Was haben diese SAC-Hütten, was ein Luxushotel unten im Tal nicht bieten kann?
Das Ursprüngliche, Archaische, Einfache. Als ich noch bei der BKW arbeitete, unternahm ich mit meinem Team eine Bergtour. Wir übernachteten in der Berglihütte hinter dem Eiger. Sie war so authentisch eingerichtet wie vor 150 Jahren: Plumpsklo im Freien, Kochen über dem Feuer, Mäusedreck. Aber genau das schweisst Menschen zusammen. In diesem Moment sind alle gleich, der Hero ist derjenige, der weiss, wie man Feuer macht und kocht.
Die Berge avancieren also zum Freizeitpark gelangweilter Städter?
Der SAC wehrt sich dagegen. Das ist nicht unser Ziel. Freizeitpärke hinterfragen wir kritisch. Wir wollen unsere Mitglieder für einen naturverträglichen Bergsport begeistern.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder vom Stau vor dem Mount-Everest-Gipfel sahen?
Ich kann nicht ganz nachvollziehen, dass Menschen sich das freiwillig antun und erst noch 50’000 Franken oder mehr für die Expedition bezahlen. 90 Prozent dieser Leute gehören nicht dorthin. Sie können den Mount Everest – wenn überhaupt – nur mit Sauerstoff besteigen. Und das ist aus meiner Sicht wie Doping. Ich werde nie auf dem Mount Everest stehen, weil ich ihn nicht ohne zusätzliche Mittel schaffen würde. Das können nur ganz wenige Alpinisten auf dieser Welt. Aber ich kann nachvollziehen, dass der höchste Berg der Erde für viele Leute ein Sehnsuchtsberg ist.
Berge haben speziell für Wirtschaftsführer eine hohe Anziehungskraft. Können Sie sich erklären, weshalb Manager immer hoch hinaus und neue Gipfel erstürmen wollen?
Nicht nur Manager suchen in den Bergen den Ausgleich zum hektischen Berufsalltag mit E-Mail-Flut und dauernder Erreichbarkeit. Wenn ich drei, vier Tage in die Berge gehe, wo ich den Computer nicht dabeihabe und nicht überall Handyempfang habe, bin ich danach bestens erholt und strotze vor Kraft. Ich brauche einen oder zwei Tage, um herunterzufahren.
Was bedeutet es für Sie, auf einem Gipfel zu stehen?
Zufriedenheit, Glück, Freiheit und Ruhe. Beim Gipfelkreuz bin ich ganz bei mir selbst.
Mit welchem Gipfel verbinden Sie eine besondere Geschichte?
Mit dem Obergabelhorn – mein erster 4000er-Gipfel. Ich war 17 Jahre alt und musste zum ersten Mal Steigeisen montieren. Das Obergabelhorn ist einer der schwierigsten Viertausender in der Schweiz. Im Nachhinein bin ich froh, dass nichts passiert ist.
Was ist denn passiert?
Es war Abenteuer pur, mein Kollege und ich genossen die absolute Freiheit. Im Moment hatten wir keine Ahnung, was wir da machten. Wir merkten erst im Nachhinein, wie gefährlich die Besteigung gewesen war. In diesem Alter hält man sich für unsterblich, man kennt die Gefahren nicht genügend oder blendet sie aus und überschätzt sich masslos. Meine Mutter wusste nie, welche Tour ich gerade mache. Und das war gut so. Damals gab es kein Internet, man konnte nicht einfach ein Filmchen herunterladen und schauen, wie heikel einzelne Passagen am Berg sein können.
Welchen Berg möchten Sie noch besteigen?
Seit ich Vater von drei Kindern bin, habe ich meine Ambitionen stark zurückgeschraubt. Ich bin auch nicht mehr so fit wie früher. Diesen Sommer will ich ein paar sanfte Hochtouren machen, etwa das Gspaltenhorn.
Gibt es einen Sehnsuchtsgipfel?
