Ein Jahr nach dem Frauenstreik: Jetzt gilt es, Überlegungen zu effektiven Fördermassnahmen für Frauen anzustellen (Bild: Bundesrätin Viola Amherd und Parlamentarierinnen am Frauenstreiktag vor dem Bundeshaus, Flickr by Béatrice Devènes, Parlamentsdienste).

Bunte Schilder, vielfältige Parolen und Frauen, soweit das Auge reicht – dieses Bild prägte am 14. Juni 2019 die Schweizer Innenstädte. Hunderttausende Frauen taten ihren Unmut kund über Lohnungleichheit, über mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder über die Tatsache, dass sie nach wie vor den Grossteil der unbezahlten Haus- und Familienarbeit leisten. Mit unterschiedlichsten Aktionen forderten sie mehr Gleichstellung. Ein Jahr nach dem Frauenstreik ist die Bilanz ernüchternd. Nicht, weil der Protest der Frauen nicht ernst genommen wurde.

Im Gegenteil: Der Frauenstreik und die dadurch ausgelösten Diskussionen verankerten das Thema Gleichstellung wieder stärker auf der politischen Agenda und in unseren Köpfen. Dieses Umdenken war beispielsweise bei den vergangenen Parlamentswahlen zu spüren: Nie zuvor wurden so viele Frauen gewählt – was wohl auch daran lag, dass mehr Frauen kandidierten und auf den Listen besser platziert wurden als in den Jahren zuvor.

Die erste Massnahme macht zwar auf die mangelnde Vertretung der Frauen auf den Chefetagen aufmerksam, dürfte aber einen geringen Einfluss auf die Gleichstellung im Arbeitsleben haben. Der Vaterschaftsurlaub wiederum ist ein symbolischer Türöffner für einen stärkeren Einbezug der Väter in die Familienarbeit. Für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wäre den Eltern mit einer flexibel aufteilbaren Elternzeit aber mehr geholfen. Bei beiden Reformen handelt es sich letztlich um Kompromisslösungen mit politischem Zeichencharakter, die jedoch das eigentliche Problem nicht bei der Wurzel packen.

Für eine bessere Gleichstellung am Arbeitsmarkt und eine egalitärere Rollenaufteilung reicht dies nicht. Vielmehr müssen Hürden abgebaut werden, die einem höheren beruflichen Engagement der Frauen entgegenstehen. Eines dieser Hindernisse ist das frauenfeindliche Steuersystem: Die gemeinsame Veranlagung der Ehepaare führt dazu, dass das Einkommen der Frauen – in der Regel sind sie die Zweitverdienenden – zu einem deutlich höheren Steuersatz besteuert wird als dies bei einer individuellen Veranlagung der Fall wäre. Ein Steuersystem, das auf traditionellen Rollenbildern beruht und für verheiratete Frauen den Anreiz setzt, gar nicht oder nur in tiefen Pensen zu arbeiten, ist aber sicher nicht mehr zeitgemäss.

In den vergangenen Monaten hat uns die Coronakrise mit dem forcierten Lockdown in Erinnerung gerufen, wie schnell wir in alte Rollenmuster zurückfallen. Die traditionelle Arbeitsaufteilung könnte am kommenden Abstimmungstermin im September zusätzlich verfestigt werden. Denn ein höherer Kinderabzug – auch darüber wird abgestimmt – senkt die negativen Erwerbsanreize im Steuersystem nur minim. Durch die giesskannenmässige Entlastungsmassnahme steigt das Familieneinkommen unabhängig des Erwerbsverhaltens, was manche Mütter dazu veranlassen könnte, das Arbeitsangebot sogar zu reduzieren statt auszuweiten.

Damit wir bei der Gleichstellung keine Rück-, sondern Fortschritte machen, ist es nötiger denn je, neben den kleinen Schritten auch den grossen Sprung zu wagen – den Übergang zur Individualbesteuerung.

Mit einer individuellen Veranlagung werden die negativen Erwerbsanreize im Steuersystem deutlich gesenkt. Durch die Einführung der Individualbesteuerung auf Bundes- und Kantonsebene könnten schätzungsweise bis zu 60’000 zusätzliche Vollzeitstellen besetzt werden. Dies entspricht einer Ausweitung des Erwerbspensums um 20 Prozent bei fast jeder siebten erwerbstätigen Frau. Im Verhältnis zu den Beschäftigungseffekten halten sich die Kosten beim Übergang zur getrennten Besteuerung, verglichen mit anderen gleichstellungspolitischen Massnahmen, in Grenzen.

Auch die jahrzehntealte Diskussion um die Abschaffung der Heiratsstrafe wäre mit der Einführung einer individuellen Veranlagung für immer vom Tisch. Damit die Bilanz bei der Gleichstellung künftig besser wird, gilt es die Familien auf ihrem Wandel weg von der traditionellen Rollenaufteilung hin zu einer erhöhten Arbeitsmarktpartizipation der Frauen effektiv zu unterstützen. Dafür lohnt es sich, den Mut für grössere Veränderungen aufzubringen.

Dieser Artikel erschien erstmals bei Avenir Suisse.

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