«Für uns ist eine strukturelle Reform wichtig, dass wir nicht im dümmsten Moment Titel veräussern müssen»

Eric Breval, Direktor des AHV-Ausgleichsfonds compensuisse, über die Auswirkungen von Corona auf das AHV-Vermögen und warum er auf einen Schritt der Politik hofft, damit der Fonds langfristig anlegen kann.

Eric Breval (58) ist seit 2003 Direktor von compenswiss in Genf, dem Ausgleichsfonds von AHV, IV und EO. Er hofft, dass die Politik sich bald zu einer strukturellen Reform der Altersvorsorge durchdringen kann. (Bild: ZVG)

Eric Breval, gehören Sie zu jenen, die jetzt Däumchen drehen, oder beschert Ihnen die Corona-Krise Mehrarbeit?
Eric Breval: Für mich persönlich macht es wenig Unterschied. In einzelnen Bereichen gibt es einen Rückgang, Projektmanagement zum Beispiel ist in der Krise sekundär. Die meisten meiner Kollegen aber haben wesentlich mehr Arbeit. Das gilt vor allem für das Liquiditäts- und Risikomanagement. Ausserdem müssen wir sicherstellen, dass wir den Ausgleichskassen die nötigen Mittel zur Verfügung stellen. Das funktioniert auch von zuhause aus gut – zum Glück, denn das ist das Wichtigste.

Viele Menschen machen sich Sorgen. Gefährdet Corona unsere Renten oder diejenigen der kommenden Generation?
Wenn es nur Monate dauert, kann ich Sie beruhigen: Dann sind die Renten nicht gefährdet. Corona heisst zwar wesentlich weniger Einnahmen für eine Dauer, die niemand kennt. Denn wenn es mehr Arbeitslose im weitesten Sinn gibt, sinken auch die AHV-Beiträge: Ein Coiffeur, der nicht arbeitet, zahlt auch keine AHV. In den letzten zehn Jahren hatten wir ungefähr gleich viele Einnahmen wie Ausgaben. Wenn jetzt die Einnahmen einbrechen, entsteht ein Loch, das wir mit dem Ausgleichsfonds stopfen müssen. Das heisst, dass wir Titel veräussern müssen. Die Renten sind aber auf mehrere Jahre hinaus nicht gefährdet.

Und danach?
Wenn nichts getan würde, hätten wir langfristig möglicherweise ein Problem. Allerdings nicht wegen Corona, sondern wegen der Finanzierung des Ausgleichsfonds. Deshalb präsentierte Bundesrat Alain Berset schon vor der Krise Pläne für eine «AHV 21». Egal ob 21 oder 22 – wir brauchen eine strukturelle Reform. Sie ist unbedingt nötig und wird jetzt mit der Krise noch dringender. Für uns ist wichtig, dass wir nicht im dümmsten Moment Titel veräussern müssen, weil wir die Liquidität brauchen. Das könnte in einigen Jahren geschehen, wenn wir weiterhin tiefe Einnahmen und hohe Ausgaben haben und gleichzeitig die Märkte nach unten rasseln – so wie es heute der Fall ist.

Seit über 20 Jahren hat es die Politik nicht geschafft, sich auf eine AHV-Reform zu einigen. Wird der Druck der Corona-Krise helfen?
Ich weiss nicht, was geschehen wird. Sicher ist, dass eine Reform der AHV nötig ist – das Gleiche gilt übrigens für die IV und die Erwerbsersatzordnung. Es mag sein, dass die Politiker und auch das Volk, das am Ende entscheiden wird, dies jetzt als dringender beurteilen als es noch vor einem Jahr der Fall war. Das wäre ein positiver Aspekt. Die daraus resultierende Lösung kann ich nicht bewerten, weil ich sie nicht kenne.

Der Thurgauer CVP-Nationalrat Christian Lohr fordert, jetzt müsse der Bund die IV-Schulden rasch tilgen. Ist das in Ihrem Sinn?
Die IV hat gegenüber der AHV eine Schuld von 15 Milliarden Franken aufgebaut. Fünf Milliarden wurden in den letzten Jahren zurückbezahlt. Natürlich wäre es für die AHV sehr positiv, wenn der Rest der Schuld ebenfalls getilgt würde. Wie, möchte ich der Politik überlassen. Aber die zehn könnten von der AHV gewinnbringend angelegt werden. Das würde natürlich helfen.

Apropos dümmster Moment: Wie stark leidet der AHV-Ausgleichsfonds unter den Negativzinsen?
Bis jetzt war es kein Riesenproblem. Wir mussten zwar Negativzinsen bezahlen, konnten es aber verhältnismässig gut managen. Mit der Corona-Krise müssen wir aber viel mehr Cash halten, um die fehlenden Einnahmen zu kompensieren. Das führt dazu, dass wir wesentlich stärker unter den Negativzinsen leiden als vorher.

Wie ist es mit Ihrer Anlagepolitik: Können Sie in der Krise die gleichen Grundsätze wie vorher anwenden?
Ja, das können wir. Wir verfolgen eine langfristige Strategie mit einer Asset Allocation – das heisst einem Mix aus Aktien, Obligationen, kotierten Immobilien, Gold, Liquidität und weiteren Anlagen. Diese Strategie bleibt unverändert.

