«Wir passen bei einer Prüfung extrem auf»
Michel Huissoud, Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle EFK, über die Macht der Transparenz – und die magischen Finger seiner Kontrolleure, die Geld sparen und heilen.
Michel Huissoud, Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle EFK, über die Macht der Transparenz – und die magischen Finger seiner Kontrolleure, die Geld sparen und heilen.
Michel Huissoud, was ist für Sie Macht*?
Michel Huissoud: Macht hat viel mit Kraft zu tun. Die zentrale Frage lautet aber eher, wozu Macht gebraucht wird. Wenn ich sie brauche, um die Welt besser zu machen, ist Macht gut – nicht aber, wenn ich sie missbrauche. Macht hat mit Wirksamkeit zu tun, damit, Dinge zu tun, die man als richtig empfindet. Ich habe keinerlei Vorbehalte gegenüber Macht, wenn sie gut eingesetzt wird.
Geniessen Sie es, als Direktor der EFK zu den Mächtigsten im Land zu gehören?
Huissoud: Es ist kein Genuss. Ich schätze aber, dass die EFK mächtig ist, weil es uns ermöglicht, wirksam und unabhängig zu sein, ohne Druck von irgendwelchen Lobbys oder Bundesstellen. Die EFK ist mächtig genug, um frei zu schreiben, was sie in ihren Prüfungen feststellt. Das ist gut so.
Nicht einmal der Bundesrat oder das Parlament können Ihnen etwas vorschreiben. Wie stellen Sie sicher, dass Sie diese Macht nicht missbrauchen?
Huissoud: Mit einer austarierten internen und externen Qualitätssicherung einschliesslich Peer Review. Wir wissen genau, dass wir unparteiisch sein müssen und eine geringe Fehlertoleranz haben. Deshalb gibt es zum Beispiel keine Prüfung, für die nur eine Person zuständig wäre – es sind immer mindestens drei Experten. Wir passen extrem auf.
Umgekehrt können Sie keine Befehle erteilen, nur Empfehlungen. Schränkt das die Macht ein?
Huissoud: Das ist unsere Rolle. Wir dürfen empfehlen, was wir für richtig halten, entscheiden können wir nichts. Würden wir entscheiden, hätten wir die Verantwortung für die Geschäftsführung anstelle der Regierung. Das dürfen und wollen wir nicht.
Die Macht der EFK besteht darin, dass sie Transparenz herstellt und mit den Fingern auf wunde Punkte zeigt?
Huissoud: Ja, mit magischen Fingern, die eine heilende Wirkung haben (schmunzelt).
Wozu braucht es die Finanzkontrolle?
Huissoud: Wir haben in der Schweiz viele Parteien, aber keine einzige, die sich bedingungslos für die Steuerzahlenden engagiert. Jede Partei hat ihre Wählerschaft, der gegenüber sie sehr grosszügig ist und bereit, die Augen vor Geldverschwendung zu schliessen. Wir sind die einzigen, die keinerlei Konzessionen machen und sämtliche Subventionen und Steuerbefreiungen auf mögliche Geldverschwendung hin prüfen – sei es für die Wirtschaft, für Umweltprojekte, für Sozialwerke oder für die Bauern. Unser Vorteil ist, niemanden schonen zu müssen. Über alle Parteigrenzen hinweg beschäftigen wir uns systematisch und bedingungslos damit, was mit dem Steuergeld geschieht.
Was bringt das der Steuerzahlerin?
Huissoud: Zunächst einmal das gute Gefühl, dass jemand schaut, was mit ihrem wohlverdienten Geld geschieht. Dann die Gewissheit, dass sich etwas verbessert. Das wirkt vertrauensbildend für den Staat. Das Schlimmste ist, wenn das Geld, das wir für die Steuern zahlen, von der Behörde verschwendet wird und sich niemand darum kümmert. Das führt zu einer Resignation, zum Gefühl, der Staat mache sowieso, was er wolle. Der Staat ist mächtig, und wir bilden einen Gegenpol, indem wir für Transparenz sorgen.
Und was bringt das den Steuerzahlern in Franken und Rappen?
