«Die Schweiz ist dem Silicon Valley 24 Monate voraus»

Mathias Ruch ist ein profunder Kenner des Crypto Valley. Der Berater und Investor von Lakeside Partners weiss, wie es zum Blockchain-Boom kam und was noch kommen wird.

Mathias Ruch ist Managing Partner bei Lakeside Partners. Die Firma investiert in Blockchain-Firmen und hilft diesen, ihre Vision zu verwirklichen. (Bild: ZVG)

Warum ist Zug plötzlich das Zentrum des Crypto Valley geworden und damit eine der weltweit wichtigsten Blockchain-Regionen?
Mathias Ruch: Das hängt primär mit der Ansiedlung von Pionieren und Unternehmen aus dem Blockchain-Universum zusammen. 2013 kam Ethereum mit Vitalik Buterin nach Zug, was in der Branche für grosses Aufsehen sorgte. Ethereum stiess in Zug auf kooperative und hilfsbereite Behörden im Gegensatz zu vielen anderen Ländern und Regierungen. Die Zuger Behörden schreckten vor der unbekannten Technologie und den neuen Bedürfnissen der Unternehmer nicht zurück, sondern suchten mit Juristen und Anwälten nach innovativen Lösungen. Gemeinsam realisierten sie das Konzept von Stiftungen für Blockchain-Firmen, das für diese, namentlich für Ethereum, ein Durchbruch war.

War dies die eigentliche Geburtsstunde des Crypto Valley?
Ja, denn diese offene, kooperative und lösungsorientierte Haltung der Behörden zog immer mehr Projekte und Firmen nach Zug, ebenso Anwälte, Berater, Kapitalgeber und Informatikfirmen, die die spezifischen Bedürfnisse der Blockchain-Firmen befriedigten. So bildete sich sukzessive ein Ökosystem.

Wie gross ist dieses Ökosystem?
Auf unserer Crypto Valley Map sind über 350 Firmen verzeichnet. Es werden laufend neue dazu kommen. Unser Verzeichnis zeigt aber auch, dass sich immer mehr Firmen in der Westschweiz und der Südschweiz ansiedeln. Deshalb hat Bundesrat Johann Schneider-Ammann recht, wenn er vor einer «Crypto Nation» spricht. Wir sind gegenüber ausländischen Mitbewerbern wie dem Silicon Valley 12-24 Monate voraus.

Viele sprechen mit Bewunderung vom Crypto Valley. Wichtige ausländische Medien wie «Economist» und «Financial Times» widmen ihm grosse Analysen und Reportagen. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung? Ist das nicht bloss ein Hype?
Blockchain ist ein Hype-Thema. Das sieht man nur schon an der Summit-Flut. Viele professionelle Eventagenturen springen aufs Thema. Doch die Technologie hinter Blockchain ist substanziell. Je mehr Firmen Produkte und Anwendungen auf der Basis von Blockchain bauen, desto nachhaltiger wird das Thema. Wenn man von einem Hype spricht, dann sind in erster Linie die Kryptowährungen und die Initial Coin Offerings (ICO) gemeint. Höhepunkt war die zweite Jahreshälfte 2017. Mittlerweile stelle ich fest, dass eine markante Professionalisierung eingesetzt hat. Viele Projekte beruhen auf soliden Geschäftsmodellen, und der gesunde Menschenverstand ist ins Blockchain-System zurückgekehrt. Dadurch gehen die reinen Zahlen vielleicht etwas zurück, doch die Qualität des gesamten Ökosystems steigt.

Sie sprechen von einer substanziellen Technologie. Welches ist die Substanz von Blockchain?
Blockchain hat zwei Aspekte: Sicherheit und dezentrale Ablage von Daten. Zum einen werden über die Kryptographie Daten sehr sicher übermittelt, zum anderen werden diese über dezentrale Systeme auf eine neue, sehr sichere Art gespeichert. Diese beiden Aspekte sorgen für das Vertrauen ins System, der sogenannte «integrated trust». Blockchain ist eine Lösung für Parteien, die sich nicht vertrauen. Denn das Vertrauen beruht auf dieser Technologie.

