Das Digital Democracy Lab der Universität Zürich hat in einer wegweisenden Medienstudie ausgewertet, wie und wo der Wahlkampf für den National- und Ständerat 2019 geführt wurde. Erstmals haben die Forscherinnen und Forscher auch genau untersucht, wie sich der Wahlkampf auf die traditionellen oder digitalen Medien verteilt hat. Die Studie belegt, was wir bereits im letzten November als These formuliert haben; nämlich, dass der «Digitale Wahlkampf» heisser gekocht als gegessen wurde.

Facebook kein zentrales Element der Kampagnenstrategie
Wie zu erwarten, waren zwar die meisten der schweizweit insgesamt 4596 Kandidierenden auf Facebook präsent. Jedoch verfügten nur gerade 261 der Kandidierenden über eine öffentliche Facebook-Seite, wie die Forscher anmerken. Anders ausgedrückt sind das gerade mal etwas über 5 Prozent aller Kandidierenden. Warum ist es wichtig, dies festzuhalten? Die Krux bei Facebook ist nämlich, dass nur wer über eine öffentliche Seite verfügt, im Wahlkampf zusätzliche Werbung schalten und somit seine Reichweite ausbauen kann. Für uns liegt somit nur ein Schluss nah: Facebook als Werbekanal scheint bei der Mehrheit der Kandidierenden noch immer nicht wirklich zentraler Teil der Kampagnenstrategie zu sein.

Twitter für die breite Bevölkerung irrelevant
Die andere grosse Social-Media-Plattform Twitter funktioniert anders als ihr Mitbewerber Facebook. Die Sichtbarkeit auf Twitter werde vor allem genutzt, um Themen zu setzen und Debatten zu führen, da sowohl Politiker als auch Medienschaffende dort überdurchschnittlich präsent seien, heisst es in der Studie. Für die breite Bevölkerung jedoch ist Twitter irrelevant bzw. gewinnt erst dann an Relevanz, wenn die Themen bereits in den Medien aktiv diskutiert werden. Positiv bewerten die Studienautoren auch, dass bei den Politikerinnen und Politikern keine «Bubble» oder Wagenburg-Mentalität festzustellen sei. Vielmehr folgen die Politikerinnen und Politiker einander auch über die Parteigrenzen hinweg. Dies hat nicht zuletzt mit der überschaubaren Grösse von Twitter in der Schweiz zu tun.

Keine genauen Angaben zu den Werbeausgaben
Ob die Kandidierenden mit ihrer Strategie auf Social Media erfolgreich sind, kann aufgrund der Studie nicht abschliessend geklärt werden. Gerade der Faktor «Höhe des Werbebudgets» wäre eine wichtige Fragestellung. An verschiedenen Stellen wurden im Wahljahr 2019 zwar Zahlen über Werbeausgaben genannt. Leider hat noch jemand genaue Daten abschliessend eruiert. Es bleibt also offen, wieviel Werbegelder tatsächlich zu Facebook und Twitter geflossen sind. Da bei den Wahlen vor allem die Parteien über die bedeutendsten Kampagnenbudgets verfügen, kann aufgrund der vorliegenden Zahlen keine Aussage über den Einsatz von Werbegeldern durch die einzelnen Kandidaten gemacht werden. Die Studie macht aber auf einen anderen Punkt aufmerksam, der Hinweise darauf gibt, dass in der Schweiz die Wirkung einer Online-Kampagne begrenzt ist: Denn am Ende wählt die Bevölkerung eines Kantons ihre Kandidierenden, während im Vorfeld, online viel breiter, also auf der Bundesebene, kommuniziert wird. Deshalb sollte der Effekt im eigenen Kanton immer mitbedacht werden.