Mein Gipfel ist im Moment die Führung des SAC (lacht). Mit Beruf und Familie bin ich im Moment sehr stark ausgelastet. Früher waren es natürlich die grossen Gipfel und Touren: Eigernordwand, Fitz Roy, El Capitan und so weiter. Einige dieser Touren konnte ich mit Gästen oder Freunden machen.
Haben Sie auf einer Bergtour jemals einen heiklen Moment erlebt?
Als junger Bergführer wurde ich im Grimselgebiet einmal von einer Lawine erfasst, konnte mich jedoch aus eigener Kraft befreien und erlitt einen Kreuzbandriss. Innerhalb von ein paar Minuten konnten wir alle Mitglieder der Gruppe wieder bergen. Ausser mir kam niemand zu Schaden. Dieses Ereignis holte mich auf den Boden zurück – ich hatte erst ein knappes Jahr Erfahrung als Bergführer.
Wie gross ist die Verantwortung des SAC, insbesondere der Hüttenwarte, bezüglich Gefahrenprävention und wo hört diese auf?
Hüttenwarte haben eine andere Funktion als der Schweizer Alpen-Club. Der SAC will zum Beispiel junge Menschen in einem geschützten Rahmen ans Bergsteigen heranführen. Das ist eines meiner grössten Anliegen. Als grösster Bergsportverband der Schweiz und wichtiger Partner von Jugend+Sport (J+S) ist der SAC verantwortlich für die Inhalte und Durchführung der Aus- und Weiterbildungen der Leiter. Die meisten Jugendorganisationen der SAC-Sektionen melden ihre Tourenaktivitäten bei J+S an. Damit dürfen ihre Leiterinnen und Leiter die fundierte J+S-Leiterausbildung absolvieren, was die Basis für sichere und attraktive Touren und Trainings legt. Wir legen Wert darauf, unsere Tourenleiterinnen und Tourenleiter bestmöglich aus- und weiterzubilden, und wir möchten sie für Gefahren sensibilisieren, damit sie je nach Schwierigkeit der Tour und Grösse der Gruppe einen Bergführer beiziehen.
Welche Rolle spielen die Hüttenwarte?
Die Hüttenwarte sind in erster Linie Auskunftspersonen. Wenn sie etwas nicht wissen, sollen sie das offen kommunizieren. Ich finde, sie machen das sehr gut. Der Hüttenwart fungiert als Gastgeber, Aufklärer und Sensibilisierer. Er ist nicht verpflichtet, irgendjemand von etwas abzuhalten. Wenn jemand bei schlechten Verhältnissen aufbrechen will, soll er dies eigenverantwortlich machen können.
Wie sehr wird im Kursangebot des SAC auf das Thema Sicherheit eingegangen?
Sicherheit ist ein zentraler Bestandteil unseres Kursangebotes. Natürlich geht es darum, die Faszination für den naturverträglichen Bergsport zu vermitteln, aber die Sicherheit in den Bergen steht über allem. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Tourenleiterinnen und Tourenleiter des SAC beziehungsweise des J+S übernehmen am Berg grundsätzlich die gleiche Verantwortung für ihre Gruppe wie eine Bergführerin oder ein Bergführer, obwohl Letztere in der Regel weit mehr Erfahrung aufweisen. Deshalb ist es wichtig, dass wir sensibilisieren, aufklären und zeigen, wo die Grenzen liegen. Es ist wenig sinnvoll, mit einer SAC-Gruppe aufs Matterhorn zu steigen. Das sollte man einem Bergführer überlassen.
Seit einem Jahr führen Sie als Geschäftsführer die Geschicke des SAC. Wo stehen Sie auf Ihrem Weg zum beruflichen Gipfel?
