Frauenwahl haben auch im Nationalrat inhaltliche Konsequenzen. (Bild: Flickr)

Die Eidgenössischen Wahlen vom letzten Herbst gingen zu Recht als Frauenwahlen in die Geschichtsbücher ein. Erstmals schickten die Schweizerinnen und Schweizer nämlich deutlich mehr Frauen ins Parlament nach Bern. Die Schweiz, die zuvor im Vergleich mit anderen Industrieländern unterdurchschnittliche Frauenvertretungen auf der obersten Politikebene verzeichnet hatte, reihte sich auf einmal unter den weltweit Klassenbesten ein. Zur Erinnerung: Der Frauenanteil im Nationalrat stieg am 20. Oktober 2019 erstmals auf über 40 Prozent an. Überraschend an diesem Resultat war auch, dass die Frauen nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land deutlich zulegen konnten, und dass es fast in allen Parteien und Fraktionen plötzlich mehr National- oder Ständerätinnen gibt.

Doch wie wird sich dieses Mehr an weiblicher Beurteilungskompetenz auf die konkrete Politik auswirken? Diese Frage war schon immer schwierig zu beantworten. Denn ob Frauen anders politisieren als ihre Partei- oder Fraktionskollegen, darüber gibt es zwar viele Mutmassungen und deutlich unterschiedliche Meinungen, aber kaum wissenschaftliche Erkenntnisse. Gut darum, dass zwei deutsche Wissenschaftler, eine Frau und ein Mann, diese Frage nun an einem konkreten Beispiel untersucht haben. Erstmals liegt nun auch eine klare Antwort vor: In einer aktuellen Studie kommen sie zum Schluss, dass Politikerinnen deutlich andere finanzielle Schwerpunkte setzen als ihre männlichen Kollegen.

Untersuchte Gemeinden treiben demnach den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen deutlich stärker voran, sobald der Frauenanteil im Gemeinderat steigt. Setzt sich bei Kommunalwahlen eine Frau im direkten Duell gegen einen männlichen Kandidaten durch, steigen die Ausgaben der Gemeinden für die Kinderbetreuung um 40 Prozent schneller an als in denjenigen unter männlicher Führung.

Kommunalwahlen in Bayern analysiert
Für ihre Studie arbeiteten sich die Ökonomin Zohal Hessami und der Wirtschaftsprofessor Thushyanthan Baskaran durch die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Bayern zwischen 2002 und 2014. Dabei filterten sie all jene Fälle heraus, in denen sich Frauen im direkten innerparteilichen Konkurrenzkampf gegen einen männlichen Kandidaten durchgesetzt hatten. Ausserdem analysierten sie anhand von 7700 Gesprächsprotokollen die politische Debatte in den Gemeinderatssitzungen. Mit jeder weiteren Frau veränderte sich demnach die Gesprächskultur in den Sitzungen zugunsten der Familienpolitik – und zwar unabhängig davon, für welche Partei die Frau angetreten war.

Weibliche Gemeinderäte meldeten sich grundsätzlich öfter zur Kinderbetreuung zu Wort. Durch ihren Einsatz gewann das Thema in der Kommunalpolitik insgesamt an mehr Gewicht. Ob die Ergebnisse ihrer Studie nun für oder gegen eine Frauenquote sprechen, diese Frage lassen die Autoren offen. Einerseits zeige ihre Studie, dass die anhaltende Unterrepräsentation von Frauen dazu führe, dass bestimmte Themen strukturell vernachlässigt würden. «Andererseits kann schon eine kleine Zahl an Frauen einen Unterschied machen», heisst es in der Studie.

Frauenwahlen haben auch inhaltliche Konsequenzen
Für die beiden Wissenschaftler ist eines klar: «Diese Ergebnisse legen nahe, dass der steigende Anteil von Frauen in politischen Ämtern nicht nur symbolisch ist, sondern auch inhaltliche Konsequenzen hat.» Insbesondere die Vertretung von Frauen trage mit dazu bei, dass die Präferenzen von Frauen in der Politik angemessen berücksichtigt würden, und kann somit die Wohlfahrt von Frauen verbessern.

Wie genau sich der höhere Anteil von National- und Ständerätinnen in der Schweiz auswirken wird, muss die laufende Legislatur zeigen. Die aktuelle Nationalratspräsidentin, Isabelle Moret (FDP), die schon als Vizepräsidentin im letzten Jahr Verhandlungen der grossen Kammer in alter Zusammensetzung geleitet hatte, stellt im Gespräch mit influence im Januar schon eine Veränderung fest: «Dieses femininere, jüngere Parlament hat ein bisschen mehr Spontaneität und ist ein wenig farbenfroher.» Wir warten gespannt, in welcher Sachfrage der Fraueneinfluss erstmals deutliche Folgen haben wird.

Mehr zur Studie finden sie hier.

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