Die schwedischen Offiziere Michael Claesson und Zebulon Carlander sprechen davon, dass wir am Anfang der vierten industriellen Revolution stehen. Diese wirkt sich direkt auf die Landesverteidigung und die Kriegsführung von morgen aus. (Foto: Shutterstock)

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist in den letzten Tagen eskaliert. Der russische Präsident Vladimir Putin hat die Donbass-Republiken offiziell anerkannt, Truppen ins Separatistengebiet geschickt und die Ukraine angegriffen. Diese Entwicklung sollte auch der Schweiz zu denken geben. Wie gehen Kleinstaaten mit kriegerischen Drohlagen um? Sind sie in der Lage, ihre Grenzen gegen Aggressoren zu schützen?

In diesem Kontext gewinnt ein Buch von zwei schwedischen Offizieren, Michael Claesson und Zebulon Carlander, an Bedeutung. Sie haben vor allem Optionen in der zukünftigen Verteidigung ihres Heimatlandes Schweden diskutiert. Gleichzeitig haben sie die Integration neuer Technologien für die Verteidigung von Kleinstaaten analysiert. In einem Beitrag auf der US-Website warontherock.com haben sie kürzlich eine Zusammenfassung veröffentlicht.

Neue Kriege zeigen disruptive Kraft neuer Technologien

Für die beiden Autoren ist der Konflikt in Nagorno-Karabach 2020 ein Musterbeispiel, wie neue Technologien disruptiv wirken können: Als die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan zunehmen, werden aus kleinen Zusammenstössen bald Kampfhandlungen. Doch statt eines herkömmlichen Schlachtfelds, das von Kampfpanzern und Artillerie beherrscht wird, erweisen sich bewaffnete Drohnen bald als überraschend wirksame Waffe. Mit Hilfe von in der Türkei hergestellten Drohnen zerstören nämlich die aserbaidschanischen Streitkräfte zahlreiche feindliche Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, so dass die taktisch verunsicherte armenische Seite nicht mehr in der Lage ist, zu reagieren. Militäranalysten in aller Welt sind sich seither einig: Neue Technologien und Fähigkeiten werden die Ergebnisse auf dem modernen Schlachtfeld markant beeinflussen.

Vor diesem Hintergrund erhält der Umstand, dass die USA die Ukraine ab 2015 mit Aufklärungsdrohnen ausgesrüstet haben, und der osteuropäische Staat die gleichen Kampfdrohnen in der Türkei beschafft hat wie diejenigen der Aserbaidschaner, eine zusätzliche Bedeutung. Russland sieht diese Drohnen-Aufrüstung nur ungern, vor allem weil die Urkainer im Oktober im Donbass damit erstmals eine Artilleriestellung der russisch unterstützten Freischärler ausgeschaltet haben. Diese hatte zuvor zivile Ziele tief in der Ukraine beschossen. Für Russland ist klar: Die Drohnenaufrüstung verändert die Ausgangslage.

Im Zentrum der Analyse von Claesson und Carlander steht der Umstand, dass kleinere Staaten aufgrund von Ressourcenknappheit oft kreative und innovative Wege finden müssen, um Technologien einzusetzen, wenn sie Vorteile eines gut ausgerüsteten Gegners überwinden oder zumindest ausgleichen wollen. Kleinere Staaten können asymmetrische Vorteile erkennen, die grösseren Gegnern militärische Probleme bereiten könnten, wenn sie gut durchdachte Konzepte anwenden. Im Allgemeinen haben kleinere Staaten keinen Zugang zum gesamten Spektrum der neuesten Technologien. Um die operative Wirkung gegen einen grösseren Gegner zu maximieren, sollte der Einsatz militärischer Fähigkeiten, die auf neuen Technologien basieren, von intelligenten Taktiken und Methoden begleitet werden.

Die Zukunft des Krieges ist da

Aus Sicht der beiden Offiziere stehen wir nicht nur als Gesellschaft am Beginn der vierten industriellen Revolution, die durch die Verschmelzung von Technologien und Plattformen in Form eines «Systems von Systemen» gekennzeichnet ist. Neue Technologien symbolisieren diese Entwicklung und ermöglichen eine schnellere Datenübertragung durch verbesserte Mobilfunknetze (5G), vernetzte Komponenten (das Internet der Dinge), autonome Systeme, additive Fertigung (3D-Druck), Biotechnologie und KI, unterstützt durch maschinelles Lernen mit der Fähigkeit, grosse Datenmengen zu verarbeiten. Für die beiden Schweden ist darum klar: «Diese Entwicklungen und Umwälzungen könnten zu einer dramatischen und raschen Umgestaltung aller menschlichen Aktivitäten, einschliesslich militärischer Operationen, führen.»

Ein Leitfaden für Kleinstaaten – auch für die Schweiz

Aus der Sicht eines kleinen oder mittelgrossen Staates gibt es verschiedene Ansätze, die den Einsatz neuer Technologien beim Aufbau militärischer Fähigkeiten unterstützen können. Neue Technologien sollten schrittweise und auf der Grundlage bestehender Plattformen und Systeme eingeführt werden. Dies sei ein strukturierter Weg, um die operativen Fähigkeiten Schritt für Schritt zu erhöhen und gleichzeitig Wissen über die Nutzung neuer Technologien aufzubauen. Das so erworbene Wissen werde dann eine natürliche Grundlage für Entscheidungen über grössere technologische Umstellungen bilden, die einen umfassenderen Schritt zum Aufbau und zur Umsetzung neuer Fähigkeiten unterstützen. Dieser schrittweise Ansatz könnte auch den Aufbau von Vertrauen unterstützen, nicht nur unter den Entscheidungsträgern, sondern auch in der breiten Bevölkerung eines Landes.

Zivile Akteure – wie Innovationszentren, Universitäten, Forschungszentren und Unternehmen – treiben hauptsächlich die technologische Entwicklung voran und werden dies auch weiterhin tun. Das Tempo der Entwicklungszyklen ist bereits hoch und wird sich rasch weiter beschleunigen. Dies steht oft in krassem Gegensatz zu den Kulturen der staatlich kontrollierten Planungs- und Beschaffungsbürokratien, die in der Regel recht schwerfällig sind und nicht mit dem Tempo der strategischen oder operativen Relevanz Schritt halten können. Diese Situation erfordert neue Formen der Zusammenarbeit. Eine solche sollte versuchen, die bestmöglichen Bedingungen für alle Teile, Phasen und Aspekte der Technologieentwicklung zu schaffen. Dies würde jedoch auch voraussetzen, dass die staatlichen Akteure klare Strategien und methodische Unterstützung entwickeln, um eine rechtzeitige Entscheidung über die Fortsetzung verschiedener Projekte zu erleichtern. Letzteres ist von grosser Bedeutung.

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