Wenn mein SAC-Gipfel das Matterhorn wäre, befand ich mich vor einem Jahr, als ich die Stelle als Geschäftsführer angetreten hatte, am Fuss des Matterhorns, also etwa zwei Stunden unterhalb des Solvaybiwaks (höchstgelegene SAC-Hütte der Schweiz, 4003 m ü.M., die Red.). Inzwischen bin ich mit meinem Expeditionsteam etwa eine Stunde im Dunklen aufgestiegen. Am Anfang musste ich den Weg ein wenig suchen, inzwischen habe ich die Stirnlampe versorgt. Ich weiss, wohin ich gehen will. Auf dem Weg zum Gipfel müssen wir aber noch ein paar Schlüsselstellen und Herausforderungen bewältigen. Es dauert noch drei, vier Jahre, bis wir dort sind, wo ich gerne hinmöchte.
Weshalb haben Sie sich für diesen Job entschieden?
Weil es mein Traumjob ist. Er beinhaltet alles, was ich mir vorstelle. Ich kann meine ganze Lebenserfahrung einbringen: Als Kind hatte ich in der JO mitgemacht, später erlernte ich das Schuhmacher-Handwerk, dann bin ich Bergführer geworden und habe einen akademischen Weg eingeschlagen und eine Weiterbildung in Betriebswirtschaft gemacht. Wenn man all die eigenen Fähigkeiten in der Berufswelt verwenden kann, gerät man in einen Flow und das bin ich beim SAC. Es ist dann wie auf einer Bergtour, wo man im Rahmen seiner Fähigkeiten gefordert ist. Ich freue mich, dass ich beim SAC meine Leidenschaft für die Berge mit vielen Gleichgesinnten teilen kann.
Ist es schwierig, Hüttenwarte zu führen, die unabhängig und selbstbestimmt in der Abgeschiedenheit der Berge leben? Lassen sie sich von Ihnen dreinreden?
Der Zentralverband hat nur eine eigene Hütte – das unbewirtete Solvaybiwak am Matterhorn. Diese Hütte ist jedoch nur eine Notunterkunft. Alle anderen Hütten gehören den Sektionen. Die Hüttenwarte sind den Sektionen unterstellt und werden von diesen auch angestellt. Unsere Aufgabe als Zentralverband ist es, gute Rahmenbedingungen für die Sektionen und Hüttenwarte zu schaffen; Empfehlungen abzugeben, wie bauliche Massnahmen ausgeführt werden sollen. Wir unterstützen die Sektionen und Hüttenwarte aber auch finanziell, etwa bei einem Umbau oder einer Renovation, wo wir uns jeweils bis zu 40 Prozent an den Kosten beteiligen. Die Rechnungen werden mit Geld aus dem Hüttenfonds bezahlt, der unter anderem durch Fundraising und Abgaben aus den Hüttenübernachtungen geäufnet wird. Bei der Energieversorgung- und Abwasserproblematik können die Sektionen auch auf das Know-how unserer Experten zurückgreifen.
Was sind Ihre Führungsprinzipien?
Ich pflege einen kollegialen Führungsstil und will da sein, wenn es mich braucht. Ich versuche, eine Vertrauenskultur zu schaffen und lasse meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Erledigung ihrer Aufgaben Freiräume.
Dem Jahresbericht 2018 des SAC ist zu entnehmen, wie breit der SAC thematisch daherkommt: von Digitalisierung, Marketing, Finanzen, Bauen in den Bergen, Unterhalt der 153 Hütten, Sportklettern ist da unter anderem die Rede. Welchen drei Themenbereichen widmen Sie aktuell den Hauptteil Ihrer Zeit?
Die grösste Herausforderung ist die Digitalisierung. Wir haben vor ein paar Jahren zwei grosse Projekte gestartet: Im vergangenen Oktober gingen unsere neue Website und das SAC-Tourenportal online. Gegenwärtig entwickeln wir diese Tools weiter und auch die internen Prozesse, die damit zusammenhängen, etwa Digitalmarketing und digitales Arbeiten auf der Geschäftsstelle. Ich bekomme 40-60 Mails pro Tag. Wie will man so den Alltag bewältigen – wenn man von morgens um 8 Uhr bis abends um 17 Uhr an Sitzungen weilt? Da müssen wir eine Lösung finden, wie wir anders miteinander kommunizieren können und wie wir effizient unseren Alltag gestalten können. Es gibt entsprechende Tools, diese stellen für unsere nicht digital-affinen Mitarbeitenden aber eine grosse Herausforderung dar. Dann gibt es noch die analoge Welt.