Haben Sie ein Beispiel?
Sämtliche Transaktionen der Kryptowährung Bitcoin werden in eine Art Kassenbuch geschrieben und festgehalten, das auf der Blockchain-Technologie beruht. Die Daten werden nicht auf einem Zentralrechner einer Grossbank gespeichert, sondern auf rund 12’000 dezentralen Rechnern, die alle das identische Kassenbuch, eben die Blockchain, enthalten. Möchte nun jemand seinen persönlichen Eintrag ändern oder das System angreifen, müsste er gleichzeitig die Mehrheit der 12’000 Rechner attackieren und überzeugen, dass beispielsweise nicht 5 Bitcoins überwiesen wurden, sondern 500.

Das sollte doch möglich sein, denn es gibt keine Technologie, die 100 Prozent sicher ist.
Bei Blockchain ist das praktisch unmöglich wegen der Anzahl Computersysteme und des kryptographischen Verfahrens, das die Daten verschlüsselt. Doch es stimmt, es gibt keine Technologie, die sich nicht hacken lässt, auch wenn die Blockchain-Technologie sehr, sehr sicher ist. Doch wie soll man das der Bevölkerung erklären, der man ausserdem erklären muss, was Blockchain ist?

Ihre Antwort?
Es braucht konkrete und nachvollziehbare Produkte, Anwendungen und Dienstleistungen, die der Bevölkerungen einen reellen Nutzen und Gegenwert bringen. Daran arbeiten und tüfteln unzählige Unternehmen im Crypto Valley. Wir befinden uns immer noch in der Experimentierphase, da die Blockchain-Technologie relativ neu ist. Doch ich zweifle nicht daran, dass solche Applikationen kommen werden, die viel einfacher, mit weniger Aufwand verbunden und erst noch günstiger sind. Das Problem ist, dass viele dieser Applikationen für die Zukunft entwickelt werden. Wir müssen uns noch etwas gedulden.

Gibt es schon konkrete Beispiele?
Es gibt Länder, die beispielsweise ihr Grundbuch auf Blockchain gestellt haben, namentlich Schweden oder Entwicklungsländer, in denen der Grundbesitz nicht so geregelt ist wie bei uns. Für diese Länder sind die Vorteile und der Nutzen der Blockchain-Technologie viel unmittelbarer fassbar. Es gibt auch Projekte, in denen Geldtransaktionen über Blockchain laufen, namentlich in afrikanischen und asiatischen Ländern. Transaktionen können so schneller, sicherer und günstiger getätigt werden.

Wird Blockchain die Gesellschaft und die Wirtschaft tatsächlich derart stark verändern, wie gewisse Pioniere und Enthusiasten voraussagen?
Viele Leute, die sich mit dieser Technologie befassen, sind davon überzeugt. Ich auch.

Weshalb?
Blockchain ist nicht nur eine Technologie. Die dezentrale Idee hat das Potenzial, Gesellschaften zu verändern und Länder zu demokratisieren. Denn mit der Technologie beginnt man, bestehende Strukturen zu hinterfragen. Weshalb brauche ich für eine Finanztransaktion von A nach B drei Tage, und weshalb kostet diese so viel? Dann schaut man sich die Transaktion genauer an und stellt fest, dass etliche Parteien und Intermediäre zwischen A und B geschaltet sind, die nichts machen, aber kräftig mitverdienen. Mit Blockchain kann man diese Parteien ausschalten. Das macht natürlich ganz vielen bestehenden Akteuren Angst, weil traditionelle Liefer- und Dienstleistungsketten hinterfragt und durch neue Blockchain-Akteure disruptiert werden können. Man muss aber auch sehen, dass die Blockchain-Technologie das Unternehmertum in einem Masse fördert, wie ich das noch nie zuvor gesehen habe. Die Leute kommen mit so vielen Ideen, Kreativität und Ideologie zu uns ins Lab. Das ist für mich der spannendste Teil der Technologie und des Crypto Valley.