Huissoud: Wir haben aufgehört, diese Erhebung vorzunehmen. Denn es gibt nicht nur das Geld, das wir für den Bund zurückbekommen haben wie die 220 Millionen Franken von der Swissair oder die 210 Millionen, die der brasilianische Rohstoffhandelskonzern Vale an Steuern nachzahlen musste. Es gibt auch Einsparungen, die schwierig zu beziffern sind. Etwa wenn wir empfehlen, auf ein Projekt zu verzichten oder effizienter und einfacher zu arbeiten. Ausserdem hat allein die Tatsache, dass es uns gibt, eine präventive Wirkung. Es passiert immer wieder, dass eine Einheit bereits ihre Praxis ändert, weil sie weiss, die nächste Prüfung kommt bestimmt, und sie will ein gutes Ergebnis erzielen. Trotzdem sind wir finanziell ehrgeizig: Unser Ziel ist, dass wir mindestens das Dreifache unserer Kosten zurückholen.
Schaffen Sie das?
Huissoud: Ja, für einen Franken, den das Parlament in die EFK investiert, kommen mindestens 3 Franken zurück. Bei einem Budget von aktuell gegen 30 Millionen für 130 Mitarbeitende holen wir mindestens 100 Millionen Franken pro Jahr zurück.
Auf welche Prüfung sind Sie besonders stolz?
Huissoud: Auf jene bei den Bundesunternehmen. Im Jahr 2016 war es Neuland, sie waren kaum je geprüft worden. Seitdem konnten wir bedeutende Erfolge erzielen bei der Ruag, der Post, bei Skyguide und bei den SBB. Zuversichtlich stimmen mich auch unsere Bemühungen im Bereich der IT und der digitalen Transformation. Da habe ich den Eindruck, dass sich nach Jahren des Stillstands endlich etwas bewegt. Die Bundesverwaltung kommt mir vor wie ein Tanker. Es braucht sehr viel Energie von allen, um eine Kursänderung zu bewirken. Aber langsam scheint es zu klappen.
Was belastet Sie am meisten?
Huissoud: Da sind wir wieder bei der Macht. Es gibt immer wieder Leute, die mächtig sind, weil sie seit Jahrzehnten an einer Stelle sind. Jahrzehntelang machen sie eine Sache immer komplizierter, bis sie am Ende die einzigen im Amt sind, die über das nötige Wissen und den nötigen Durchblick verfügen. Sie haben alles so komplex gemacht, dass man es fast nicht mehr vereinfachen kann. Jedes Mal, wenn wir sagen, das müsse doch einfacher gehen, sagen sie uns: Das ist nicht möglich, so machen wir es seit 60 Jahren, und es hat immer geklappt. Diese Schlüsselpersonen sind unersetzlich und blockieren jede Reform. Sogar ein Amtsdirektor kann nichts unternehmen, weil er von ihnen abhängig ist. Das ist für mich frustrierend. Es gibt aber noch etwas anderes, was mich immer wieder frustriert.
Was?
Huissoud: Die Ineffizienz und die Mehrkosten, die mit Föderalismus verbunden sind. Wir prüfen gerade das Grundbuch. Es ist unglaublich: In der Schweiz wird es in einigen Kantonen auf Gemeindeebene oder auf Bezirksebene geführt, nicht auf Kantonsebene. Wir haben Instrumente wie etwa Betreibungs- und Konkursregister, die nicht gut funktionieren. Aber niemand hat den Mut, sie zu reformieren, weil es in der Kompetenz der Kantone liegt und der Bund nicht die Kompetenz hat, es in Ordnung zu bringen. Damit verlieren wir viel Energie für Dinge, die eigentlich ganz einfach sein sollten.
Bedauern Sie, dass Ihre Kontrolleure von SRG, Suva und Nationalbank die magischen Finger lassen müssen?
Huissoud: Es gibt Motionen, die uns auch die Prüfkompetenz für SRG und Suva erteilen möchten. Wir freuen uns über diese parlamentarischen Vorstösse, die in die richtige Richtung gehen.
Wie ist es mit der Nationalbank?
Huissoud: In unserer Prüfung über die Widerstandsfähigkeit des Finanzmarktes Schweiz gegenüber Cyberattacken von Anfang Jahr haben wir darauf hingewiesen, dass das Clearingsystem zwischen den Banken seit langem ein schwaches Glied in der Kette des Finanzplatzes Schweiz ist. Dieses zentrale Stück des Finanzplatzes Schweiz wird nicht durch die Finma beaufsichtigt, sondern durch die SNB. Es bleibt eine Blackbox: Niemand kann von extern schauen, ob dieses Clearingsystem Hackern in einem kritischen Fall wirklich standhält. Wenn es nicht funktioniert, bricht in der Schweiz ein Chaos aus. Die SNB dürfen wir zwar nicht prüfen. Kurz nach unserer Prüfung haben wir aber erfahren, dass sie eine eigene Prüfung in Auftrag gegeben hat.