Wie meinen Sie das?
Wir haben ein eigenes Bergsportmagazin – «Die Alpen» – und einen eigenen Verlag. Bei den Zeitschriften gehen die Inserate-Einnahmen zurück, für den Verlag wird es zusehends schwieriger, Bücher zu verkaufen. Hinzu kommt, dass das Sponsoring immer anspruchsvoller wird. Wir müssen neue Einnahmequellen generieren und dabei unsere heutigen Dienstleistungen halten oder eher noch ausbauen. Als dritte Herausforderung sehe ich die Strategie. Wir führen gerade eine Ist-Analyse durch. Ab Oktober starten wir den neuen Strategieprozess – unter Einbindung der Sektionen und Mitglieder. Zu guter Letzt wollen wir mit ein bis zwei Athleten im Sportklettern an die Olympischen Spiele in Tokio im nächsten Jahr.
Eine etwas andere Frage zur Jahresbilanz 2018: Was ist das grösste Kapital des SAC – sind es die Mitglieder und Bergbegeisterten, sind es die SAC-Hütten oder sind es die Alpen?
Es sind die bergsportbegeisterten Mitglieder, die sich mit ihrem grossen Engagement und viel Herzblut für einen grossartigen Verband ehrenamtlich einsetzen.
Welche Rolle spielt der SAC für den Schweizer Tourismus?
2018 haben die 153 Hütten insgesamt 345’000 Übernachtungen und rund eine Million Besucher verzeichnet. Damit sind wir eine der grössten Tourismusorganisationen in der Schweiz.
Kann man diese Zahlen in einen Vergleich mit Jugendherbergen stellen?
Die Schweizer Jugendherbergen registrierten 2018 etwa 800’000 Übernachtungen. Mit diesem Vergleich sind wir zufrieden. Viele unserer Hütten sind exponiert und schwer zugänglich. Zudem sind einige zum Teil nur im Sommer geöffnet. Hinzu kommt, dass sich bei schlechtem Wetter nur wenige Leute in den Hütten aufhalten.
Was macht den Erfolg einer SAC-Hütte aus – sind es die Lage, der Hüttenwart, das Gastronomie-Angebot oder die Infrastruktur?
Es ist sicher die Kombination der verschiedenen Faktoren. Die Lage ist sicher entscheidend. Dann spielt der Hüttenwart eine wichtige Rolle. Immer entscheidender ist jedoch der Komfort, den eine Hütte bietet. Wir haben immer noch das Credo einer einfachen Gebirgsunterkunft, das dürfen wir nicht vergessen. Jedoch wird immer häufiger nach zusätzlichem Komfort – etwa kleinere Zimmer – gefragt. Das ist eine nicht ganz einfache Gratwanderung.
Es waren die Engländer, die im 19. Jahrhundert die Schweizer Berge entdeckten und damit den Tourismus ankurbelten. Wie viele Touristinnen und Touristen aus dem Ausland übernachten bei Ihnen?
Wir bekommen die Zahlen nicht von allen Hütten. Grob gesagt sind es rund 25 Prozent, die aus dem Ausland kommen.
Können Sie sich vorstellen, dass Zehntausende von Chinesen oder Inder jedes Jahr in den SAC-Hütten übernachten?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Die gegenwärtigen Touristenströme in den Schweizer Alpen konzentrieren sich auf ein paar Hotspots wie Jungfraujoch, Titlis, Luzern, Interlaken und Zermatt. Nur ganz wenige Gäste aus Indien und China sind in der Lage oder wollen unsere SAC-Hütten besuchen. Wir sehen das etwa bei der Mönchsjochhütte oberhalb des Jungfraujochs. Die meisten asiatischen Touristen stossen beim stündigen Aufstieg durch den Schnee an ihre Grenzen. Sie sind schlecht ausgerüstet und bekunden mit der dünnen Luft in dieser Höhe Mühe.