Zwei Tage von zuhause aus, drei Tage im Büro: So werden wir in Zukunft auch nach der Pandemie arbeiten. (Foto: Shutterstock)

Zum Jahresende 2021 schrieb Nicholas (Nick) Bloom, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Stanford University, einen viel beachteten Meinungsbeitrag in der «Financial Times». Der Titel war einfach, aber aussagekräftig: «Es ist inzwischen ziemlich klar, dass sich das hybride Arbeiten durchsetzen wird». Der Forscher wagte sogar eine ziemlich eindeutige Prognose: «Im Jahr 2022 werden in einem typischen Unternehmen alle Mitarbeitenden drei Tage in der Woche im Büro sein, in der Regel von Dienstag bis Donnerstag, und montags und freitags von zu Hause aus arbeiten.» Homeoffice sei derart auf dem Vormarsch, dass sich hybride Arbeitsformen schnell durchsetzen würden.

In seinem Essay erzählte er, wie er aufgewachsen war: Seine Eltern arbeiteten nämlich beide von zu Hause aus, und er habe gespürt, dass dies eine grosse Chance für die Gesellschaft sei. Doch vor der Pandemie hätten das nur wenige Menschen ernst genommen. Häufig habe man Kommentare gehört wie «von zu Hause aus arbeiten, sich von zu Hause drücken» oder «aus der Ferne arbeiten, fern der Arbeit». Im März 2020 habe sich das schnell verändert: Die Pandemie habe wie eine Bombe eingeschlagen. Für Bloom ist klar: Der Arbeitsplatz von 2019 kommt nicht mehr zurück.

Drei Gruppen: Arbeiten je nach Ausbildung und Funktion

Die Firmen gehen jetzt rasch zu einer dreigeteilten Belegschaft über.

  • Schlecht Qualifizierte: Arbeiten an vorderster Front: Etwa 50 Prozent aller Angestellten werden vollständig vor Ort arbeiten. Es handelt sich dabei um Mitarbeitende an vorderster Front im Einzelhandel, in der Produktion, im Gesundheitswesen und im Dienstleistungssektor. Ihre Positionen sind in vielen Fällen schlechter bezahlt und verlangen keinen Hochschulabschluss. Diese Mitarbeitenden haben die Sache mit dem Arbeiten von zu Hause aus völlig verpasst und sind darüber oft wütend und verärgert. Nachdem sie während der Pandemie unter unangenehmen Bedingungen gearbeitet und ihre Gesundheit riskiert hatten, verpassen sie nun den postpandemischen Bonus des Homeoffice. Laut Bloom hätten ihm Manager aus allen Teilen der USA berichtet, dass sie als Ausgleich die Gehälter für die Mitarbeit in der ersten Reihe erhöht hätten und versuchten, die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten. Ihre Angestellten können nun zum Beispiel auf längere Arbeitstage umstellen, was zu Vier-Tage-Wochen führt.
  • Fach- und Führungskräfte: Drei Tage im Büro, zwei zu Hause: Eine zweite Gruppe von Arbeitnehmern, insgesamt laut Bloom etwa 40 Prozent, werden in einer Mischform arbeiten. In der Regel bedeutet dies drei Tage pro Woche im Büro und zwei Tage zu Hause. Bei dieser Gruppe handelt es sich in der Regel um Fach- und Führungskräfte mit Hochschulausbildung, die den persönlichen Kontakt brauchen, um produktiv zu sein und ihre Teams zu führen. Ihre Aufgaben lassen es aber zu, dass sie auch einige Tage pro Woche zu Hause verbringen, was für mehr Ruhe sorgt und den Arbeitsweg einspart.
  • Qualifizierte Dienstleistungen: Homeoffice. Die restlichen 10 Prozent der Beschäftigten werden gemäss Bloom weiterhin vollständig remote arbeiten. Meistens handelt es sich dabei um Mitarbeitende in qualifizierten Dienstleistungsbereichen wie IT-Support, Finanzen, Lohnbuchhaltung oder Redaktion. Sie haben während der gesamten Pandemie vollständig aus der Ferne gearbeitet, oft mit einem höheren Mass an Effizienz. Da ihre Aufgaben nicht die Leitung grosser Teams oder ständige Kreativität erfordern, können sie vollständig aus der Ferne arbeiten.

