«Legt der Bitcoin-Kurs zu, steigt der Verbrauch von Energie»

Blockchain-Spezialist Alain Brenzikofer erklärt, warum Bitcoins so viel Strom konsumieren wie ganze Volkswirtschaften.

Alain Brenzikofer beschäftigt sich schon seit 2011 mit Krypto-Währungen und Blockchain. (Bild: Jonas Weibel/swissICT)

Alain Brenzikofer ist Projektleiter beim Schweizer IT-Enwicklungsdienstleisters SCS. Schon seit 2011 verfolgt er die Entwicklungen in der Blockchain-Technologie. Diese setzt er auch für SCS ein, entwickelte etwa «Decentralized Applications» und verfasste ein Whitepaper zum Thema «Decentralized Trusted Timestamping». Brenzikofer verfügt über Studium in Informationstechnologie und Elektrotechnik der ETH Zürich.

Mit dem Bitcoin-Hype rückte auch der Energieverbrauch dieser Krypto-Währung in den Fokus. Können Sie uns erklären, warum bei höherem Bitcoin-Kurs weltweit auch mehr Energie verbraucht wird?
Alain Brenzikofer: Bitcoins entstehen nicht einfach so, sie werden geschürft. Das Wort ist bewusst aus der Bergbau-Sprache entlehnt. Wer nämlich Bitcoins finden will, muss beweisen, dass er dafür Energie einsetzt. Dazu muss er mit Hilfe von speziellen Computern kryptografische sehr komplizierte Rätsel lösen. Weltweit schürfen alle gleichzeitig. Je mehr Rechner beteiligt sind, desto komplizierter gestaltet der Bitcoin-Algorithmus die Rätsel und desto mehr Rechenpower muss aufgewendet werden.

Wie muss man sich das vorstellen?
Der Algorithmus sorgt dafür, dass weltweit etwa alle 10 Minuten ein Miner das Rätsel lösen kann. Am Anfang lag der Mining-Reward, also der Wert, den man für eine gelöste Aufgabe erhält, bei 50 Bitcoins. Dann waren es nur noch 25. Dieser Reward wird über die Zeit immer kleiner. Heute liegt er bei 12.5.

Dann steigt also der Energieverbrauch, um an Bitcoins zu kommen, je länger, je mehr?
Nur bei steigender Nachfrage. Je mehr Miner bei diesem Spiel mitmachen, desto höher ist der Energieverbrauch.

Warum?
Im ganzen Netzwerk wird nach Bitcoins geschürft, bis es sich finanziell nicht mehr lohnt. Die Rechnung des Miners ist einfach: Er setzt Hardware ein und muss Strom kaufen. Je höher der Wechselkurs des Bitcoins steigt, desto höher darf die Stromrechnung sein um profitabel zu bleiben.

Kurs und Stromverbrauch sind gekoppelt?
Ja und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits, weil der Gegenwert des Mining Rewards steigt. Andererseits werden mit der Anzahl der Teilnehmer im Bitcoin-Netzwerk auch die Transaktionsgebühren höher, die dem Miner zu Gute kommen.

Je mehr Leute sich am Bitcoin-Hype beteiligen, desto grösser werden somit die Entschädigungen für die Miner?
Es ist ein Wettbewerb, in dem derjenige gewinnt, der den billigsten Strom hat und die effizienteste Hardware. Die Computer, die man zum Bitcoin-Schürfen benötigt, werden heute speziell dazu hergestellt. Diese Hardware muss man in regelmässigen Zyklen ersetzen, weil immer effizientere Geräte herauskommen. Das heisst, sie können die kryptographischen Aufgaben mit immer weniger Strom lösen. Der Miner muss darum seine Hardware innerhalb von 12 bis maximal 24 Monaten amortisieren und neue kaufen. Sonst wird er abgehängt. Der Profit des Miners ist das, was nach Stromkosten und Abschreibungen übrigbleibt. Wenn also der Wechselkurs des Bitcoins nach oben schiesst, wird es viel lukrativer, Hardware zu kaufen. Die Herstellung dieser neuen Hardware ist ebenfalls Energie- und Ressourcenintensiv.