Digitaler Wahlkampf allein reicht nicht
Wie die Forscher belegen konnten, korreliert die Aufmerksamkeit auf Social Media nicht mit den entsprechenden Wahlresultaten; ein weiterer Hinweis darauf, dass man allein mit digitalem Wahlkampf kaum die breite Bevölkerung erreicht. Allerdings verfügen Kandidierende, die bereits seit längerem auf einem Social-Media-Kanal aktiv sind, über eine grössere Reichweite. Das Einrichten eines Social-Media-Kanals kurzfristig vor den Wahlen, ohne Einsatz von Werbegeldern, führt also allein nicht zum gewünschten Erfolg.

Ähnlich wie beim Offline-Wahlkampf gelten auch im digitalen Wahlkampf die drei bis vier Wochen vor dem Wahlsonntag als aktivste Phase. Hier unterscheidet sich online kaum von offline. Die Bürgerinnen und Bürger informieren sich über die Wahlen, sobald sie das Stimmmaterial im Haus haben. Gleiches darf auch für Abstimmungskämpfe vermutet werden.

Bei Abstimmungen profitieren vor allem Initianten von den sozialen Medien
Ein wichtiges politisches Instrument in der Schweiz sind die Abstimmungen. Eine Studie zum Einsatz von Online-Kanälen in den Abstimmungskämpfen wäre ein willkommener und wichtiger Forschungsansatz. Aufgrund der Resultate der vorliegenden Studie kann man aber doch schon gewisse Schlüsse ziehen.

Bei einer Abstimmung zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, mit dem Unterschied, dass auf Facebook mehr Werbegelder eingesetzt werden als bei den Wahlen. Bei den Abstimmungen profitieren die Initianten von den Online-Kanälen, weil sie früh mit dem Aufbau einer Community von Interessierten und Unterstützern beginnen können. Dagegen geben sich die Gegner häufig zögerlich und verpassen es, sich rechtzeitig auf den Kanälen zu präsentieren. Sie vergeben somit die Chance, rechtzeitig eine breite Community aufzubauen.

Aufbau von Reichweite braucht viel Zeit
Analysiert man jedoch die vorliegende Studie, so wird klar erkennbar, dass der Aufbau einer potenziellen Reichweite auf den digitalen Kanälen ziemlich viel Zeit in Anspruch nimmt. Der Einfluss von Social-Media-Kampagnen auf ein Abstimmungsresultat ist bisher noch wenig sichtbar. Aber es lassen sich doch schon Tendenzen abgrenzen, wonach sich einzelne PolitikerInnen bei gewissen Entscheiden über Social Media vom neuen Druck der Strasse beeinflussen lassen. Gerade Twitter eignet sich gut, um Druck aufzubauen, auch wenn sich die Plattform, wie bereits erwähnt, in der Schweiz als eine Bubble erweist.

Zur Erinnerung: Bis jetzt wurden allerdings weder eine Initiative noch ein Referendum, die online lanciert wurden, auch angenommen. Für die Lancierung eines Referendums oder einer Initiative sind Online-Kanäle dagegen schon unabdingbar geworden.

Erste These: 
Multichannel bleibt wichtig. Allein mit digitalen Kanälen lässt sich eine Wahl oder Abstimmung nicht gewinnen.

Zweite These:  
Kandidaten, die bereits vor dem eigentlichen Wahlkampf auf Social Media vertreten sind, verfügen zumindest über eine bessere Basis. Aber auch hier gilt, nicht wer am lautesten schreit, gewinnt, und Twitter ist eine Bubble.

Dritte These: 
Konzentration auf ein Thema macht im Wahlkampf nur Sinn bei breit diskutierten Themen, die von anderen und vor allem von den Medien aufgenommen werden.

Vierte These: 
Für die meisten ist Social Media nach wie vor in erster Linie ein Broadcasting-Kanal. Das bedeutet: Man sieht es als Kanal, auf dem man seine Meinung und Inhalte unter die Leute bringt. Es ist weniger ein Ort, an dem Dialog oder Debatte stattfinden.

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