Fake-News können in den unterschiedlichsten Formen daherkommen. Immer haben sie aber zum Ziel, ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verunsichern oder zu manipulieren. (Foto: Shutterstock)

Nicht einmal mehr auf Dating-Plattformen ist man heute vor Wahlkampfwerbung sicher. Auch für britische Politkampagnen wurden eigens Bots – quasi automatische Nachrichtenwerfer –programmiert, um auf Tinder sowohl für Labour- als auch für Tory-Kandidaten zu werben. Algorithmen und Bots in den sozialen Medien beeinflussen ganz allgemein die öffentliche Meinung. Können diese unsere Demokratien in Gefahr bringen?

Ja, lautet zumindest die Antwort des kanadisch-stämmigen Politikwissenschafters Philip N. Howard vom Internetinstitut der Universität Oxford. In seinem im letzten Jahr erschienenen Buch «Lie Machines: How to Save Democracy from Troll Armies, Deceitful Robots, Junk News Operations, and Political Operatives» schreibt Howard, dass sich moderne Politik ohne derartige digitale Kampagnen nicht mehr umsetzen lasse. Unmengen an persönlichen Daten würden Parteien und Interessengruppen sammeln, um einzelne Gruppen zielgerichtet manipulieren zu können. Vielfach geschieht das sogar mittels Falschinformationen – eine Taktik, die auch Gruppierungen wie Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker heutzutage anwenden.

Mit «Lügenmaschinen» bezeichnet Howard soziale und technische Mechanismen, die angewandt werden, um eine falsche Information zu produzieren, über soziale Medien zu verbreiten und zu vermarkten. Dabei sind mehrere Akteure involviert: Personen aus der Politik, denen das Ganze nutzen soll, oder Plattformen wie Facebook und Instagram, über die Falschinformationen zahlreiche Menschen erreichen.

Über den Einfluss der digitalen Desinformationsmaschinerie auf politische Systeme referierte Howard kürzlich, als er Mitte Mai an der dreitägigen Online-Konferenz «Digital, direkt, demokratisch? Technikfolgenabschätzung und die Zukunft der Demokratie» auftrat, die von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften organisiert wurde. Howard legt im Gespräch mit dem österreichischen «Standard» seine Sicht der Bedrohung und mögliche Lösungsansätze dar.

Für ihn steht fest, dass eine Schlacht im Gange sei, für die Demokratien eine Verteidigungsstrategie brauchten, antwortete er auf die Frage der Journalistin, ob wir uns schon im Krieg der Desinformation befänden: «In den letzten Jahren haben sich die Quellen dieser Kampagnen verschoben: Früher waren es meist fremde autoritäre Regime, die Desinformationsstrategien in ihrem eigenen Land benutzten. Dann beeinflussten sie Wählerinnen und Wähler in Demokratien wie bei US-Wahlen und dem Brexit-Votum durch russische Interventionen.» Jetzt seien es aber auch Politikerinnen und Politiker in unseren eigenen Ländern, wie etwa Trump und andere US-Politiker, die grosse Mengen an Fehlinformationen generierten. Howard: «Der Einsatz von Lügenmaschinen ist im Rahmen moderner Kommunikationsstrategien normal geworden. Social-Media-Firmen profitieren davon, indem sie sensationelle Inhalte verbreiten. Das grosse Geld fliesst dann bei den US-Präsidentschaftswahlen, um neue Techniken zu entwickeln.»

Dabei spielt auch der Ankauf personifizierter Daten eine wichtige Rolle. Wie die Situation diesbezüglich in Europa ausschaue, will die Interviewerin vom Oxford-Professor wissen. Für Howard ist klar, dass die Leute in Europa in dieser Hinsicht noch Glück haben: «Auch als Kanadier in Grossbritannien bin ich in wichtigen Punkten noch immer durch die Datenschutz-Grundverordnung der EU geschützt.» Viele der Dinge, die Data-Mining-Firmen im Kontext der USA täten, seien in der EU illegal und würden zu Geld- und Haftstrafen führen, wenn es zu einer Anklage komme. «Aber: Es gibt immer noch riesige Mengen an Daten über uns, mit denen gehandelt wird und die etwa für Geheimdienstanalysen zur Verfügung stehen. Und es wird immer ein politisches Interesse geben, Informationen im Dienst der Macht zu nutzen», warnt Howard.

In diesem Kontext geht er auch auf die laufende Desinformation in der Corona-Pandemie ein, etwa wenn es um den russischen Impfstoff Sputnik V geht. Die Firma dahinter versucht auf ihrem offiziellen Twitterkanal mit manipulativen Statistiken das falsche Bild zu vermitteln, dass Sputnik V viel besser als andere Impfstoffe sei. Für Howard ist das nicht überraschend: «Forschungsarbeiten zeigen, dass die staatlich unterstützten Auslandnachrichtendienste aus Russland und China aktuell enorm viel Zeit darauf verwenden, die Impfstoffe Sputnik V und jenen von Sinovac zu promoten – im Gegensatz zu denen von Pfizer, Astra Zeneca und jetzt Johnson & Johnson.» Interessant sei, dass die regierungsnahen News-Agenturen – Russia Today (RT), Sputnik sowie der chinesische TV-Sender CGTN – nach seinen Messungen an einem guten Tag fast eine Milliarde Social-Media-Profile erreichten. Howard: «Und das in englischer, spanischer und deutscher Sprache. Auch wenn viele dieser Profile Fake Accounts sind, ist das mehr als bei den grössten Nachrichtenagenturen der Welt.»

Als Abwehrmittel propagiert Howard eine unorthodoxe Vorgehensweise, die letztlich auf einen Zugang zu den besten Daten für alle hinausläuft. Howard erklärte es im «Standard» so: «Jedes digitale Gerät, das wir nutzen, sollten wir fragen können: Wer profitiert von den Daten, die es sammelt? In einem zweiten Schritt sollte es möglich sein, die Liste dieser Firmen zu ergänzen.» Denn eine echte Bedrohung für die Demokratie sei, dass die besten Daten, die bei der Lösung öffentlicher Probleme helfen würden, der Öffentlichkeit gar nicht zur Verfügung stehen. «Sie liegen nicht in den Nationalbibliotheken oder bei Forschenden, sondern bei privaten Firmen», kritisiert Howard. Und: «Wir haben vielleicht den Krieg um die Privatsphäre im bisherigen Rahmen verloren. Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir unsere bis jetzt verlorene Privatsphäre vollständig zurückgewinnen können.» Am besten könne die Gesellschaft das jetzt so beeinflussen, dass sie einen Teil der Daten in Projekte lenke, die der Zivilgesellschaft nützten. «So könnten die Daten wenigstens für die Gestaltung der Zukunft eine Rolle spielen», propagiert Howard.

Zur Person:

Philip N. Howard (1970) stammt aus Montreal (CAN) und ist Professor für Internetstudien an der Universität Oxford (UK). Der Soziologe ist vielfach ausgezeichneter Autor zu den Themen Informationstechnologien und Politik.

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