Kurz vor dem Kurssturz war der Gesamtverbrauch des ganzen Bitcoin-Netzwerks so gross wie derjenige von ganz Neuseeland. Ende 2017 etwa so gross wie ganz Island oder Dänemark. Glauben sie diesen Zahlen?
Alle diese Zahlen sind Schätzungen. Man hat keine verlässlichen Statistiken. Die Miner legen ihren Stromverbrauch nicht offen. Man weiss aber, wie hoch die Strompreise in den verschiedenen Ländern der Welt sind. Man weiss ungefähr, welche Hardware im Einsatz ist. Und darum sind die Zahlen aus meiner Sicht plausibel. Viel wichtiger als präzise Zahlen sind aber der Trend und die Grössenordnung: Sollte der Bitcoin wieder massiv an Wert zulegen, dann ist der Energieverbrauch nach oben offen. Dieser könnte ungebremst steigen.

Der Energieverbrauch wird also nicht sinken, weil Mining Hardware effizienter wird?
Das ist zugleich das Geniale und das Problematische an diesem Algorithmus, der das Bitcoin-Netzwerk steuert. Darin ist verankert, dass die Anforderungen an die Miner steigen, je grösser das Netzwerk wird. Wenn die ganze Welt effizientere Hardware kauft, ist damit im Sinne des Energieverbrauchs gar nichts gewonnen.

Der Algorithmus steuert dagegen, wenn die Rechner die Rätsel schneller und energieeffizienter lösen können. Beschützt er sozusagen den Wert des geschürften Bitcoins?
Er beschützt die Geldmengensteuerung und das kontrollierte Wachstum der Blockchain. Das Geniale daran ist, dass der Algorithmus nicht im Voraus wissen muss, wann in der Zukunft wieviel Rechenpower vorhanden ist. Das Bitcoin-Netzwerk funktioniert, egal wie effizient die Miner-Hardware ist. Auf der anderen Seite verursacht das einen enormen Energieverbrauch.

Der Algorithmus beim Bitcoin ist somit für alle Ewigkeit so angelegt, dass er den hohen Verbrauch von Energie honoriert?
Falls der Wechselkurs der Bitcoins gleich bleiben würde und gleichzeitig auch die Zahl der Transaktionen konstant, dann würde mit der Zeit der Energieverbrauch sinken. Wenn aber immer mehr Leute Transaktionen auf der Bitcoin-Blockchain machen, dann wird tatsächlich immer mehr Energie verbraucht.

Ganz eifrige Verfechter des Bitcoins sagen zum Energieverbrauch, dass der Bitcoin-Hype die Verwendung von erneuerbaren Energien fördere. Sehen Sie das auch so?
Diese Argumentation halte ich für verfehlt. Wind- und Sonnenenergie sind keine Bandlast-Generatoren. Vielmehr schwankt deren Produktion sehr stark. Wenn ein Miner seine Hardware innerhalb einer Jahresfrist amortisieren will, muss er sie an sieben Tagen 24 Stunden laufen lassen. Dazu nimmt er den billigsten verfügbaren Strom. Wenn er am Tag Solarstrom erhält, nimmt er den. In der Nacht wird es aber keinen solchen geben, die Hardware muss aber trotzdem laufen. Und weltweit ist der Kohlestrom immer noch am billigsten.

Kann man identifizieren, wo weltweit am meisten dieser Bitcoin-Miner stehen? Und wo diejenigen stehen, mit der grössten Leistung?
Die Mehrheit der Bitcoin-Leistung steht heute in China. Es sind mehr als 50 Prozent aller Rechenleistung weltweit. Eigentlich widerspricht das der dezentralen Ideologie von Bitcoins. Und dann noch in einem Land, das nicht sehr freiheitlich mit den Möglichkeiten des Internets umgeht – das ist bedenklich. Das unterläuft die Daseinsberechtigung der Blockchain.