Längeres Pendeln wird attraktiver, wenn man es nicht mehr jeden Tag tun muss

Diese Aufteilung der Arbeitskräfte werde erhebliche Auswirkungen auf die Immobilienpreise und die Planung der Städte haben, prophezeit Bloom. Hybride Arbeitskräfte müssen nicht in den Stadtzentren wohnen, sondern können in den Vororten bleiben, da sie nur noch an zwei bis drei Tagen in der Woche pendeln müssen. Dies führt laut Bloom zu einem Doughnut-Effekt, bei dem sich die Zentren von Grossstädten wie New York und San Francisco entleeren, weil viele Arbeitnehmende in die Vororte abwandern. Insgesamt haben schon etwa 15 Prozent der Einwohner die Zentren der grossen US-Städte verlassen, um in den Vorstädten zu leben. Wer nur noch zwei bis drei Tage in der Woche am Arbeitsplatz sein muss, kann einen längeren Arbeitsweg in Kauf nehmen. Aufgrund der Immobilienpreise können sich diese Leute mehr Platz leisten und ein Heimbüro einrichten.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vollständig remote arbeiten können, werden sogar noch radikaler umziehen, erwartet der Stanford-Professor. Weit hinaus in ländliche Gebiete, in andere Staaten oder sogar ins Ausland. Diese ungebundenen Arbeitnehmenden bringen Geld und Arbeitsplätze mit sich, da sie vor Ort konsumieren und einkaufen. Die Pandemie, die Millionen von Arbeitnehmenden dauerhaft aus den Stadtzentren vertreibt, könnte sich als wirtschaftlicher Retter der ländlichen Regionen weltweit erweisen. Tatsächlich sind in den USA einige der am schnellsten wachsenden Gebiete die landschaftlich reizvolleren, ländlichen Teile des Landes, in die solche Arbeitnehmende dauerhaft umziehen.

Hybrides Arbeiten hat Auswirkungen auf die Büroplanung

Während die Einwohner die Stadtzentren verlassen, werden die Büros bleiben. Grosse Unternehmen wollen, dass die Hybridform ein paar Tage pro Woche mit intensiver sozialer, vernetzter und interaktiver Arbeit verbunden ist. Der typische Drei-Zwei-Plan sieht vor, dass die Mitarbeitenden montags und freitags zu Hause ruhige Tätigkeiten wie Lesen und Schreiben ausüben und dienstags, mittwochs und donnerstags ins Büro kommen, um an Sitzungen und Veranstaltungen teilzunehmen. Wenn der Chef möchte, sagt Bloom, dass seine Mitarbeitenden an drei Tagen in der Woche zusammenkommen, muss er Büros im Stadtzentrum bereitstellen, die leicht zu erreichen sind und attraktive Unterhaltungs- und Einkaufsmöglichkeiten bieten. Die Unternehmen machen diese attraktiver, indem sie die klassischen, isolierten Einzelbüros zugunsten von Besprechungsräumen, offenen Lounge-Sitzgelegenheiten und schallgedämmten Zoom-Kubussen aufgeben.

Die Pandemie hat auch der Innovation zur Unterstützung der Telearbeit einen Schub gegeben. Die Arbeit von zu Hause aus wird von fünf Prozent der voll bezahlten Arbeitstage vor der Pandemie auf etwa 25 Prozent nach der Pandemie ansteigen. Dies führt zu einem regelrechten Run von Technologieunternehmen, die nächste «Killer-App», das nächste Produkt oder die nächste Software zur Unterstützung der Heimarbeit zu entwickeln. In den letzten 10 Jahren gab es einige wichtige Innovationen, vor allem Videotelefonie-Anwendungen wie Zoom und Microsoft Teams, File-Sharing-Software wie Dropbox und Kommunikationsplattformen wie Slack. Diese Produkte haben unsere pandemische Erfahrung des Arbeitens von zu Hause aus revoulutioniert.

Im nächsten Jahrzehnt wird sich der Wandel noch schneller vollziehen, da die Unternehmen Milliarden von Dollar in die Entwicklung von Homeoffice-freundlichen Produkten stecken. Ob es sich dabei um virtuelle Realität, KI-gesteuerte Kameras oder holografische Projektionen handelt, das Arbeiten von zu Hause aus wird sich für diejenigen von uns, die das Glück haben, es zu geniessen, radikal verbessern.

Eines ist für Nick Bloom klar: Die Pandemie ist nur der Anfang der Revolution der Heimarbeit.

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