurner Kantonsrat politisiert. Rufer wohnt mit Frau und drei Kindern im Alter von 12 bis 17 Jahren auf dem elterlichen Hof, den er allerdings nicht selber bewirtschaftet, sondern das Land verpachtet hat.

*In der Schaltzentrale der Macht
Sie sitzen auf entscheidenden Positionen, aber selten im Rampenlicht: Generalsekretäre von Parteien oder eidgenössischen Departementen, Geschäftsführerinnen von Verbänden oder Direktoren von Nichtregierungsorganisationen. Braucht die Schweiz politische Lösungen, helfen sie diese zu entwickeln. In regelmässigen Abständen wollen wir im Gespräch die Schaltzentralen der Macht ausleuchten.

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