Wie wichtig sind für Sie nachhaltige Investitionen?
Nachhaltigkeit ist für uns nicht nur in der Anlagepolitik wichtig. Wir werden deshalb den Klimakompatibilitätstest des Bundesamtes für Umwelt machen, um zu sehen, wo noch Handlungsbedarf besteht. Wir sind ein KMU mit etwa 50 Mitarbeitenden, welches versucht, so nachhaltig wie möglich zu agieren. Zum Beispiel verwenden wir so wenig Papier und Plastik wie möglich, isolieren unsere Büros so gut wie möglich und verwenden eine Informatik, die so energiesparend wie möglich ist.

Und wie sieht es mit der Nachhaltigkeit in der Anlagepolitik aus?
Zusammen mit sechs anderen Investoren haben wir den Verein für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen SVVK gegründet. Inzwischen sind wir elf Grossinvestoren, die sich gemeinsam engagieren. Wir gehen zu den verschiedenen Firmen, besprechen die Problemfälle und versuchen, durch das Gesamtvermögen einen Einfluss auszuüben, sei es in Umwelt-, Sozial- oder Governance-Fragen. Wir sind da ziemlich stark, der SVVK hat echte Resultate erreicht.

Welche Rolle spielt der ethische Aspekt der Anlagen?
Ethik ist etwas sehr Persönliches: Sie haben eine, ich habe eine, jeder hat eine. Wir müssen aufpassen, dass wir unsere persönliche Ethik nicht zu sehr auf den AHV-Ausgleichsfonds anwenden. Das wäre gefährlich. Wir sollten nicht religiös werden. Logisch investieren wir in keine Unternehmen, welche zum Beispiel Personenminen oder Streumunition herstellen. Aber wie sieht es mit Tabak aus? Da wird es schon schwierig. Dazu nehmen wir keine Stellung.

Nochmals zur aktuellen Krise. Wie schätzen Sie die Lage als Anlageexperte ein: Besteht Hoffnung auf eine lange anhaltende Aufbauphase mit steigendem Wohlstand wie nach dem zweiten Weltkrieg?
Wir sollten uns vor zu viel Optimismus hüten. Dass es zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen wird, ist für mich keine Frage. Wir alle haben in den letzten Monaten weniger Geld ausgegeben. Sobald es wieder möglich ist, werden die Ausgaben wieder zunehmen. Das ist menschlich. Die Frage ist aber, wie lange die Erholung dauern und wie stark sie sein wird.

Sie klingen nicht besonders zuversichtlich.
Ein Grossteil dessen, was in den letzten Wochen nicht ausgegeben wurde, ist für immer verloren. Vielleicht gehen Sie wieder zum Coiffeur, Sie wären aber in der Zwischenzeit auch gegangen. Einiges von dem, was nicht gekauft wurde, wird nie gekauft. Die Hotels sind geschlossen. Wenn sie wieder öffnen, sind sie vielleicht schnell wieder voll – aber die Zimmer, die in den Corona-Monaten nicht gefüllt wurden, werden nie kompensiert.

Welche Prognose stellen Sie für den Ausgleichsfonds der AHV?
Eine Prognose kann ich nicht abgeben. Ich kann nur sagen: Es wird die AHV etwas kosten. Deshalb müssen wir einen Teil der Anlagen liquidieren, um die Mindereinnahmen zu kompensieren.

Wenn Sie wünschen dürften – was wäre Ihr Traumszenario?
Dass die Krise nicht mehr als ein paar Monate dauert und dass jeder daraus seine Lehren zieht. Persönlich ebenso wie politisch, auf der strukturellen und der sozialen Ebene. Und dass vor allem das Parlament und das Volk einer strukturellen Revision der Ersten Säule zustimmen würden. Das wäre unser Traumszenario: eine echte Reform, die es uns erlaubt, langfristig anzulegen.

Weil der AHV-Ausgleichsfonds dann gewinnbringender investieren kann?
Wenn wir einen langfristigen Horizont haben, können wir in Anlagen investieren, die eine höhere erhoffte Rendite haben. Wenn wir im Nebel navigieren und nicht wissen, wohin die Fahrt geht, müssen wir sehr kurzfristig anlegen und liquide bleiben. Das heisst, wir müssen sehr viel Cash halten, und kurzfristige Anlagen bringen wesentlich weniger Rendite. Je länger unser Anlagehorizont, desto stärker ist die AHV.

Eric Breval (58) ist unter anderem in den USA, in Tahiti, Italien und der Schweiz aufgewachsen. Nach Studien in der Schweiz und den USA arbeitete er als Analyst und Fondsmanager in Houston (Texas) sowie bei der Waadtländer Kantonalbank in Lausanne. Seit 2003 ist Breval Direktor von Compenswiss in Genf, dem Ausgleichsfonds von AHV, IV und EO. Der Vater zweier erwachsener Kinder ist begeisterter Bergwanderer.

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