Twitter ist  für die Meinungsbildung nicht zu unterschätzen, nachvollziehbar wenn einige Twitterer die Übernahme des wichtigen Netzwerks durch einen libertären Milliardär beklagen. (Foto: Shutterstock)

Elon Musk hat also Twitter gekauft, eigentlich wollte er nicht, aber am Ende musste er, auch weil er es auf Twitter angekündigt hatte. Natürlich darf Musk Twitter kaufen – Twitter ist kein öffentlich-rechtliches Netzwerk, sondern eine Firma. Eine Firma, die seit ihrer Gründung kaum Gewinn macht. Was sich Elon Musk vom Kauf erhofft, wissen wir nicht. Es wird spekuliert, dass er vielleicht sogar eine Super-App bauen wolle, ähnlich derjenigen von WeChat, mit der die Chinesinnen und Chinesen nicht nur chatten, sondern auch Sachen kaufen und verkaufen, ja selbst Hypotheken aufnehmen können, und nicht nur Kommentare für alle zugänglich machen. Nur wegen möglicher Gewinne hat Musk Twitter bestimmt nicht übernommen, denn die blieben ja eben in den letzten Jahren aus. Was wiederum wahrscheinlich mit ein Grund dafür war, wieso er Twitter dann doch lieber nicht gekauft hätte.

Brexit, Bots und Trump
Twitter ist aber auch ein Netzwerk, das zwar nie die Nutzerzahlen von Facebook erreicht hat, aber dessen Meinungsmacht und Einfluss auf öffentliche Debatten bei weitem überragt. Laut der neuesten Studie des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög), welche sich mit der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg auseinandersetzt, spielen Tweets in 10 Prozent aller Artikel eine «zentrale Rolle». Twitter ist also für die Meinungsbildung nicht zu unterschätzen, und ich kann verstehen, dass es für einige Twitterer ein Skandal ist, dass die Geschicke eines solchen gesellschaftlich wichtigen Netzwerks nun von einem libertären Milliardär bestimmt werden.

Viele Twitterer sind wie ich fast seit den Anfängen der Plattform mit dabei. Wir haben schon einiges zusammen durchgemacht, haben uns für Twitter eingesetzt, haben es verteidigt, als russische Bots auftauchten, waren froh, als Facebook in dem Moment unter die Räder kam, als sich das Ja zum Brexit abzeichnete und als Trump gewählt wurde. Wir haben genau beobachtet, was bei den Präsidentschaftswahlen in den USA 2020 abging. Einige haben gejubelt, als Trumps Account gesperrt wurde. Dort mitzumachen, fühlte sich oft an wie Familie.

Aber Twitter ist eine Firma – und eine Firma hat nun mal andere Interessen, als eine Familie zu sein, oder wie Armin Nassehi zur Plattform schreibt: «Es ist nicht die Agora, auf der sich freie Internetbürger zum freien Gespräch treffen, um dort Meinungen, Stimmungen, Assoziationen, manchmal sogar Argumente auszutauschen und nicht zuletzt eigene Produkte zugänglich zu machen. Nein, dieses kostenlose Kommunikationsangebot wird mit Daten bezahlt.»

Ein neue Plattform als Rettung?
Mastodon, welches als dezentrales Netzwerk organisiert ist, löst vielleicht nostalgische Gefühle aus: Hier ist man wieder unter sich, das Ganze hat einen etwas nerdigen Beigeschmack, hat gar etwas Heimeliges. So war es auch zu Beginn auf Facebook und Twitter. Die Welt war in Ordnung, man fühlte sich von den anderen Userinnen und Usern bestätigt. Vor allem aber hatte die «andere» Meinung noch nicht Einzug gehalten. Damals waren Twitter und Facebook nur Netzwerke, wo man sich austauschen konnte. Die Firmen mussten keinen Umsatz erzielen. Das Internet fühlte sich zu Beginn allgemein so an – es war eine Art virtuelle Hippie-Kommune, in der alle für eine bessere Welt kämpften. Alles nur eine Illusion! Wie so oft frass die Revolution auch hier ihre eigenen Kinder. Beziehungsweise hielt die Realität bald Einzug in dieser virtuellen Welt.

Mastodon fühlt sich gut an, aber kaum jemand wie JournalistInnen, PolitikerInnen, KünstlerInnen, Twitterer wird für diese Alternative auf die Reichweite und vielleicht auch auf einen Teil seiner Familie verzichten wollen.

Auch wenn wir es oft nicht wahrhaben wollen, Social Media deckt heute die ganze Gesellschaft ab. Dazu gehören eben auch viele unangenehme Sachen, worüber man nichts lesen will, die aber dennoch in dieser Welt existieren. Ich frage mich immer, ob es wirklich besser wäre, wenn diese Meinungen im Verborgenen einfach so vor sich hin köcheln würden, mit der damit verbundenen Gefahr, dass sie aus dem Nichts auf einmal überkochen können. Oder ob es nicht besser ist, wenn wir sie sehen, sie verorten und dann auch in eine Debatte einbeziehen können?

Keine Frage, Social Media hat Schattenseiten, über die einseitig priorisierenden Algorithmen von Facebook, Instagram und TikTok muss diskutiert werden. Welche Auswirkungen sie vor allem auf Jugendliche haben können, darüber muss informiert werden. Automatisierte Propaganda-Bots müssen isoliert werden. Wer Fake-News verbreitet, darf aber nicht auch noch in Talkshows eingeladen werden. Und doch spiegelt Social Media das Bild unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Oft ist es kein schönes Bild. Aber wie Sartre schon sagte: «Vielleicht gibt es schönere Zeiten; aber diese ist die unsere.»

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