Sie schrecken selbst vor Kritik am Bundesrat nicht zurück. Kürzlich verurteilten Sie etwa die Vorgabe, dass Bundesbetriebe Gewinn machen müssen. Besonders beliebt macht Sie das in Bern nicht. Ist Ihnen das egal?
Huissoud: Wenn ich Freunde suchen möchte, würde ich auf Facebook gehen… In meiner Werteskala darf ich gute Beziehungen mit allen nicht höher platzieren als meine gesetzliche Aufgabe. Ich kann aber unterscheiden zwischen meiner Rolle und mir als Mensch. Als Mensch kann ich mit jemandem eine sehr gute Beziehung pflegen, diese Person aber in meiner Rolle als EFK-Direktor trotzdem öffentlich kritisieren.
Was macht ein EFK-Direktor den lieben langen Tag: Bücher prüfen?
Huissoud: Ein Teil besteht darin, Prüfprogramme und Berichtentwürfe zu lesen und sich um die Kommunikation zu kümmern. Ein anderer Teil ist zu helfen, wo es brennt. Wir haben viele offene Baustellen. Ich muss schauen, wo ein Problem besteht, und dafür sorgen, dass es in Ordnung kommt. Schliesslich muss ich dafür sorgen, dass wir die Richtung halten, die wir uns gegeben haben, und dass wir die nächsten Schritte machen. Das ist nichts anderes als Führung.
Als Student gehörten Sie zur linken Szene…
Huissoud: Mit 20 war ich im Soldatenkomitee, das damals nahe der marxistischen Liga war. In der marxistischen Liga war ich nicht. Mir war es aber ein Anliegen, mich gegen den Missbrauch der Macht zu wehren, den ich in der Armee erlebt habe. Dass man die Leute mitten in der Nacht im Pyjama draussen im Regen stehen liess, hat mich sehr geärgert, dagegen habe ich revoltiert. Deswegen habe ich auch Recht studiert, weil ich dachte, das könne man doch nicht einfach so tun. Wenn man die Revolte gegen die Dummheit gewisser Offiziere als links bezeichnet, war ich links.
Welcher Partei gehören Sie heute an?
Huissoud: Keiner. Ich kann mich mit keiner identifizieren.
Wer darf Ihnen privat widersprechen?
Huissoud: Die Menschen, die ich liebe.
Sie segeln in Ihrer Freizeit. Ist das der ideale Ausgleich zum Job des Finanzkontrolleurs?
Huissoud: Es hat viel mit Führung zu tun: Das Steuerrad zu halten, die Strategie auf der Karte zu entwickeln, sich zu fragen, wie erreiche ich den nächsten Punkt mit einem Optimum an Wind, Wellen und Zeit. Das ist spannend, das Wetter ändert jede Minute. Wenn du am Steuerrad sofort auf die kleinste Bewegung reagierst, kannst du fast eine gerade Linie segeln. Wenn du es zuerst dem Schiff überlässt, musst du danach viel stärker korrigieren. Deswegen ist es wichtig, aufmerksam zu sein. Das ist für mich auch das A und O des Managements: Jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, auf jedes Signal und auf jede Person zu reagieren.
Michel Huissoud (64) ist in Genf aufgewachsen und hat dort Jus mit Schwerpunkt Steuerrecht studiert. Nach ein paar Jahren beim Steuerdienst der Stadt Genf wechselte er 1988 nach Bern. Weil der Staatsschutz eine Fiche über ihn angelegt hatte, bekam er keine Anstellung beim Bund. Es klappte dann bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle EFK, die damals keine Sicherheitsüberprüfung vornahm. Seit 2014 leitet Huissoud die EFK als Direktor. Der Vater von drei erwachsenen Töchtern und zwei Söhnen lebt in Murten.
*In der Schaltzentrale der Macht
Sie sitzen auf entscheidenden Positionen, aber selten im Rampenlicht: Generalsekretäre von Parteien oder eidgenössischen Departementen, Geschäftsführerinnen von Verbänden oder Direktoren von Nichtregierungsorganisationen. Braucht die Schweiz politische Lösungen, helfen sie diese zu entwickeln. In regelmässigen Abständen wollen wir im Gespräch die Schaltzentralen der Macht ausleuchten.