Sie beschäftigen sich seit 2011 mit Fragen rund um Krypto-Währungen. Ist der Energieverbrauch bei allen ein solches Problem?
Nur bei «Proof-of-Work» Währungen. Bereits 2012 wurde z.B. Peercoin gestartet, eine sogenannte «Proof-of-Stake» Währung. Anders als beim Bitcoin muss ich da nicht beweisen, dass ich Arbeit geleistet habe. Bei Peercoin dürfen diejenigen, die am meisten dieser Coins halten, auch am meisten schürfen. Die Idee dahinter: Wer viel Kapital besitzt, hat ein immenses Interesse daran, dass das Vertrauen in das Netzwerk erhalten bleibt. Denn wenn ein Grosser beim Minen gegen die Regeln verstösst, geht Vertrauen verloren. Und damit würde auch sein Kapital wertlos. Heute gibt es weitere Lösungen, die ohne «Proof-of-Work» auskommen. Ohne Mining brauchen diese Währungen kaum mehr Energie als das heutige E-Banking.

Es kommen immer mehr Krypto-Währungen auf den Markt: Steigt der Energieverbrauch somit auch immer mehr an?
Es kommt nicht darauf an, wieviele neue Krypto-Währungen es gibt. Sondern es kommt darauf an, wie gross die Marktkapitalisierung derjenigen Krypto-Währungen ist, die den Einsatz von Energie honorieren. Je höher diese ist, desto höher ist der Anreiz Mining mit ungeheurem Energieaufwand zu betreiben. Bei den anderen Währungen, die nach einer anderen Logik funktionieren, ist der Energieverbrauch kein Thema.

Mit dem Bitcoin wird Blockchain als neue dezentrale Sicherheitstechnologie plötzlich heiss diskutiert. Wie muss ich mir die Organisation einer solchen Blockchain vorstellen?
Beim heutigen E-Banking geschehen alle Transaktionen in einem Data-Center unter der Kontrolle der Bank. Bei der Blockchain erfüllen Tausende von Computern, die auch in einzelnen Haushalten stehen können, diese Arbeit. Wenn Informationen gleichzeitig auf mehreren Rechnern dezentral abgesichert werden, so steigt die Sicherheit im ganzen System.

Braucht es dafür mehr Energie als wenn man heute E-Banking nutzt?
Grundsätzlich wird eine zentrale Systemlösung meist energieeffizienter sein, als eine dezentrale. Die Blockchain hat jedoch den Vorteil, dass sie Konsens in einem verteilten System ohne zentrale Einflussnahme herstellen kann – und das ist ein wichtiges sicherheitstechnisches Argument. Wo dieser Vorteil wichtig ist, wird er wohl andere Argumente wie den Energieverbrauch überstimmen.

Nicht nur die Blockchain benötigt dezentrale Computerinfrastruktur, wir lagern auch immer mehr in die Cloud aus. Wird auch das den Energieverbrauch ankurbeln?
Es gibt Studien zum Thema, ob Cloudcomputing energieeffizienter ist oder nicht. Diese kommen zum Schluss, dass Cloudcomputing effizienter sei, was die Energie angeht. Dies, weil die Hardware besser ausgelastet werde. In einem Datacenter läuft nur exakt so viel Hardware, wie wirklich benötigt wird. Bei wenig Nachfrage werden ganze Serversektoren abgeschaltet. Und nur bei Bedarf wieder zugeschaltet. Darum erscheint es durchaus plausibel, dass Cloudcomputing effizienter sein kann. Cloudcomputing nimmt aber oft mehr Netzwerkinfrastruktur in Anspruch, ein Argument für steigenden Stromverbrauch. Die Wahl der Systemgrenzen dürfte – wie so oft – entscheidend sein.

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