Ist Blockchain vergleichbar mit dem World Wide Web?
Ja. In den letzten 18 Monaten, in der Hype-Phase, hatten wir zahlreiche hochrangige Leute aus dem Silicon Valley bei uns, die an den bahnbrechenden Technologien gearbeitet und die digitale Revolution hautnah erlebt und geprägt haben. Sie sind alle vom disruptiven Potenzial der Blockchain-Technologie überzeugt. Der heute schlechte Ruf von Bitcoin beispielsweise ist vergleichbar mit dem schlechten Ruf des Internets in den 1990er-Jahren wegen der digitalen Verbreitung von Pornographie. Heute bestreitet niemand mehr den Siegeszug des Internets. Und wer weiss heute noch, wie viele Suchmaschinen es vor Google gab? Es waren Hunderte von Projekten, doch eine Startup setzte sich durch – Google. Heute ist das genau gleich – mit einem grossen Unterschied: Es geht alles viel schneller. Heute sind alle Technologien und Akteure schon vernetzt, die Community existiert und kommuniziert. Alles ist offen, die Entwickler teilen ihre Codes, wollen Projekte gemeinsam entwickeln und voranbringen. Das alles gab es in den 1990er-Jahren so noch nicht.

Realisiert die Schweizer Bevölkerung und Politik, was sich in Zug abspielt?
Vor sechs Monaten wäre meine Antwort noch Nein gewesen. Mittlerweile hat die Politik verstanden, dass sich im Crypto Valley etwas Einzigartiges abspielt. Sie versteht vielleicht nicht im Detail, wie die Technologie funktioniert, erkennt aber die Chancen für die Schweiz. Mich beeindruckt, wie die 50-köpfige Blockchain Taskforce unter dem Patronat der beiden Bundesräte Ueli Maurer und Johann Schneider-Ammann nach konstruktiven Lösungen sucht und rasch vorwärts kommt. Das hätte ich vor einem halben Jahr noch nicht für möglich gehalten.

Wie positionieren Sie Zug auf der Blockchain-Weltkarte?
Wenn ein Unternehmer irgendwo ein Blockchain-Projekt startet, ist die Chance bei über 50 Prozent, dass er irgendwann in Zug landen wird.

Ist dies das Resultat eines Masterplans der Stadt Zug?
Nein, überhaupt nicht. Es kommen immer wieder ausländische Journalisten und Berater nach Zug, die wissen wollen, wer diesen genialen Plan und den Namen «Crypto Valley» erfunden habe. Die Antwort der Zuger Regierung ist: «Niemand».

Also Zufall?
Nicht nur. Die Zuger Regierung hat einen ähnlichen Boom schon einmal mit der Rohstoffindustrie erlebt. Die Behörden haben eine offene Haltung gegenüber neuen Branchen und Technologien. Die Regierungsräte hören sich an, um was es geht, wollen verstehen und ermöglichen. Das finde ich bemerkenswert – und wird weltweit bewundert.

Mathias Ruch ist Mitgründer und Managing Partner von Lakeside Partners. Die Firma mit Sitz in Zug/Schweiz ist der führende Startup-Investor, Company Builder und Advisor im Crypto Valley mit Fokus auf Blockchain-Technologien und darauf basierenden Anwendungen. Als treibende Kraft im Aufbau eines globalen Blockchain-Startup-Ökosystems hat Lakeside Partners das weltweite Inkubator-Netzwerk Crypto Valley Labs initiiert. Gemeinsam mit Lorenz Furrer führt Ruch die breit abgestützte Blockchain Taskforce unter dem Patronat der beiden Bundesräte Johann Schneider-Ammann und Ueli Maurer an, die sich den Erhalt der Schweizer Spitzenposition im geopolitischen Wettbewerb als Standort für die Crypto- und Blockchain-Industrie zum Ziel gesetzt hat, und ist Gründungsmitglied der Crypto Valley Association.

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